BayObLG zu den Anforderungen an das Absehen vom Regelfahrverbot nach § 24a Abs. 1 StVG bei alkoholisiertem Führen eines Elektrokleinstfahrzeugs: Mit dem Aufkommen von E-Scootern im Straßenverkehr stellen sich zunehmend neue Fragen an die dogmatische Einordnung und Sanktionierung verkehrsrechtlichen Fehlverhaltens.
Die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG, 201 ObOWi 405/25) vom 30. Juni 2025 bringt nun mehr Klarheit in einen besonders praxisrelevanten Aspekt: Kann bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter von einem Fahrverbot nach § 25 StVG abgesehen werden – etwa mit Blick auf die vermeintlich geringere Gefährlichkeit des Fahrzeugs? Das Gericht verneint dies in erfreulicher Deutlichkeit und setzt zugleich klare Maßstäbe für die Begründung eines Ausnahmefalls.
Sachverhalt
Der Betroffene, ein Berufskraftfahrer, führte in der Nacht vom 1. September 2024 gegen 1:38 Uhr einen E-Scooter mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,40 mg/l im öffentlichen Verkehrsraum. Die Zentrale Bußgeldstelle verhängte eine Geldbuße von 500 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot. Das Amtsgericht verdoppelte zwar die Geldbuße, sah jedoch – gestützt auf die berufliche und familiäre Situation des Betroffenen – von der Verhängung des Fahrverbots ab. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Rechtsbeschwerde ein. Das BayObLG gab ihr statt und hob das Urteil auf.
Rechtliche Analyse
Maßstab: Regelfahrverbot bei § 24a StVG als gebundene Rechtsfolge
Die Entscheidung fußt dogmatisch auf dem Regel-Ausnahme-Prinzip des § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i. V. m. § 4 Abs. 3 BKatV. Bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24a StVG ist ein Fahrverbot regelmäßig zu verhängen. Die Möglichkeit des Absehens davon besteht nur in Fällen außergewöhnlicher Umstände, die nach ständiger Rechtsprechung entweder äußerer oder innerer Natur sein und eine unzumutbare Härte darstellen müssen. Die Schwelle für das Eingreifen einer Ausnahme ist angesichts des erhöhten Unrechts- und Gefährdungspotenzials solcher Taten bewusst hoch angesetzt.
Keine Ausnahme wegen E-Scooter-Eigenschaft
Der entscheidende rechtliche Punkt liegt in der klaren Absage des Gerichts an die Vorstellung, ein E-Scooter sei – etwa im Vergleich zu Mofas oder Motorrollern – von so geringer Gefährlichkeit, dass bereits dies ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen könne. Das BayObLG widerspricht dieser Auffassung mit überzeugender Argumentation: Zwar sei das Gewicht und die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit eines E-Scooters geringer, gleichwohl gehe von ihm ein nicht unerhebliches abstraktes Gefährdungspotenzial aus. Dies resultiere aus der elektrischen Antriebsform, der relativ hohen Beschleunigung, der stehenden Fahrposition und dem kleinen Radumfang, der insbesondere bei alkoholbedingten Gleichgewichtsdefiziten das Risiko unkontrollierbarer Fahrmanöver steigere. Die abstrakte Gefahr einer Trunkenheitsfahrt bleibe deshalb erheblich – auch mit einem E-Scooter.
Kritische Auseinandersetzung mit den besonderen Umständen
Das Amtsgericht hatte sich in seiner Entscheidung maßgeblich auf die beruflichen Folgen eines Fahrverbots gestützt, insbesondere auf eine angebliche Kündigungsandrohung des Arbeitgebers. Das BayObLG beanstandet dies mit bemerkenswerter Schärfe: Die Feststellungen zur konkreten Kündigungsgefahr seien lückenhaft und teilweise widersprüchlich. Das Gericht weist darauf hin, dass ein Fahrverbot keine Entziehung der Fahrerlaubnis darstellt, sondern nur ein befristetes Führverbot. Das Amtsgericht habe nicht hinreichend aufgeklärt, ob alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden oder eine Vertretung im Betrieb möglich gewesen wäre. Die ungeprüfte Übernahme einer schriftlichen Arbeitgeberbescheinigung wurde als Verstoß gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung gewertet.
Auch die familiäre Situation – der Betroffene wollte regelmäßig sein Kind in einer 100 km entfernten Stadt besuchen – reichte nach Ansicht des Senats nicht aus. Zwar werde dem Umgangsrecht zu Recht Verfassungsrang beigemessen. Allerdings sei nicht ersichtlich, weshalb eine vorübergehende Einschränkung dieses Rechts über einmonatige Dauer hinausgehende gravierende Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes hätte. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei zumutbar, zumal keine konkreten gesundheitlichen Risiken dargelegt worden seien. Die Ausführungen des Amtsgerichts hierzu seien spekulativ und unvollständig.

Gesamtwürdigung und Konsequenzen
Die Entscheidung verdeutlicht hinreichend, dass das Regelfahrverbot nicht durch pauschale Hinweise auf berufliche oder familiäre Belastungen unterlaufen werden darf. Das Gericht verlangt vielmehr eine sorgfältige, logisch widerspruchsfreie und beweisgestützte Gesamtwürdigung. Diese muss sich sowohl mit dem Einzelfall als auch mit den allgemeinen Maßstäben des Gefährdungspotenzials der Tat auseinandersetzen. Insbesondere im Ordnungswidrigkeitenrecht dürfen vermeintliche Härtefälle nicht zur bloßen Leerformel verkommen.
Resümee
Das BayObLG setzt mit seinem Beschluss ein wichtiges Signal für die Konsistenz der Sanktionierungspraxis im Straßenverkehrsrecht. Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern sind kein Bagatelldelikt – auch wenn das Fahrzeug kleiner, langsamer und vermeintlich harmloser wirkt. Die Entscheidung mahnt die Instanzgerichte zur gebotenen Strenge bei der Begründung eines Ausnahmefalls vom Regelfahrverbot und betont die Notwendigkeit einer belastbaren Beweisführung. Wer eine Ausnahme geltend machen will, trägt quasi die Darlegungs- und Überzeugungslast – und muss mit kritischer Prüfung rechnen.
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