Entscheidung des OLG Hamm zur Täuschungsäquivalenz beim Computerbetrug

Am 3. September 2024 entschied das Oberlandesgericht Hamm (Az. 4 ORs 98/24) über eine Revision in einem Verfahren, das die Grenzen des Tatbestands des Computerbetrugs gemäß § 263a StGB beleuchtet. Diese Entscheidung ist für Cybercrime-Interessierte von großer Bedeutung, da sie die Anforderungen an die „unbefugte“ Datenverwendung und den Tatentschluss bei einem versuchten präzisiert. Im Folgenden beleuchten wir die zentralen Aspekte der Entscheidung.

Fehlen der „Täuschungsäquivalenz“ bei automatisierten Prozessen

Die Leitsätze des OLG Hamm betonen, dass eine „unbefugte“ Datenverwendung gemäß § 263a StGB nur dann vorliegt, wenn der Datenverarbeitungsvorgang einem menschlichen Täuschungsvorgang entsprechen könnte („Täuschungsäquivalenz“). Dies bedeutet:

  • Im zugrunde liegenden Fall wurde der Betrag automatisch ohne Bonitätsprüfung auf das Verrechnungskonto des Angeklagten gutgeschrieben.
  • Der Tatbestand des Computerbetrugs setzt jedoch voraus, dass der Täter durch die Datenverwendung eine „Hürde“ im Datenverarbeitungsprozess überwindet. Solche Ansätze waren hier nicht erkennbar.

Relevanz: Diese Feststellung zeigt, dass rein automatisierte Prozesse ohne Kontrollmechanismen nicht ausreichend sind, um eine Täuschungsäquivalenz herzustellen.

Die Entscheidung des OLG Hamm stärkt das Verteidigungspotenzial erheblich, da sie betont, dass automatisierte Prozesse ohne Kontrollmechanismen keine Täuschungsäquivalenz begründen können.

Rechtsanwalt Jens Ferner

Anforderungen an den Tatentschluss beim versuchten Computerbetrug

Für die Annahme eines versuchten Computerbetrugs ist entscheidend, dass der Täter annimmt, Kontrollmechanismen zu überwinden. Das OLG führt aus:

  • Der Angeklagte wusste nicht, dass die Bank keine Bonitätsprüfung vornimmt. Seine Annahme war, dass solche Prüfungen existieren und er diese durch die Datenverwendung überwinden könnte.
  • Dieser („umgekehrter Tatbestandsirrtum“) hätte einen untauglichen Versuch darstellen können, wurde jedoch vom Landgericht nicht ausreichend untersucht.

Implikation: Für die strafrechtliche Bewertung eines Versuches ist die subjektive Perspektive des Täters entscheidend, insbesondere seine Vorstellungen von bestehenden Prüfmechanismen. Das Gericht führt hier im Detail aus:

Eine Verwendung von Daten ist nach der von der ganz überwiegenden – und auch vom Senat vertretenen – Meinung in Rechtsprechung und Literatur nur dann i. S. d. § 263a Abs. 1 StGB „unbefugt“, wenn sie gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte (vgl. BGH NJW 2013, 2608, 2610; NJW 2002, 905, 906; NStZ 1992, 180; Senatsbeschluss vom 07.04.2020, 4 RVs 12/20, NStZ 2020, 673, beck-online; OLG Hamm NStZ 2014, 275, 276; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, 137; Fischer StGB, 71. Aufl. 2024, § 263a Rn. 11; Lackner/Kühl/Heger/Heger, 30. Aufl. 2023, StGB § 263a Rn. 13, 13a; Schönke/Schröder/Perron StGB, 30. Aufl. 2019, § 263 a Rn. 9). Diese sog. „betrugsspezifische Auslegung“ entspricht der gesetzgeberischen Intention, wonach der Anwendungsbereich des § 263a StGB durch die Struktur- und Wertegleichheit des Computerbetruges mit dem Betrugstatbestand bestimmt ist. Mit der Einführung des § 263a StGB sollte die Strafbarkeitslücke geschlossen werden, die infolge technischen Fortschritts dadurch entstanden war, dass der Tatbestand des Betruges menschliche Entscheidungsprozesse voraussetzt, die bei dem Einsatz von Computern gerade fehlen. Eine Ausdehnung der Strafbarkeit darüber hinaus war nicht beabsichtigt (vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität [2. WiKG], Bt-Dr. 10/318, 19; und zum Ganzen: Senatsbeschluss vom 07.04.2020, a. a. O.).

Um die danach erforderliche Vergleichbarkeit zu § 263 StGB in Fällen des elektronischen Zahlungsverkehrs sicherzustellen, ist für die Täuschungsäquivalenz dabei nicht auf einen fiktiven Bankangestellten abzustellen, der die Interessen des Zahlungsdienstleisters im Rahmen der Autorisierung eines Zahlungsvorgangs umfassend wahrzunehmen hat, sondern auf das Vorstellungsbild eines Angestellten, der sich nur mit den Fragen befasst, die auch der Computer prüft bzw. für die sich auch im Computerprogramm Ansätze zur Kontrolle finden (vgl. BGH NJW 2002, 905, 906; Senatsbeschluss vom 07.04.2020, a. a. O.; OLG Hamm NStZ 2014, 275, 276; Fischer, a. a. O.).

Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es vorliegend bei den über die App am 24.08.2022, 26.08.2022 und 29.08.2022 ausgelösten Lastschrifteinzügen an der Betrugsähnlichkeit. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts wurden die in Rede stehenden Beträge dem Verrechnungskonto ohne „irgendwie geartete Prüfung“ „automatisch“ gutgeschrieben. Ansätze einer Kontrolle der Bonität des Angeklagten fanden sich – jedenfalls in diesem konkreten Datenverarbeitungsabschnitt – nicht. Mangels danach eingeschalteter – wie auch immer gearteter – zu überwindender „Hürde“ hätte sich auch ein fiktiver Bankangestellter zumindest an diesem Punkt nicht mit der Frage der Bonität des Angeklagten befasst bzw. eine ausreichende Bonität als Voraussetzung für die Gutschrift nicht in sein Vorstellungsbild aufgenommen.


Kontrollansätze bei der Kontoeröffnung als mögliche Grundlage

Ein weiterer zentraler Aspekt betrifft die Frage, ob bereits bei der Kontoeröffnung Kontrollansätze bestanden, die eine Täuschungsäquivalenz begründen könnten:

  • Wenn die Bank bereits bei der Kontoeröffnung Vertragsbedingungen formuliert, die eine Kontodeckung als Voraussetzung für Gutschriften festlegen, könnte dies eine spätere „unbefugte“ Datenverwendung begründen.
  • Das OLG fordert das Landgericht auf, in einer neuen Verhandlung diese Umstände detailliert zu prüfen.

Herausforderung: Dieser Punkt zeigt, wie wichtig es ist, Vertragsbedingungen und den Kontext der Kontoeröffnung bei der strafrechtlichen Würdigung von IT-gestützten Prozessen zu berücksichtigen.

Entscheidung des OLG Hamm zur Täuschungsäquivalenz beim Computerbetrug - Rechtsanwalt Ferner

Die Entscheidung des OLG Hamm stärkt das Verteidigungspotenzial erheblich, da sie betont, dass automatisierte Prozesse ohne Kontrollmechanismen keine Täuschungsäquivalenz begründen können. Für die Verteidigung bedeutet dies, dass ein Nachweis über die subjektive Vorstellung des Täters hinsichtlich bestehender Prüfmechanismen zwingend erforderlich ist. Ohne solche Feststellungen bleibt weder der Versuch noch der vollendete Computerbetrug strafrechtlich haltbar. Dies eröffnet insbesondere in Fällen mit lückenhafter Beweisführung neue Argumentationsansätze.

Fazit und Perspektiven

Das OLG Hamm hat mit dieser Entscheidung klargestellt, dass der Tatbestand des Computerbetrugs nicht auf bloßen Missbrauch automatisierter Systeme ausgeweitet werden kann. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung klar definierter Kontrollmechanismen und die subjektive Perspektive des Täters. Für die Praxis bedeutet dies:

  1. Für Banken und Dienstleister: Es ist essenziell, Kontrollmechanismen in Datenverarbeitungsprozesse einzubauen, um Täuschungen vorzubeugen und rechtliche Unsicherheiten zu minimieren.
  2. Für Juristen: Die Differenzierung zwischen objektiver und subjektiver Tatbestandsverwirklichung bleibt zentral, insbesondere bei der Bewertung von Versuchshandlungen.
  3. Für die Strafrechtswissenschaft: Die Abgrenzung der Täuschungsäquivalenz bei digitalen Prozessen wird weiter an Bedeutung gewinnen, da automatisierte Systeme zunehmend in den Fokus strafrechtlicher Bewertungen rücken.

Die Rückverweisung zur erneuten Verhandlung zeigt, wie komplex die Beweiswürdigung in Fällen des Computerbetrugs sein kann …

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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