OLG Brandenburg zur Reichweite der Informationsobliegenheit des Geschäftsführers gegenüber der GmbH

Geschäftsführer in der Auskunftspflicht: Die Organstellung in einer GmbH ist mit weitreichenden Treue- und Informationspflichten verbunden. Dass diese auch über das Ende des Geschäftsführeramts hinausreichen können und selbst bei parallel laufenden zivil- oder strafrechtlichen Vorwürfen nicht suspendiert werden, hat das Oberlandesgericht Brandenburg mit Beschluss vom 7. März 2023 (Az. 7 W 48/22) betont. Die Entscheidung verleiht der gesellschaftsrechtlichen Auskunftspflicht eine klare Kontur und grenzt sie zugleich scharf gegenüber möglichen Einwendungen auf Grundlage des Strafprozessrechts oder des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ab.

Ausgangspunkt: Auskunftsverlangen der Gesellschaft gegen ehemaligen Geschäftsführer

Gegenstand des Verfahrens war ein Auskunftsanspruch der GmbH gegenüber ihrem ehemaligen Geschäftsführer, gerichtlich geltend gemacht im Wege der Stufenklage. Die Gesellschaft begehrte umfassende Informationen zur finanziellen Lage und zu Geschäftsführungsmaßnahmen während seiner Amtszeit, um etwaige Ersatzansprüche prüfen zu können. Der Beklagte verweigerte die Auskunft unter Verweis auf eine mögliche strafrechtliche Selbstbelastung sowie auf bereits eingeleitete Ermittlungen.

Das Landgericht hatte dem Auskunftsantrag weitgehend stattgegeben und ihn für durchsetzbar erklärt. Gegen diesen Beschluss legte der ehemalige Geschäftsführer sofortige Beschwerde ein. Er argumentierte, eine Verpflichtung zur Auskunft widerspreche dem nemo-tenetur-Grundsatz, weil sie ihn zu möglicherweise selbstbelastenden Angaben nötigen könne. Zudem sei eine Auskunftspflicht nach Beendigung des Amtes nicht mehr durchsetzbar.

Die Entscheidung: Die gesellschaftsrechtliche Sonderverbindung überdauert das Amt

Das OLG Brandenburg bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und stellte klar, dass der Geschäftsführer auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt grundsätzlich zur Auskunftserteilung verpflichtet bleibt. Diese Pflicht ergibt sich aus dem fortwirkenden gesellschaftsrechtlichen Treueverhältnis. Zwar endet mit der Amtsniederlegung die Organstellung, nicht aber notwendigerweise die sich aus vergangenen Amtszeiten ergebenden Rechenschafts- und Auskunftspflichten, insbesondere wenn konkrete Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen bestehen.

Zentraler Aspekt der Argumentation des Gerichts ist dabei der Begriff der „organisationsrechtlichen Sonderverbindung“. Die Gesellschaft hat ein berechtigtes Interesse daran, Sachverhalte aufzuklären, die für die Beurteilung möglicher Schadensersatzansprüche entscheidungserheblich sein können. Dieses Interesse wiegt schwerer als das allgemeine Interesse des ehemaligen Organs, sich durch Schweigen dem zivilrechtlichen Auskunftsanspruch zu entziehen.

Keine Durchbrechung des nemo-tenetur-Grundsatzes

Besonders sorgfältig setzt sich das OLG mit dem Einwand der Selbstbelastung auseinander. Es erkennt ausdrücklich an, dass der nemo-tenetur-Grundsatz im Strafprozessrecht eine tragende Rolle spielt. Gleichwohl sei dieser Grundsatz im zivilrechtlichen Kontext nur eingeschränkt anwendbar. Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung stellt noch keinen Zwang zur strafrechtlich verwertbaren Aussage dar – zumal es dem Auskunftspflichtigen stets unbenommen bleibt, in einem etwaigen Strafverfahren die Aussage zu verweigern.

Im Ergebnis könne sich ein ehemaliger Geschäftsführer also nicht pauschal auf sein Schweigerecht berufen, um zivilrechtliche Auskunftsansprüche abzuwehren. Der Zivilprozess sei strukturell anders aufgebaut als ein Strafverfahren; er diene nicht der Sanktionierung, sondern der Rechtsverwirklichung zwischen Privatrechtssubjekten. Dementsprechend könne der Auskunftsanspruch auch dann bestehen, wenn gleichzeitig ein Ermittlungsverfahren anhängig sei.

Keine Unzumutbarkeit der Auskunftserteilung

Der Beschwerdeführer berief sich zudem auf eine unzumutbare Belastung, weil er die geforderten Informationen nur mit erheblichem Aufwand rekonstruieren könne. Auch diesen Einwand ließ das OLG nicht gelten. Die Pflicht zur Auskunft beziehe sich auf Informationen, die sich im eigenen Wahrnehmungsbereich des Geschäftsführers befanden und ihm daher grundsätzlich zugänglich seien. Ein erhöhter Aufwand, der mit der Auskunftserteilung verbunden sei, ändere nichts an der rechtlichen Verpflichtung zur Mitwirkung. Gerade im Rahmen der Organverantwortung sei eine solche Mitwirkungspflicht integraler Bestandteil der gesellschaftsrechtlichen Rechenschaft.

Ergebnis

Das OLG Brandenburg bekräftigte die erstinstanzliche Entscheidung und wies die sofortige Beschwerde zurück. Die GmbH hat demnach Anspruch auf umfassende Auskunft durch den ausgeschiedenen Geschäftsführer, soweit diese zur Aufklärung möglicher Pflichtverletzungen erforderlich ist. Die Argumente strafrechtlicher Selbstbelastung und praktischer Unzumutbarkeit greifen nach Auffassung des Senats nicht durch.

Resümee

Mit dieser Entscheidung stärkt das OLG Brandenburg die Durchsetzbarkeit gesellschaftsrechtlicher Informationsansprüche gegenüber ehemaligen Organmitgliedern. Der Beschluss unterstreicht, dass sich Geschäftsführer ihrer Verantwortung nicht durch Amtsniederlegung entziehen können. Zugleich setzt das Gericht ein klares Zeichen gegen den Missbrauch strafprozessualer Schutzrechte im Zivilprozess. Wer ein Organamt übernimmt, übernimmt auch eine fortwirkende Rechenschaftspflicht – selbst dann, wenn dies im Lichte möglicher strafrechtlicher Relevanz unangenehm erscheint. Das Urteil betont damit die Bedeutung rechtsstaatlicher Aufklärung im Gesellschaftsrecht und die Unverzichtbarkeit transparenter Rechenschaft.

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Rechtsanwalt Jens Ferner ist erfahrener Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht mit über einem Jahrzehnt Berufspraxis und widmet sich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Rechtsanwalt Jens Ferner ist erfahrener Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht mit über einem Jahrzehnt Berufspraxis und widmet sich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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