Datenbankentnahme, Markenverletzung und medienrechtlicher Zulässigkeit: Mit Urteil vom 15. April 2025 (Az. 14 O 82/25) hat das Landgericht Köln eine spektakuläre Entscheidung zur digitalen Verwertung öffentlicher Inhalte getroffen: Eine private Streamingplattform hatte nahezu alle Inhalte der „ARD Mediathek“ technisch automatisiert („Scraping“) übernommen, neu kuratiert, als eigenes Angebot eingebunden und dabei auch die Marken der ARD verwendet. Die ARD klagte auf Unterlassung – mit Erfolg, zumindest teilweise.
Die Entscheidung vereint komplexe Fragen des Datenbankrechts (§§ 87a ff. UrhG), des Markenrechts (§ 14 MarkenG), des Wettbewerbsrechts (§ 4 Nr. 3 UWG) und der medienrechtlichen Regulierung (§ 80 MStV). Besonders bemerkenswert ist die gründliche dogmatische Trennung der Anspruchsgrundlagen und die intensive Auseinandersetzung mit der Zulässigkeit nicht autorisierter digitaler Verwertung öffentlich-rechtlicher Inhalte.
Sachverhalt
Die beklagte Plattform „K.“, betrieben durch ein Tochterunternehmen der ProSiebenSat.1 Media SE, hatte unter dem Titel „ARD Mediathek auf K.“ ein umfassendes Spiegelbild der Original-ARD Mediathek nachgebaut. Dabei wurden regelmäßig aktualisierte Videoinhalte und Metadaten (Titel, Vorschaubilder, FSK, Kurzbeschreibung) automatisiert übernommen und auf „K.“ in einem eigenen Player mit veränderter Oberfläche ausgespielt – teils kostenpflichtig im Abo-Modell.
Die Inhalte wurden per Embedding über einen Proxyserver direkt von den ARD-Servern bezogen. Zugleich verwendete die Plattform Logos, Bezeichnungen („Das Erste“, „ARD-Mediathek“) und Webadressen, die denen der ARD stark ähnelten. Eine Einwilligung der ARD existierte nicht, vielmehr hatten sich die Parteien bereits im Vorfeld über Kooperationsmodelle ausgetauscht – diese waren aber nicht zustande gekommen.
Rechtliche Analyse
1. Datenbankherstellerrecht (§§ 87a ff. UrhG)
Das Gericht bejaht ein Schutzrecht an der ARD Mediathek als Datenbank. Es handele sich um eine strukturierte Sammlung, die erheblichen organisatorischen und finanziellen Aufwand erfordere – dies gelte auch für die Metadaten. Die ARD erfülle alle Anforderungen des Datenbankherstellers: Ihre Investitionen (Technik, Redaktion, Kuratierung) seien ausreichend belegt.
Die Beklagte hatte durch massenhaftes Scraping wesentliche Teile dieser Datenbank öffentlich wiedergegeben. Das Argument, es handle sich um „bloßes Embedding“, überzeugte das Gericht nicht – insbesondere, weil Inhalte technisch auf eigene Weise ausgespielt, verändert angeordnet und mit eigenen Metadaten neu präsentiert wurden. Die Grenze zur eigenständigen Vervielfältigung sei damit überschritten.
2. Markenverletzung (§ 14 MarkenG)
Die ARD-Marken „ARD“, „ARD-Mediathek“ und „Das Erste“ genießen laut Gericht weit überdurchschnittliche Bekanntheit und hohe Kennzeichnungskraft. Die Beklagte verwendete diese Zeichen identisch oder hochgradig ähnlich – nicht nur im sichtbaren Bereich (Logos, Menüs), sondern auch „unsichtbar“ im Quellcode, etwa zur Suchmaschinenoptimierung. Dies stelle eine kennzeichenmäßige Nutzung dar, die weder durch § 23 MarkenG gedeckt noch gerechtfertigt sei.
Die Nutzung erfolgte nicht zur bloßen Beschreibung von Inhalten, sondern als Bestandteil eines eigenen Angebots, das mit den geschützten Marken verknüpft wurde.
3. Kein Verstoß gegen § 80 MStV
Spannend ist die medienrechtliche Einordnung: Obwohl § 80 MStV grundsätzlich Eingriffe in redaktionelle Angebote verbietet, verneinte das LG Köln hier einen Verstoß. Grund: Der Medienstaatsvertrag müsse unionsrechtskonform im Lichte der urheberrechtlichen Schranken ausgelegt werden. Ein solcher Eingriff sei besser über das Urheberrecht (bzw. Datenbankrecht) steuerbar.
Die Kammer betont, dass eine Anwendung des § 80 Abs. 1 Nr. 3 MStV im konkreten Fall in einem Wertungswiderspruch zu unionsrechtlich geprägten urheberrechtlichen Prinzipien stehen würde – insbesondere zur Rechtsprechung des EuGH zum Embedded Content.
4. Wettbewerbsrechtlicher Schutz (§ 4 Nr. 3 UWG)
Eine unlautere Nachahmung der ARD Mediathek verneinte das LG Köln: Zwar besitze das Originalangebot eine wettbewerbliche Eigenart – insbesondere durch Redaktion und Kuratierung –, jedoch sei das Nachahmungsangebot deutlich abweichend gestaltet. Das Gericht stellte zudem keine Verwechslungsgefahr fest, da die Plattform „K.“ hinreichend als eigenständig erkennbar sei.
5. Verfügungsgrund – Dringlichkeit bejaht
Im einstweiligen Rechtsschutz war insbesondere umstritten, ob der ARD durch das Verhalten ein Nachteil entsteht, der einen Eilrechtsschutz rechtfertigt. Das LG bejahte dies – und verwies auf die „bedrohte Marktordnung“: Andere Plattformen könnten das Modell der Beklagten übernehmen, was die Lizenzierungsstruktur der ARD-Verwertungstöchter gefährden würde.
Ein Rückgriff auf technische Schutzmaßnahmen sei den Klägerinnen nicht zumutbar – denn diese wären aufwendig, teuer und mit funktionalen Risiken behaftet.
Scraping und Repackaging öffentlich-rechtlicher Inhalte sind kein rechtsfreier Raum. Das LG Köln macht klar: Auch „Embedding“ hat Grenzen – besonders dort, wo Inhalte neu organisiert, technisch umgelenkt und markenrechtlich verbrämt werden. Die Entscheidung schützt nicht nur die digitale Architektur öffentlich-rechtlicher Angebote, sondern auch ihre Refinanzierung und Rechtewahrung im Plattformzeitalter.
Fazit
Das Landgericht Köln zieht eine klare rote Linie gegen digitale Aneignung öffentlich-rechtlicher Inhalte. Wer kuratierte, strukturierte und technisch gepflegte Plattformen wie die ARD Mediathek massenhaft ausliest und neu „verpackt“, verletzt nicht nur urheberrechtliche Datenbankrechte, sondern riskiert auch markenrechtliche Sanktionen. Das Urteil zeigt zugleich, dass der rechtliche Schutz öffentlich-rechtlicher Medienangebote nicht primär über medienrechtliche Sondervorschriften, sondern über das allgemeine Urheber- und Kennzeichenrecht erfolgt.
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