OLG Hamm präzisiert Verhältnis von Tabaksteuerrecht und Lauterkeitsrecht: In seinem Urteil vom 27. März 2025 (Az. 4 U 7/24) hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm eine Klage gegen eine Anbieterin von sogenannten „Aromen“ und „Lebensmittelzusätzen“ für E-Zigaretten zurückgewiesen. Streitgegenstand war die Frage, ob diese Produkte der Tabaksteuer und dem Tabakerzeugnisrecht unterliegen und ob Verstöße gegen entsprechende Vorschriften zugleich wettbewerbsrechtlich relevant sind.
Die Entscheidung zeichnet sich durch eine differenzierte Abgrenzung zwischen steuerrechtlichen, gesundheitsregulatorischen und wettbewerbsrechtlichen Normen aus.
Sachverhalt
Der klagende Wirtschaftsverband, der sich dem fairen Wettbewerb auf dem Markt für E-Zigaretten verschrieben hat, warf der Beklagten vor, ihre Produkte – insbesondere Glycerin und Aromastoffe – steuer- und tabakerzeugnisrechtswidrig zu vertreiben. Zwar wurden diese Produkte auf den Etiketten seit einiger Zeit als reine „Lebensmittelaromen“ deklariert, jedoch war die Beklagte in der Vergangenheit auf dem Markt für E-Zigaretten aktiv gewesen. Zudem existierten Hinweise und Werbeaussagen des Geschäftsführers in sozialen Medien, die eine Weiterverwendung zum „Dampfen“ nahelegten.
Der Kläger sah darin einen Verstoß gegen Vorschriften des Tabaksteuergesetzes (TabStG) und des Tabakerzeugnisgesetzes (TabakerzG) und machte wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) geltend.
Rechtliche Würdigung
1. Steuerrechtliche Vorschriften keine Marktverhaltensregelungen
Das OLG Hamm stellte klar, dass die einschlägigen Vorschriften des TabStG – insbesondere über Steuerzeichen (§ 17 TabStG) und Preisvorschriften (§ 26 TabStG) – keine Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 3a UWG darstellen. Es handele sich um Normen des Steuerrechts, die das Verhältnis zwischen Staat und Steuerpflichtigem regeln. Sie dienten in erster Linie der Sicherung des Steueraufkommens, nicht jedoch dem fairen Wettbewerb oder dem Schutz von Marktteilnehmern.
Eine mittelbare steuer- oder gesundheitspolitische Zielsetzung genüge nicht, um ihnen lauterkeitsrechtliche Relevanz zuzuschreiben.
2. Keine unzulässigen Preisnachlässe
Auch das Argument des Klägers, dass Produkte unterhalb des Steuerwerts verkauft würden, griff nicht durch. Nach Auffassung des Senats ist ein Rabatt oder eine Rückvergütung im Sinne des § 26 TabStG nur dann gegeben, wenn der Verbraucher den Preisvorteil als solchen erkennt – was bei einem Produkt wie Glycerin, dessen Steuerstatus für Verbraucher kaum erkennbar ist, nicht der Fall sei.
3. Keine Einstufung als „Nachfüllbehälter“
Entscheidend für die Abweisung des weiteren Unterlassungsbegehrens war die Auslegung des Begriffs „Nachfüllbehälter“ im Sinne des Tabakerzeugnisrechts. Der Senat stellte klar: Als Nachfüllbehälter gelten nur solche Produkte, die (auch) als fertiges oder fertigmischbares E-Liquid dienen – nicht aber isolierte Bestandteile wie Aromen oder Glycerin. Letztere seien keine gebrauchsfertigen Flüssigkeiten und daher auch nicht von der Definition in § 1 TabakerzG erfasst.
Selbst wenn ein Produkt technisch geeignet wäre, in E-Zigaretten verwendet zu werden, sei für seine Einordnung als Nachfüllbehälter zusätzlich eine objektive Zweckbestimmung des Herstellers erforderlich – etwa durch Aufmachung oder Werbung. Dass die Beklagte ihre Produkte heute ohne Bezug auf E-Zigaretten vertreibt, sei entscheidend. Frühere Äußerungen oder eine Vergangenheit im „Dampfermarkt“ könnten dies nicht dauerhaft überlagern.
Bewertung
Die Entscheidung ist präzise und systematisch überzeugend. Sie grenzt mit juristischer Klarheit zwischen drei unterschiedlichen Rechtsregimen ab:
- Das Steuerrecht regelt die Abgabenpflicht gegenüber dem Staat – nicht den Wettbewerb.
- Das Tabakerzeugnisrecht ist gesundheitsbezogen regulierend, nicht wettbewerbsbezogen.
- Das Wettbewerbsrecht schützt Marktteilnehmer vor unlauterem Verhalten – aber nicht vor jedem Gesetzesverstoß.
Zugleich betont das Gericht das Gebot differenzierter Bewertung: Nicht jede objektive Eignung eines Produkts zur Verwendung in E-Zigaretten rechtfertigt dessen Einordnung als Nachfüllbehälter. Vielmehr sei auch zu würdigen, wie sich ein Hersteller aktuell auf dem Markt positioniert. Der Wille zur Abkehr von einem bisher bedienten Marktsegment müsse rechtlich anerkannt werden können – ohne dass vergangenes Verhalten per se eine dauerhafte Markenzuordnung determiniert.
Ergebnis
Die Konklusion des Urteils: Steuer- und tabakerzeugnisrechtliche Verstöße begründen nur dann lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche, wenn sie gleichzeitig gegen Marktverhaltensregelungen im Sinne des UWG verstoßen – was bei rein steuerlichen Vorschriften regelmäßig nicht der Fall ist. Die Entscheidung stärkt die dogmatische Trennschärfe der betroffenen Rechtsgebiete und schützt Anbieter, die sich rechtlich korrekt aus einem regulierten Marktsegment zurückziehen wollen, vor übergriffiger wettbewerbsrechtlicher Verfolgung.
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