Es war ein Paukenschlag, als das LG Berlin erklärte, wegen eines bestehenden Beweisverwertungsverbots Encrochat-Daten nicht verwerten zu wollen – und damit die Eröffnung einer Anklage in einem Encrochat-Verfahren verweigerte. Nun liegt die Entscheidung des KG (2 Ws 79/21 und 2 Ws 93/21) vor, das sich in die lange Reihe der OLG in Deutschland einreiht und feststellt:
Der Senat bejaht die Verwertbarkeit im Ergebnis in Übereinstimmung mit der zu dieser Frage vorliegenden obergerichtlichen Rechtsprechung (…) maßgeblich ist, ob die von den französischen Behörden nach französischem Recht gewonnenen und übermittelten Erkenntnisse als „Zufallsfunde“ aus einem anderen Verfahren gemäß S 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO im hiesigen Verfahren als Beweismittel gegen den Angeklagten verwendet und verwertet werden dürfen. Dies ist aus Sicht des Senats der Fall.
Hinweis: Zum Thema Kryptomessaging und Beweisverwertungsverbot findet sich von RA JF in der Literatur eine Darstellung bei §174 TKG Rn. 4, 35 im BeckOK-StPO (Beweisverwertungsverbot und EUGH-Rechtsprechung) sowie in jurisPR-StrafR 11/2023 Anm. 4 (LG Darmstadt)!
Beachten Sie auch die zahlreichen Beiträge in unserem Blog zum Schlagwort „Kryptomessenger“!
KG zum Beweisverwertungsverbot
Im weiteren muss dann eine Abwägung der Gesamtumstände vorgenommen werden, die beim KG dazu führt, dass die aus Sicht des KG nach französischem Recht rechtmäßig gewonnenen Erkenntnisse, im deutschen Strafverfahren verwendet und verwertet werden dürfen. Das KG kommt zu dem für mich zutreffenden Ergebnis, dass die gesamte Maßnahme im deutschen Recht nach §100b StPO als Online-Duchsuchung zu qualifizieren ist. Wie ich zuletzt schon bei Heise erklärt hatte, begegnet dies aber nach deutschem Recht bedenken, da gerade kein konkreter Verdacht bestanden hat – dies sieht auch das KG so.
Dass aber kein qualifizierter Verdacht im Sinne der§§ 100a, 100b StPO zum Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahmen vorlag, ist für das KG im Weiteren dennoch unschädlich jedenfalls insoweit, als die Verwertung der einmal gewonnenen Erkenntnisse möglich ist:
Ersichtlich liegt zunächst kein Fall vor, bei dem deutsche Behörden durch ein planmäßiges Vorgehen zur Umgehung der maßgeblichen Vorschriften der Strafprozessordnung an der Datengewinnung im Ausland mitgewirkt hätten. Vielmehr war Deutschland an den von den französischen Ermittlungsbehörden geführten Operationen – soweit erkennbar – nicht beteiligt. Die ermittelten Daten sind anfänglich vielmehr ohne vorherige Absprache spontan an die deutsche Polizei übermittelt worden.
Nun geht man folgenden Weg: Bei der Prüfung der Verdachtslage im Rahmen des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO kommt es auf die Beurteilung unter Berücksichtigung des ,,Zufallsfundes“ ab dem Zeitpunkt an, ab dem sich das Verfahren gegen den jeweils Betroffenen gerichtet hat oder richtet, nicht darauf, ob auch ohne die Erkenntnisse aus dem anderen Verfahren gegen ihn ein entsprechender Verdacht bestanden hätte. So kann man nun quasi rückwirkend die Voraussetzungen – hier des §100b StPO – annehmen und die Beweise verwerten.
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Nicht Nutzung von Verschlüsselung, wohl aber von Encrochat spricht für Straftaten
Immerhin springt das KG in die Bresche und erläutert, dass alleine die Nutzung einer Verschlüsselung nicht für kriminelles Verhalten spricht – wohl aber das Absatzsystem der Encrochat-Handys, was in die Gesamtbewertung einzustellen ist:
Was das Landgericht zum Hintergrund des Tatverdachts in seinem Beschluss ausführt, überzeugt nicht („ Verschlüsselungstechnologien sind auch deshalb für sich gesehen kein tauglicher Anknüpfungspunkt für einen Tatverdacht, weil ihre Nutzung aus staatlicher Sicht nicht etwa unerwünscht ist, sondern im Gegenteil zum Schutz vertraulicher Daten vor den Zugriffen Dritter gestärkt werden soll.“). Der Verdacht begründet sich mitnichten vor allem – oder „für sich gesehen“ – aus der Verwendung einer effektiven Verschlüsselungstechnologie, wie sie die führenden Messengerdienste ebenfalls anbieten, sondern vor allem aus den dargelegten Gesamtumständen des Vertriebs und der Preisgestaltung der EncroChat-Geräte und den Erkenntnissen, die in den französischen Ausgangsverfahren gewonnen worden waren.
Rechtsstaat ad absurdum?
Aus Sicht der OLG ist die Welt damit im Reinen, sämtliche OLG in Deutschland stellen sich damit gegen ein Verwertungsverbot, der Beschluss des LG Berlin ist nun passé. Doch es bleibt ein fader Beigeschmack: Bis heute ist unklar, wie genau die französischen Ermittler gearbeitet haben und wie die Datenintegrität sichergestellt wurde. Insoweit sollte man sich nichts vormachen: Das, was da am Ende vorliegt, sind nichts anderes, als ordinäre Textdateien, die von ausländischen Ermittlern ans BKA übermittelt werden.
All dies ist in deutschen Gerichtssälen der Prüfung entzogen und während der deutsche Gesetzgeber peinlich genaue Dokumentationspflichten für deutsche Ermittler ins Gesetz gegossen hat (siehe nur § 100a Abs.6 StPO, der auch über § 100b Abs.4 StPO bei der Online-Durchsuchung gilt), wird dies nun unterlaufen, indem man unkontrolliert Daten aus dem EU-Ausland übernimmt. Man stellt sich die Frage, warum wir uns überhaupt noch die Mühe machen, in die StPO rechtliche Vorgaben zur Beweiserhebung zu packen, wenn man im Zweifel ohnehin verwertet, was man so zugeliefert bekommt? Deutsche Gerichte tun hier nichts anderes, als willfährig dem Unterlaufen der Strafprozessordnung Vorschub zu leisten. Und das hebt das KG auch hervor, unverblümt, dass man mehr Volkes Rechtsempfinden als die Strafprozessordnung im Blick hat – so liest man:
(…) Die Nichtverwertung von legal durch Behörden der Republik Frankreich – nicht nur eines Gründungsmitgliedes der Europäischen Union, sondern auch eines der Mutterländer des modernen Menschenrechtsverständnisses – beschaffter Informationen über derart schwerwiegende Straftaten, verstieße auch in erheblicher Weise gegen das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden der rechtstreuen Bevölkerung (…)
Das mag an Stammtischen gut ankommen. Wer die Geschichte kennt und das „gesunde Volksempfinden“ noch in Erinnerung hat, den packt da eher das Gruseln.
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