Raubtatbestand und Drohungsbegriff

BGH zur konkludenten Gewaltandrohung bei einem Raub im Sinne des § 249 StGB: Mit Beschluss vom 27. August 2024 (Az. 5 StR 403/24) hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Anforderungen an eine „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ im Sinne des Raubtatbestands (§ 249 Abs. 1 StGB) geschärft. Im Zentrum steht die Frage, ob und unter welchen Umständen die psychische Fortwirkung zuvor ausgeübter Gewalt als (konkludente) Drohung im Sinne des Tatbestands gewertet werden kann. Der BGH verneint dies für den konkret entschiedenen Fall und hebt die Verurteilung wegen Raubes auf.

Sachverhalt

Ausgangspunkt war ein tätlicher Übergriff des Angeklagten auf seinen Wohnungsnachbarn, den er verdächtigte, während seiner Haftzeit Wertgegenstände aus dessen Keller gestohlen zu haben. Nachdem der Nachbar den Vorwurf bestritt, schlug der Angeklagte ihm mehrfach ins Gesicht. Infolge dieser Misshandlung erlitt der Geschädigte eine stark blutende Platzwunde. Nach der körperlichen Auseinandersetzung begab sich der Angeklagte ins Badezimmer, um Toilettenpapier zu holen, angeblich um die Wunde zu versorgen.

Dort bemerkte er ein hochwertiges Fahrrad des Geschädigten. Spontan entschloss er sich, dieses mitzunehmen, um es später zu verkaufen. Während der Angeklagte die Wunde versorgte, forderte er seinen Begleiter auf, das Fahrrad aus der Wohnung zu tragen. Der Geschädigte unternahm nichts dagegen – aus Angst vor weiterer Gewalt.

Das Landgericht Leipzig bewertete dies als Raub in Tateinheit mit Körperverletzung. Der BGH hingegen sah die rechtlichen Voraussetzungen des § 249 StGB nicht als erfüllt an und hob das Urteil insoweit auf.


Juristische Analyse

§ 249 StGB: Nötigungsmittel „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr“

Der Raubtatbestand setzt neben der Wegnahme fremder beweglicher Sachen den Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels voraus: entweder Gewalt gegen eine Person oder die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Im Fokus der vorliegenden Entscheidung steht Letzteres – und insbesondere die Frage, ob eine bloße Fortwirkung vorangegangener Gewalt als Drohung qualifiziert werden kann.

Der BGH bestätigt zunächst den Ansatz des Landgerichts, dass eine vorherige Gewaltanwendung im Einzelfall auch als konkludente Drohung wirken kann, wenn sie dem Opfer den Eindruck vermittelt, es müsse bei Widerstand mit weiterer Gewalt rechnen. Doch diese Annahme darf nicht auf bloßer psychischer Wirkung beruhen – vielmehr ist ein Verhalten des Täters erforderlich, das diese Drohkulisse durch erkennbare kommunikative Handlungen aufrechterhält oder erneuert.

Entscheidend ist, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben – wenn auch nicht ausdrücklich – zumindest durch schlüssiges Verhalten in Aussicht stellt. Ein bloßes Schweigen oder das Ausnutzen einer faktischen Einschüchterung genügt nicht.

Anwendung auf den konkreten Fall

Im vorliegenden Fall hatte das Landgericht die Drohung mit der bloßen Fortwirkung der zuvor verübten Körperverletzung begründet. Dies hielt der rechtlichen Überprüfung durch den BGH nicht stand. Zwar war der Geschädigte unter dem Eindruck der Gewalttätigkeit zweifellos eingeschüchtert, doch mangelte es an Handlungen des Angeklagten, die eine neue oder fortbestehende Gewaltanwendung auch nur konkludent signalisierten.

Der Angeklagte hatte vielmehr die Verletzung versorgt – ein Verhalten, das eher als deeskalierend denn als drohend erscheinen muss. Die stille Mitnahme des Fahrrads durch den Begleiter, ohne erkennbare erneute Einflussnahme auf den Geschädigten, kann nicht als Fortsetzung der Gewalteinwirkung qualifiziert werden.

Damit fehlt es am erforderlichen Nötigungsmittel. Der Tatbestand des Raubes ist nicht erfüllt, weil die Wegnahmehandlung nicht von einer Drohung im Sinne des § 249 Abs. 1 StGB begleitet wurde.

Auswirkungen und Konsequenzen

Die Entscheidung verdeutlicht erneut die strengen Voraussetzungen für eine konkludente Drohung im Raubtatbestand. Die bloße Furcht des Opfers vor weiterer Gewalt genügt nicht – sie muss vom Täter gezielt aktiviert oder aufrechterhalten worden sein. Der BGH setzt damit einen konsequenten Maßstab, der verhindert, dass der Raubtatbestand zu einer generellen „Strafschärfung“ für jede Wegnahme unter psychischer Einschüchterung gerät.

Die Körperverletzung bleibt allerdings strafbar. Da die tatbestandliche Handlung vom Raub entkoppelt werden musste, wurde die Sache an eine andere Strafkammer zur neuen Entscheidung zurückverwiesen, wobei die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten bleiben.

Schlussfolgerung

Die Kernaussage dieser Entscheidung liegt in der präzisen Dogmatik des Raubtatbestands: Eine Drohung muss nicht ausdrücklich sein – aber sie muss in irgendeiner Form kommuniziert werden. Ein Täter, der auf eine einmal ausgeübte Gewalt verzichtet und keine neuen Drohgebärden erkennen lässt, erfüllt den Tatbestand des § 249 StGB nicht, auch wenn das Opfer subjektiv in Angst verbleibt. Der BGH hält damit an einer differenzierten und rechtsstaatlich gebotenen Interpretation strafverschärfender Tatbestände fest.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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