OLG Hamm zur Unanwendbarkeit von § 242 BGB bei NS-bedingtem Vermögensverlust: In einer bemerkenswerten Entscheidung hat das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 07.05.2025, Az. 31 U 10/24) eine Klage auf Auszahlung eines historischen Kontoguthabens aus der Zeit des Nationalsozialismus abgewiesen. Der Fall wirft nicht nur zivilrechtliche Fragen zur Verjährung auf, sondern berührt auch sensible grundrechtliche und historische Aspekte. Im Zentrum stand die Frage, ob einem Geldinstitut die Berufung auf die Einrede der Verjährung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt sein kann, wenn die behaupteten Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit NS-Unrecht stehen.
Sachverhalt
Der Kläger verlangte von einer deutschen Bank Auskunft und Auszahlung eines Guthabens, das sein Großvater – ein jüdischer Kaufmann mit Schweizer Staatsangehörigkeit und Wohnsitz – im Jahr 1932 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten angelegt hatte. Das Konto war als sogenanntes Sperrkonto geführt worden und unterlag strengen devisenrechtlichen Restriktionen, die insbesondere Auslandsüberweisungen betrafen. Der Großvater hatte sich mehrfach um die Übertragung der Mittel in die Schweiz bemüht, scheiterte aber letztlich an den Genehmigungshürden, die ab 1934 zunehmend rassistisch motiviert verschärft wurden.
Der Kläger machte geltend, dass die Bank im Zuge der NS-Verfolgung unrechtmäßig Guthaben vereinnahmt bzw. nicht freigegeben habe, was einem schwerwiegenden Treueverstoß gleichkomme. Daher sei es der Beklagten aus § 242 BGB verwehrt, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen.
Rechtliche Würdigung
1. Verjährungstatbestände
Das OLG Hamm stellte klar, dass sowohl Auszahlungsansprüche als auch etwaige Schadensersatzforderungen nach den allgemeinen Verjährungsregeln des BGB a.F. (insbesondere §§ 195, 198 BGB a.F.) sowie nach § 3 Abs. 6 des Währungsumstellungsabschlussgesetzes (WährUmstAbschlG) verjährt seien. Die letzten denkbaren Verjährungshandlungen hätten spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts abgeschlossen sein müssen.
Eine etwaige Hemmung oder Neubeginn der Verjährung durch spätere Ereignisse – etwa durch Erbfolge oder späte Erkenntnis des Anspruchs – verneinte das Gericht ebenso wie eine analoge Anwendung der Regeln über die Herausgabe von NS-Raubgut, wie sie etwa im Bundesrückerstattungsgesetz vorgesehen sind.
2. Kein Ausschluss der Einrede nach Treu und Glauben
Besonderes Gewicht hat die Aussage des Gerichts, dass selbst der historische Kontext – insbesondere die Nähe der Maßnahme zu nationalsozialistischem Unrecht – nicht genügt, um dem Geldinstitut die Berufung auf die Verjährungseinrede gemäß § 242 BGB zu verwehren.
Das Gericht betont, dass die Schaffung von Ausnahmevorschriften dem Gesetzgeber vorbehalten sei. Eine „Durchbrechung“ der allgemeinen Verjährungsregeln allein wegen des moralischen Unrechts einer Handlung während des NS-Regimes lehnt das OLG ausdrücklich ab – und verweist zugleich auf die verfassungsrechtliche Legitimität der bestehenden Verjährungsvorschriften (Art. 3, 14 GG).
Bewertung und Bedeutung
Die Entscheidung ist juristisch stringent und stützt sich auf eine dogmatisch saubere Anwendung der allgemeinen Verjährungsregeln. Sie lässt jedoch den Leser mit einem ambivalenten Gefühl zurück: Einerseits schützt sie die Rechtssicherheit, die der Verjährung zugrunde liegt, andererseits bleibt die moralisch-historische Verantwortung des Rechtsstaats gegenüber Opfern des NS-Unrechts unbeachtet – zumindest in zivilrechtlicher Hinsicht.
Kritisch zu sehen ist insbesondere, dass das Gericht eine grundsätzliche Sperre gegen den Einwand aus § 242 BGB für solche Fälle formuliert und damit den Handlungsspielraum der Judikative bewusst eng zieht. Die implizite Botschaft lautet: Nur der Gesetzgeber kann Wiedergutmachung für NS-Unrecht jenseits des Strafrechts systematisch regeln – die Zivilgerichte sind an bestehendes Recht gebunden.
Fazit
Die Kernaussage des Urteils ist klar: Auch wenn ein Anspruch mit dem NS-Unrecht verknüpft ist, kann die Einrede der Verjährung rechtlich wirksam erhoben werden. Die Einrede des § 242 BGB bietet in diesen Fällen keine ausreichende Grundlage für eine Durchbrechung der Verjährung. Das Urteil setzt damit ein deutliches Zeichen für die Verlässlichkeit formaler Rechtssicherheit – und ruft zugleich nach einer politischen Diskussion über einen angemessenen Umgang mit historischen Gerechtigkeitslücken.
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