Entscheidung des BayObLG zur Nutzung aufgefundener EC-Karten und Computerbetrug

Am 29. Juli 2024 hat das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) im Beschluss (Az. 201 StRR 49/24) grundlegende Feststellungen zur strafrechtlichen Bewertung der Nutzung aufgefundener EC-Karten getroffen. Der Fall beleuchtet die (überraschend) komplexen rechtlichen Fragen, die sich bei der missbräuchlichen Nutzung solcher Karten ohne Eingabe der PIN stellen, insbesondere in Bezug auf den Straftatbestand des Computerbetrugs gemäß § 263a StGB.

Kernpunkte der Entscheidung

Das Gericht hob ein Urteil des Landgerichts auf, das den Angeklagten wegen Computerbetrugs in mehreren Fällen verurteilt hatte. Die Entscheidung zeigt auf, dass für eine Verurteilung wegen Computerbetrugs spezifische Feststellungen zu den Zahlungsmodalitäten erforderlich sind. Insbesondere stellte das Gericht folgende Punkte heraus:

  1. Lückenhafte Urteilsfeststellungen bei Zahlungsmodalitäten
    Das Landgericht hatte keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Angeklagte die EC-Karte mit Eingabe der PIN oder kontaktlos verwendet hat. Diese Unklarheit verhinderte eine rechtliche Prüfung der Voraussetzungen für den Tatbestand des Computerbetrugs (§ 263a StGB).
    • Mit PIN-Eingabe: Hier wäre eine Strafbarkeit nach § 263a Abs. 1 StGB in der Variante der unbefugten Verwendung von Daten gegeben, da der Zahlungsvorgang durch die Eingabe der PIN autorisiert wird. Die Nutzung einer fremden PIN gilt als unbefugt, da diese nur dem berechtigten Karteninhaber vorbehalten ist.
    • Kontaktlos ohne PIN: Bei der kontaktlosen Zahlung erfolgt keine starke Kundenauthentifizierung (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 ZAG). In solchen Fällen fehlt es am betrugsspezifischen Unrechtsgehalt, da keine natürliche Person getäuscht wird. Eine Verurteilung wegen Computerbetrugs scheidet daher aus.
  2. Keine Strafbarkeit wegen Computerbetrugs bei kontaktloser Zahlung: Beim kontaktlosen Bezahlen mittels NFC (Near Field Communication) übermittelt das Kartensystem lediglich die gespeicherten Kartendaten und den Rechnungsbetrag. Das Kassenpersonal wird nicht über die Berechtigung des Kartenverwenders getäuscht. Es fehlt somit sowohl an einer unbefugten Verwendung von Daten als auch an einem des Vertragspartners, weshalb der Tatbestand des § 263a StGB nicht erfüllt ist.

Es ist nicht immer so einfach, wie es aussieht. Gerade im Strafrecht, wo technische Prozesse und menschliche Intentionen aufeinandertreffen, steckt der Teufel im Detail.

Rechtsanwalt Jens Ferner

Kontext zur Entscheidung des OLG Hamm

Die Entscheidung des BayObLG steht in direktem Zusammenhang mit einer ähnlichen Rechtsprechung des OLG Hamm aus dem Jahr 2020 (Beschluss vom 7. April 2020, Az. 4 RVs 12/20). In diesem Fall hatte das OLG Hamm festgestellt, dass bei der kontaktlosen Nutzung einer EC-Karte ohne PIN-Abfrage keine Strafbarkeit wegen Betrugs (§ 263 StGB) oder Computerbetrugs (§ 263a StGB) vorliegt. Die Begründung liegt in der fehlenden „betrugsspezifischen Auslegung“ der unbefugten Datenverwendung. Das Gericht argumentierte, dass die Berechtigung des Kartenverwenders beim kontaktlosen Bezahlen nicht durch eine natürliche Person überprüft wird und somit kein Tatbestand erfüllt ist.

Das OLG Hamm unterstrich zudem, dass auch keine (§ 269 StGB) oder Scheck- und Kreditkartenmissbrauch (§ 266b StGB) vorliegt, da die für eine Strafbarkeit erforderlichen Identifikationsmerkmale fehlen. Stattdessen können jedoch alternative Straftatbestände, wie Urkundenunterdrückung (§ 274 StGB) oder (§ 303a StGB), in Betracht kommen.

Die Entscheidung des BayObLG baut auf dieser Argumentation auf, erweitert sie jedoch um den Aspekt der gerichtlichen Pflicht zu detaillierten Feststellungen der Zahlungsmodalitäten. Diese Detailtiefe ist notwendig, um die Anwendung der verschiedenen Straftatbestände präzise zu prüfen und eine revisionsrechtliche Kontrolle zu ermöglichen.

Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung

Es wird hier bestätigt was das OLG hamm seinerzeit sagte – und diese bisherige Rechtsprechung nun spürbar erweitert. Das Gericht verdeutlicht, dass bei kontaktlosen Zahlungen besondere Anforderungen an die Feststellung der Tatmodalitäten gestellt werden. Ohne eine eindeutige Feststellung zu den Zahlungsmodalitäten kann weder der noch ein alternativer Tatbestand, wie beispielsweise Urkundenunterdrückung (§ 274 StGB), sicher bejaht werden.

Entscheidung des BayObLG zur Nutzung aufgefundener EC-Karten und Computerbetrug - Rechtsanwalt Ferner

Es ist nicht immer so einfach, wie es aussieht. Gerade im Strafrecht, wo technische Prozesse und menschliche Intentionen aufeinandertreffen, steckt der Teufel im Detail. Die Nutzung einer EC-Karte ohne Berechtigung mag auf den ersten Blick eindeutig wirken – doch die Frage, ob ein Computerbetrug oder lediglich eine andere Straftat vorliegt, hängt an den feinsten Nuancen: Wurde eine PIN eingegeben? Wurde kontaktlos bezahlt? Und war überhaupt jemand getäuscht?

Diese Unterscheidungen sind keine Spitzfindigkeiten, sondern essenziell. Denn das Strafrecht darf keine Grauzonen dulden, in denen eine Verurteilung auf bloßen Vermutungen fußt. Unser Job als Verteidiger ist es, nicht nur das Handeln, sondern auch die Umstände und die rechtlichen Voraussetzungen bis ins kleinste Detail zu hinterfragen. Am Ende geht es nicht nur um ein Urteil: es geht um Gerechtigkeit, und die ist oft viel komplizierter, als man denkt.

Praxishinweis

Für die Praxis bedeutet dies:

  • Sorgfalt bei der Ermittlung: Ermittlungsbehörden müssen den genauen Ablauf von Zahlungsprozessen aufklären, insbesondere ob die Zahlung mit PIN-Eingabe oder kontaktlos erfolgte.
  • Darlegungsanforderungen an Gerichte: Gerichte sind verpflichtet, diese Modalitäten umfassend in den Urteilsgründen darzustellen, um eine revisionsrechtliche Überprüfung zu ermöglichen.
  • Bedeutung für die Strafverteidigung: In Fällen von kontaktloser Zahlung ohne PIN können Verteidiger gezielt darauf hinwirken, dass keine Strafbarkeit nach § 263a StGB gegeben ist. Es können jedoch alternative Delikte wie (§ 246 StGB) oder Datenveränderung (§ 303a StGB) prüfungsbedürftig sein.

Die Entscheidung des BayObLG unterstreicht die Bedeutung einer differenzierten Betrachtung technischer Zahlungsmodalitäten im Strafrecht und bietet wichtige Leitlinien für künftige Verfahren.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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