Mit Beschluss vom 25. März 2025 (VI ZB 32/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine praxisrelevante Entscheidung zur prozessualen Schwelle für die Zulässigkeit der Berufung gefällt. Konkret ging es um die Beschwer einer beklagten Partei, die zur Löschung von Foto– bzw. Videoaufnahmen sowie zur Unterlassung künftiger Bildanfertigungen verurteilt worden war. Die Instanzgerichte hatten die Berufung mit der Begründung verworfen, die Beschwer betrage weniger als 600 Euro. Der BGH stellte klar: Wird der Unterlassungsaspekt nicht hinreichend gewürdigt, liegt ein Verstoß gegen das grundrechtlich geschützte Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz vor.
Sachverhalt
Auslöser des Streits war ein Zwischenfall an Silvester. Der Kläger hatte auf seinem Grundstück Feuerwerkskörper gezündet. Die Beklagte, Halterin nahegelegener Tiere, fühlte sich zum Einschreiten veranlasst und fotografierte den Kläger. Dieser verlangte Löschung der angefertigten Aufnahmen und begehrte zugleich, dass die Beklagte künftig keine Fotos mehr auf seinem Grundstück mache. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Das Landgericht wies die Berufung mit der Begründung als unzulässig zurück, die erforderliche Beschwer gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sei nicht erreicht. Maßgeblich sei der Aufwand zur Löschung von Bildern, der mit 500 Euro bewertet wurde.
Rechtliche Würdigung
1. Maßstab der Berufungsbeschwer
Der BGH stellte klar, dass sich die Beschwer bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten nach § 3 ZPO bemisst. Sie orientiert sich am Interesse der beklagten Partei an der Beseitigung des Unterlassungs- und Löschungsgebots. Dabei ist nicht nur der einmalige Aufwand zur Löschung zu berücksichtigen, sondern auch die wiederholbare Belastung durch das Unterlassungsgebot. Letzteres war vom Landgericht völlig unbeachtet geblieben.
2. Effektiver Rechtsschutz verlangt umfassende Ermessensausübung
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf der Zugang zu einem gesetzlich eröffneten Rechtsmittel nicht in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise erschwert werden (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hatte hier sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, weil es lediglich den Löschungsaspekt bewertete und die Beschwer durch das dauerhafte Unterlassungsgebot ignorierte – obwohl sich gerade hieraus eine fortdauernde Verpflichtung ergibt, die nicht mit einem einmaligen Vorgang gleichgesetzt werden kann.
3. Rückverweisung und Klarstellung
Der BGH hob den Beschluss des Landgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Dabei betonte der Senat die Notwendigkeit, die Unterlassungsverpflichtung eigenständig zu bewerten und bei der Beschwerdewertfestsetzung vollständig zu berücksichtigen. Es sei keineswegs ausgeschlossen, dass der Beschwerdewert unter Berücksichtigung beider Verpflichtungen die Schwelle von 600 Euro überschreite.
Fazit
Diese Entscheidung des VI. Zivilsenats unterstreicht die rechtsstaatliche Bedeutung einer sorgfältigen, einzelfallbezogenen Bewertung der Beschwerde im Berufungsverfahren. Die pauschale Annahme, eine Löschungsverpflichtung sei geringfügig, verkennt die Tragweite von Unterlassungstiteln im Persönlichkeitsrecht. Der BGH setzt mit seinem Beschluss ein deutliches Signal: Wer in Grundrechte eingreift – etwa das Recht am eigenen Bild – muss auch in zweiter Instanz mit einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle rechnen dürfen.
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