Schadensersatz im Schutzschirmverfahren: Das Schutzschirmverfahren nach § 270d InsO soll Unternehmen in der Krise eine Sanierung unter eigener Regie ermöglichen, ohne dabei den Gläubigerschutz auszuhöhlen. Dass dabei nicht nur Pflichten gegenüber der Gesellschaft, sondern auch gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachwalter entstehen können, zeigt der Beschluss des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 22. Februar 2023 (Az. 7 W 78/22). Die Entscheidung klärt haftungsrechtliche Grundsätze im Kontext der Eigenverwaltung und unterstreicht, dass der Geschäftsführer auch im Schutzschirmverfahren in einer fiduciär geprägten Verantwortung gegenüber dem Verfahrenssachwalter steht.
Ausgangspunkt des Verfahrens war die Beschwerde eines Geschäftsführers gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den gerichtlich bestellten Sachwalter. Dieser hatte Schadensersatz wegen pflichtwidrigen Verhaltens während der Eigenverwaltung geltend gemacht. Nach Auffassung des Sachwalters habe der Geschäftsführer durch eigenmächtige und insolvenzwidrige Zahlungen die Masse geschädigt und zugleich seine Pflichten gegenüber dem Sachwalter verletzt. Das Landgericht hatte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung verweigert, dass ein Schadensersatzanspruch des Sachwalters nicht ersichtlich sei – insbesondere nicht in eigenem Namen. Das OLG Brandenburg korrigierte diese Einschätzung grundlegend.
Das Gericht setzt sich zunächst mit der Frage auseinander, ob ein Sachwalter im Schutzschirmverfahren überhaupt einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen die Geschäftsleitung geltend machen kann. Dabei stellt es klar, dass der Sachwalter nicht lediglich ein neutrales Kontrollorgan sei, sondern eine eigenständige Rechtsposition innehabe. Diese ergibt sich aus seiner Aufgabe, die Einhaltung der insolvenzrechtlichen Pflichten durch den Schuldner zu überwachen. Wenn der Geschäftsführer Maßnahmen ergreift, die dem Ziel des Verfahrens zuwiderlaufen oder die Masse gefährden, könne das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Schutzschirms untergraben werden. Das Gericht leitet aus dieser Konstellation eine besondere Schutzfunktion zugunsten des Sachwalters ab.
Bemerkenswert ist, dass das OLG Brandenburg die Schutzwirkungen des § 270d InsO nicht nur im Verhältnis zur Gläubigergesamtheit, sondern ausdrücklich auch im Verhältnis zwischen Geschäftsführer und Sachwalter als individuelle Beziehung begreift. Der Sachwalter sei nicht bloßer Verfahrenshelfer, sondern stehe als eigenständig Verantwortlicher im Spannungsfeld zwischen gerichtlicher Bestellung, Gläubigerschutz und insolvenzrechtlicher Aufsicht. Diese Stellung begründe eine quasi-deliktische Sonderverbindung zwischen Sachwalter und Geschäftsführung, deren schuldhafte Verletzung zu einem deliktischen Schadensersatzanspruch führen könne.
Der Senat widerspricht ausdrücklich der Annahme, wonach ein solcher Anspruch stets nur im Namen der Masse oder der Gläubiger geltend gemacht werden könne. Vielmehr sei es dem Sachwalter gestattet, eigene Schadenspositionen – etwa durch Pflichtverletzungen, die sein Ansehen, seine rechtliche Stellung oder seine Möglichkeit zur ordnungsgemäßen Verfahrenswahrnehmung beeinträchtigen – auch selbstständig gerichtlich zu verfolgen. Die systematische Nähe zur Rechtsprechung zur Organhaftung und zur Geschäftsführung ohne Auftrag ist hierbei offensichtlich.
Inhaltlich sieht das Gericht den vorgetragenen Sachverhalt – insbesondere die behaupteten Zahlungen aus der Masse ohne sachliche Rechtfertigung – als geeignet an, einen Anfangsverdacht für eine deliktische Pflichtverletzung zu begründen. Es bedürfe einer genaueren Klärung im Hauptverfahren, ob der Geschäftsführer in Kenntnis der drohenden oder eingetretenen Zahlungsunfähigkeit gezielt Entscheidungen traf, die außerhalb seiner insolvenzrechtlichen Kompetenzen lagen und die Stellung des Sachwalters unterliefen. Schon das bewusste Handeln ohne Rücksprache mit dem Sachwalter bei masserelevanten Vorgängen könne die Pflichten aus dem Schutzschirmverfahren verletzen.
Das OLG hob daher den ablehnenden Beschluss des Landgerichts auf und gewährte dem Sachwalter die beantragte Prozesskostenhilfe für die Klage gegen den Geschäftsführer. Damit eröffnete das Gericht nicht nur den Weg zur materiellen Prüfung der Haftungsfrage, sondern setzte zugleich ein bedeutsames Signal hinsichtlich der verfahrenssystematischen Rolle des Sachwalters im Rahmen des § 270d InsO.
Die Entscheidung verdeutlicht, dass das Schutzschirmverfahren keine rechtsfreie Zone für Geschäftsführer darstellt. Vielmehr ist die Eigenverwaltung ein rechtsverpflichteter Handlungsrahmen, der ein kontrolliertes, auf Sanierung ausgerichtetes Verhalten verlangt – insbesondere im Umgang mit der Masse und im Verhältnis zum Sachwalter. Die eigenmächtige Missachtung dieser Struktur kann nicht nur insolvenzspezifische Folgen haben, sondern begründet auch individuelle zivilrechtliche Haftungsrisiken gegenüber den institutionellen Garanten des Verfahrens.
Am Ende stärkt das OLG Brandenburg mit seiner Entscheidung die Rolle des Sachwalters als aktives Schutzorgan des Gläubigerinteresses im Schutzschirmverfahren. Der Geschäftsführer bleibt auch in der Eigenverwaltung nicht autonom, sondern handelt unter den Voraussetzungen einer strukturierten Rechtsaufsicht. Verstöße gegen diese Ordnung können nicht folgenlos bleiben – auch nicht gegenüber dem Sachwalter als Vertreter einer funktionalen Verfahrensintegrität.
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