Fristlose Kündigung wegen mehrfacher sexueller Belästigung

Das Solingen (Aktenzeichen: 2 Ca 1497/23) hat am 11. April 2024 eine Entscheidung zu einer fristlosen Kündigung wegen mehrfacher sexueller Belästigung getroffen. Der Kläger, ein Lagerlogistikmitarbeiter, wurde von der Beklagten, seiner Arbeitgeberin, fristlos entlassen, nachdem ihm vorgeworfen wurde, eine Auszubildende wiederholt sexuell belästigt zu haben.

Sachverhalt

Der Kläger war seit 2021 im Bereich der Lagerlogistik bei der Beklagten tätig und wurde 2022 unbefristet übernommen. Die Vorwürfe gegen ihn betreffen eine Auszubildende, Frau M., die angab, vom Kläger zwischen dem 4. und 7. Juli 2023 mehrfach sexuell belästigt worden zu sein. Die Auszubildende berichtete über unerwünschte körperliche Annäherungen, intime Berührungen und eine erzwungene orale Befriedigung.

Rechtliche Analyse

Sexuelle Belästigung nach § 3 Abs. 4 AGG

ist definiert als unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, das die Würde der betreffenden Person verletzt. Dies umfasst unerwünschte sexuelle Handlungen, Aufforderungen zu solchen Handlungen sowie sexuell bestimmte körperliche Berührungen.

Fristlose Kündigung nach § 626 BGB

Eine fristlose Kündigung setzt voraus, dass Tatsachen vorliegen, die dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar machen. Dabei ist eine Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien vorzunehmen.

Entscheidungsgründe des Gerichts

Feststellung der sexuellen Belästigung

Das Arbeitsgericht Solingen stellte fest, dass der Kläger in mindestens fünf Fällen Frau M. sexuell belästigt hat. Das Gericht führte aus, dass jede dieser Handlungen als eigenständiger Grund zur fristlosen Kündigung genügt.

  1. Nackenmassage: Das Gericht erkannte die Nackenmassage, selbst wenn sie beiderseitig erfolgt sein sollte, als sexuelle Belästigung an. Die objektive Unerwünschtheit dieses Verhaltens sei gegeben, unabhängig davon, ob Frau M. ihren Unwillen geäußert habe oder nicht.
  2. Weitere Übergriffe: An den folgenden Tagen kam es zu weiteren Übergriffen. Der Kläger fasste Frau M. mehrfach in den Schritt, forderte sie auf, ihn zu massieren und nahm intime Berührungen vor. Diese Handlungen wurden als massiv übergriffig und objektiv unerwünscht eingestuft.
  3. Vorfall am 7. Juli 2023: Der schwerwiegendste Vorfall ereignete sich am 7. Juli 2023, als der Kläger Frau M. zur oralen Befriedigung zwang. Diese Tat stellt eine schwerwiegende dar und rechtfertigte die fristlose Kündigung besonders deutlich.

Entbehrlichkeit der Zeugenvernehmung

Das Gericht entschied, dass die Vernehmung von Frau M. als Zeugin entbehrlich sei, da die Aussagen des Klägers als Schutzbehauptungen und Ablenkungsmanöver gewertet wurden. Das Verhalten des Klägers während der Ermittlungen und sein Nachverhalten, insbesondere die gegen Frau M. wegen übler Nachrede, wurden als taktische Manöver zur Verbesserung seiner Prozessposition interpretiert. Dass das Strafverfahren mangels Tatverdacht eingestellt wurde, verfängt insoweit nicht:

So ist im Strafverfahren der Grundsatz in dubio pro reo maßgeblich und im Zusammenhang mit Sexualdelikten – immer noch – notwendig, dass sich die Gegenwehr bzw. der entgegenstehende Wille des Opfers dem Täter gegenüber erkennbar zeigen muss. Das gilt nicht für eine sexuelle Belästigung nach Maßgabe des § 3 IV AGG. Es kommt …gerade nicht auf die Einsicht eines irgendwie gearteten Täters an oder auf die Frage, ob und wie sich das Opfer gewehrt hat.

Fazit

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Solingen bestätigt, dass sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, insbesondere wenn sie wiederholt und in steigender Intensität auftritt, eine fristlose Kündigung rechtfertigt. Der Fall unterstreicht die Bedeutung der objektiven Betrachtung unerwünschten Verhaltens und die Notwendigkeit eines konsequenten Vorgehens gegen sexuelle Belästigung im Arbeitsverhältnis. Allerdings desavouiert sich die Entscheidung – die ein wichtiger Eckpfeiler in der Rechtsprechung zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz hätte sein können – selbst: Die Wortwahl der Entscheidung, triefend vor Moralismus und befremdlichen Selbstlob, weckt Zweifel an der Seriosität der hier entscheidenden Kammer. Ein Zitat soll dies pointieren:

All das sollte suggerieren, es habe sich um eine in ihrer Liebe verschmähte junge Frau gehandelt, die aus diesem Grunde im Betrieb nach dem Arbeitsplatz des Klägers getrachtet habe. Hierbei handelt es sich um eine 1000 Jahre alte Taktik, die von Tätern dazu genutzt wird, um eben von ihren Taten und dem Unrecht abzulenken und die eigentliche Verwerflichkeit bei den Opfern zu verorten. Allerdings hat der Kläger hierbei die kognitiven Fähigkeiten der erkennenden Kammer unterschätzt.

Fristlose Kündigung wegen mehrfacher sexueller Belästigung - Rechtsanwalt Ferner

Am Ende führt diese umfangreiche und in weiten Teilen juristisch korrekte Entscheidung dazu, dass man vor einem deutschen Arbeitsgericht in einem modernen Rechtsstaat ohne Zeugen verurteilt wurde – das befremdet in mehrlei Hinsicht. Offenkundig hatte die Kammer sich frühzeitig festgelegt und wollte der Zeugin eine Aussage ersparen – letztlich aber hat man mit diesem Vorgehen in eklatanter Weise die Grundsätze des fairen Verfahrens, die natürlich auch im arbeitsgerichtlichen Prozess gelten, verletzt.

Die befremdlichen Hinweise auf die kognitiven Fähigkeiten der Kammer verdeutlichen, dass man Ego und Selbstherrlichkeit bei Gerichten nicht unterschätzen sollte – gerade im sensiblen Bereich sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Andererseits darf man nicht den – hier gemachten – Fehler leben, aus einer des Strafverfahrens zu umfangreiche Schlüsse für andere Prozesse zu ziehen.

Für Arbeitgeber bedeutet dieses Urteil eine klare Bestätigung, dass sie bei schwerwiegenden Fällen sexueller Belästigung konsequent handeln und fristlose Kündigungen aussprechen können. sollten sich bewusst sein, dass sexuelle Belästigung nicht toleriert wird und zu schwerwiegenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen kann. Das Urteil trägt zur Stärkung des Schutzes vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz bei und setzt ein deutliches Zeichen gegen Machtmissbrauch und Übergriffigkeit.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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