Die Landesregierung NRW teilt zum Stichtag 28.08.2024 mit, dass es 27613 offene Haftbefehle in NRW gegeben hat. Diese verteilen sich wie folgt:
- Strafvollstreckung: 7572
- Untersuchungshaft: 4553
- Ersatzfreiheitsstrafe: 14576
- Erzwingungshaft: 469
- Unterbringung: 73
- Sicherungshaft: 274
- Vorführung Jugendarrest: 96
Die Statistik sollte zum Nachdenken anregen – und gibt Anlass für hilfreiche Hinweise.
Strafvollstreckung
Wer zur Strafvollstreckung gesucht wird, hat Mist gebaut und man sollte nicht drumherum reden: Dadurch dass man dem Stellungsbefehl nicht gefolgt ist, wurde die Chance auf offenen Vollzug regelmäßig verspielt. Die Vollstreckungsverjährung ist in §79 StGB geregelt und für den erheblichen Teil der Haftstrafen wird man mit 10 Jahren Verjährung rechnen müssen. Es dürfte sinnvoller sein, den Vollzug geordnet anzutreten.
Untersuchungshaft
Wer für eine Untersuchungshaft gesucht wird, der ist klassisch auf der Flucht – was da zu tun ist, habe ich in einem eigenen Beitrag erklärt. In dem Bereich berate ich eine Vielzahl von Mandanten und kann versichern, dass es der Ausnahmefall ist, dass man nicht zumindest eine Strategie entwickeln kann.
Ersatzfreiheitsstrafe
Hier sollte eine gesellschaftliche Diskussion einsetzen, denn vollkommen unnötig verursachen wir hier Kosten ohne Sinn und Verstand: Es geht um Geldstrafen, die nicht gezahlt werden und die man dann „absitzen“ muss. Anders als viele denken, ist es unheimlich schwierig, diese abzuarbeiten, wobei der Staat eine unverschämte Umrechnung anwendet. Wiederum ein erheblicher Teil dieser Geldstrafen betrifft naturgemäß Bagatellen, speziell Fahren ohne Fahrschein (was wiederum vor allem die ärmsten und Drogenabhängige trifft). Um hier am Ende Bagatellen und zivilrechtliche Ansprüche des ÖPNV abzusichern, lassen wir uns den Spaß gut was kosten: Ein Häftling kostet uns pro Tag ca. 191 EUR.
Dazu kommen die Kosten für die Polizei, die Ressourcen für unsinnige Fahndungsmaßnahmen einleitet. Warum diese Menschen nicht schlicht angehalten werden abzuarbeiten, was sie verschuldet haben, ist mir bis heute ein Rätsel. Der Blick in die Verordnung zeigt ein veraltetes und den betreffenden Personen nicht gerecht werdendes Zulassungsverfahren, anstelle dass einfach direkt Arbeit verordnet wird.
Wenn Sie hiervon betroffen sind, beachten Sie, dass Sie jederzeit zahlen können, selbst im Knast. Man kann dadurch die Zeit des Absitzens verkürzen oder ganz ersparen. Wer sich den Knast ersparen möchte, fährt eine Mischstrategie aus Zahlung und parallel beantragter Arbeit statt Haft.
Sicherungshaft
Hier geht es regelmäßig darum, dass jemand nicht zum Gerichtstermin erschienen ist und nach §230 StPO einen Haftbefehl kassiert hat. In diesen Fällen kann besonders viel erreicht werden, ein Strafverteidiger, der die verfassungsrechtliche Rechtsprechung dazu kennt, kann oft den Haftbefehl abwehren – oder zumindest eine sehr kurzfristige Haft erzwingen (manche Gerichte wollten sich da Zeit lassen).
Erzwingungshaft
Das ist etwas wirklich Ekliges, das zeigt, warum Ordnungswidrigkeiten schlimmer als Straftaten sein können: Wer eine OWI nicht bezahlen kann, der kommt in Erzwingungshaft; aber damit sitzt er die OWI nicht ab, sondern muss danach immer noch zahlen. Hier bekommen nach meiner Erfahrung wiederum die Ärmsten der Gesellschaft am meisten Prügel. Ich kenne Verfahren, in denen maßlose Bußgelder für Bagatellen verhängt wurden und am Ende – teilweise trotz Insolvenz – unzulässige Erzwingungshaft ergangen ist. Mit einem Anwalt passiert so etwas nicht, aber die kann man sich dann schon lange nicht mehr leisten.
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