Rechtsstaatswidrige Tatprovokation: BGH zum Agent Provocateur

Rechtsstaatswidrige Tatprovokation: der 1. Strafsenat (1 StR 197/21) hat über die Revisionen von zwei Angeklagten entschieden, die vom Landgericht Freiburg unter anderem wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen verurteilt worden sind. Dabei konnte sich der BGH nochmals umfassend zur rechtsstaatswidrigen Tatprovokation äußern, wobei die Rechtsprechung hier stark vom EGMR geprägt ist.

Rechtsstaatswidrige Tatprovokation

Mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Gebot des
fairen Verfahrens gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK durch eine polizeiliche Tatprovokation verletzt, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch einen Amtsträger oder eine von diesem geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu
einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt.

Tatprovokation mit dem BGH

Ein in diesem Sinne tatprovozierendes Verhalten ist anzunehmen,
wenn ein Verdeckter Ermittler oder eine polizeiliche Vertrauensperson mit dem Ziel, eine Tatbereitschaft zu wecken oder die Tatplanung zu intensivieren, über das bloße „Mitmachen“ hinaus mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt (BGH, Urteile vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14, BGHSt 60, 276 Rn. 24 und vom 30. Mai 2001 – 1 StR 116/01 Rn. 15 mwN). Auch bei bereits bestehendem Anfangsverdacht kann die Rechtsstaatswidrigkeit einer Tatprovokation dadurch begründet sein, dass die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist.

Im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind insbesondere Grundlage und Ausmaß des gegen den Betroffenen bestehenden Verdachts, aber auch Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die eigenen, nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen in den Blick zu nehmen. So kann dann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation plötzlich im Raum stehen.

Tatprovokation bei mehr als passivem Verhalten

Anders dagegen der EGMR: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verletzt eine polizeiliche Provokation Art. 6 Abs. 1 EMRK, wenn sich die Ermittlungsperson nicht auf eine „weitgehend passive“ Strafermittlung beschränkt hat. Dabei ist zu prüfen, ob es objektive Anhaltspunkte für den Verdacht gab, dass der Täter an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder tatgeneigt war. Für die Frage, ob eine Person tatgeneigt war, ist im Einzelfall u.a. die erwiesene Vertrautheit des Betroffenen mit aktuellen Preisen von Betäubungsmitteln, dessen Fähigkeit, solche kurzfristig zu beschaffen, sowie
seine Gewinnbeteiligung bedeutsam. Bei der Differenzierung zwischen einer rechtmäßigen Infiltrierung durch eine Ermittlungsperson und der (konventionswidrigen) Provokation einer Straftat ist weiterhin maßgeblich, ob auf den Angeklagten Druck ausgeübt wurde, die Straftat zu begehen.

Dabei ist unter anderem darauf abzustellen, ob die Ermittlungsperson von sich aus Kontakt zu dem Täter aufgenommen, ihr Angebot trotz anfänglicher Ablehnung erneuert oder den Täter mit den Marktwert übersteigenden Preisen geködert hat. Dann kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen!

rechtsstaatswidrige Tatprovokation: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Ferner zur rechtsstaatswidrige Tatprovokation

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Tatprovokation durch Aufstiftung

Eine Straftat kann abschließend auch dann auf einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation beruhen, wenn sich der Täter aufgrund der Einwirkung des Verdeckten Ermittlers auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung einlässt oder hierdurch seine Bereitschaft wecken lässt, eine Tat mit einem erheblich höheren Unrechtsgehalt zu begehen („Aufstiftung“). In einem solchen Fall kommt es darauf an, ob der Täter auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung ohne Weiteres eingeht, beziehungsweise sich geneigt zeigt, die Tat mit dem höheren Unrechtsgehalt zu begehen oder an ihr mitzuwirken. Eine derartige – auf eine Tat mit erheblich höherem Unrechtsgehalt – gerichtete Tatgeneigtheit ist durch das Tatgericht gesondert festzustellen. Geht die qualitative Steigerung der Verstrickung des Täters mit einer Einwirkung durch die Ermittlungsperson einher, die von einiger Erheblichkeit ist, so liegt ein Fall der unzulässigen Tatprovokation („rechtsstaatswidrige Tatprovokation„) vor. In diesem Falle kann ein Konventionsverstoß angenommen werden, dem entsprechend Rechnung zu tragen ist.

Tatprovokation führt zu Verfahrenshindernis

Läge eine nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte rechtsstaatswidrige Tatprovokation vor, dann würde dies ein Verfahrenshindernis begründen: Sollte das Verhalten eines verdeckten Ermittlers als rechtsstaatswidrige Tatprovokation zu werten sein, stünde dem Verfahren im Ergebnis ein Verfahrenshindernis entgegen, so dass das Verfahren gemäß §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO einzustellen wäre; für eine Berücksichtigung dieses Umstands über ein (vgl. BGH,
Urteil vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14, BGHSt 60, 276 Rn. 49 ff.) oder im Rahmen der wäre kein Raum mehr (vgl. EGMR, Urteile vom 15. Oktober 2020 – 40495/15, 40913/15, 37273/15 Rn. 123 f. und vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 Rn. 68; BGH, Urteil vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14, BGHSt 60, 276 Rn. 36 ff.).

Für diese Wertung („rechtsstaatswidrige Tatprovokation“) kommt es mit dem BGH dann entscheidend darauf an, ob der Täter und gegebenenfalls in welchem Umfang („Aufstiftung“ zu deutlich gewichtigeren Straftaten) bereits in illegale Geschäfte verwickelt war und inwieweit der Verdeckte Ermittler physischen oder psychischen Druck aufgebaut hat.

Tatprovokation von Amts wegen zu berücksichtigen!

Wenn ein Tatgeschehen von einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation geprägt ist, steht dem Verfahren wegen Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK ein – von Amts wegen zu beachtendes
Verfahrenshindernis entgegen. Einer zulässigen Verfahrensrüge bedarf es
für die Geltendmachung eines solchen Verfahrenshindernisses – anders als für
die Geltendmachung eines Beweisverwertungsverbots – nicht mehr (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 5 StR 650/17 Rn. 28; vgl. zur früheren, durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und die Entscheidung des zweiten Strafsenats vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14, BGHSt 60, 276 überholte Rechtsprechung BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – 1 StR 78/14 Rn. 8; Beschlüsse vom 19. Juli 2000 – 3 StR 245/00, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 fair-trial 3 Rn. 5 f. und vom 11. Mai 2010 – 4 StR 117/10 Rn. 3).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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