Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung

Unter dem Namen „Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz“ (oder auch kurz DokHVG) soll das inhaltlich sicherlich größte Novum für den deutschen Strafprozess kommen: die vollständige audio-basierte Dokumentation der .

Der Schritt war längst überfällig – man hat hierzulande längst den Anschluss an Europa verloren, die Art wie unsere Hauptverhandlungen „dokumentiert“ werden (beim Landgericht in erster Instanz inhaltlich faktisch gar nicht) wirkt veraltet und ist mit der Idee einer transparenten Justiz nicht mehr vereinbar. Wie so oft ist dabei nun schon der erste Schritt an sich so revolutionär, dass man große Sprünge nicht erwarten darf.

Update: Inzwischen ist das Gesetz Mitte November 2023 – mit einigen Anpassungen – beschlossen worden. Im Folgenden werden die wesentlichen Neuerungen vorgestellt. RA Jens Ferner wird die wesentlichen Normen (neue §273ff. StPO) im Beck-Onlinekommentar kommentieren.

Ansatz des Gesetzgebers zur Dokumentation der Hauptverhandlung

Die Idee: Zukünftig ist die Hauptverhandlung „digital zu dokumentieren“. Die Dokumentation erfolgt durch eine Tonaufzeichnung, die automatisiert in ein elektronisches Textdokument (Transkript) zu übertragen ist.

Zur Umsetzung findet man ein relativ einfaches Konzept vor:

  • §271 StPO wird angepasst, um zu regeln, wo und wann der Verlauf der Hauptverhandlung digital Dokumentiert wird
  • §273 StPO wird inhaltlich fast vollständig (und unverändert) in §272 StPO, als weitere Absätze, eingefügt – Ausnahme sind die wesentlichen Förmlichkeiten aus §273 Abs.1 S.1 StPO, das landet in §271 Abs.1 StPO!
  • Der dadurch „frei“ gewordene §273 StPO widmet sich dann der förmlichen Regelung von Ausnahmen von der Aufzeichnung der Hauptberhandlung
  • In den §§273a, b StPO werden die Speicherung und Verwendung der Aufzeichnungen und Transkripte sowie der Zugang zu Aufzeichnungen und Transkripten samt Einsichtnahme und Überlassung geregelt;
  • Im §274 StPO wird ein Absatz zur zulässigen Korrektur anhand der Aufzeichnungen aufgenommen
  • Der §353d StGB wird erweitert, um eine Strafbarkeit beim Verbreiten von Aufzeichnungen aus Hauptverhandlungen zu unterbinden; dies übrigens nicht nur hinsichtlich der erstellten Dokumentation, sondern hinsichtlich aller (auch rechtswidriger) Aufzeichnungen;

Bis wann kommt das: Mit §19 EG-StPO haben die Landesregierungen nun Zeit, um nach eigenem Ermessen die Umstellung bzw. den Umbau der Gerichtssäle anzugehen. Dabei sollte man nicht unterschätzen, dass eine besonders hohe Hürde nicht die Aufnahme an sich ist, auch nicht unbedingt das Transkribieren – sondern vielmehr die Speicherung in einem geordneten System. Die bisherigen Systeme scheitern vielfach bereits am Speichern externer Informationen, etwa wenn ein Angeklagter in einer Hauptverhandlung Bilddateien auf einem USB-Stick überreicht.

Eingeschränkte Dokumentation der Hauptverhandlung

Der Blick in den geplanten §271 II zeigt, dass keineswegs jede Verhandlung dokumentiert werden soll:

Eine Hauptverhandlung, die erstinstanzlich vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfindet, ist zudem (…) digital zu dokumentieren.

BT-Drucksache 20/9359, §271 II S.1 StPO-E

Nun, für Landgerichte ist dies bereits ein Novum – da diese bisher vollkommen intransparent dokumentieren und darüber beraten – bei Amtsgerichten aber bleibt diese Dokumentation außen vor; ebenso in Berufungen. Dies mag sinnvoll erscheinen mit Blick darauf, dass dort (dann weiterhin) ohnehin inhaltliche Protokolle der Hauptverhandlung erstellt werden. Es wird abzuwarten sein, ob die Amtsgerichte die – bis heute weitgehend unbekannte – Möglichkeit der Aufzeichnung der Hauptverhandlung beim AG (in Form der Aufzeichnung iSd §168a II S.2 StPO) verstärkt nutzen.

Spannend wird vor allem dieser dann folgende Teil:

Die Dokumentation erfolgt (…) durch eine Tonaufzeichnung, die automatisiert in ein elektronisches Textdokument (Transkript) zu übertragen ist.

BT-Drucksache 20/9359, §271 II S.2 StPO-E

Das wird, zurückhaltend ausgedrückt, arg lebensfremd: Selbst moderne Spracherkennung funktioniert in den mir bekannten Fällen bei fachlichen juristischen Schriftsätzen schon recht bedingt.

Eine Hauptverhandlung bei einem Landgericht ist dabei nicht zwingend eine gepflegte Diskussionsrunde: Sowohl Verteidiger als auch Staatsanwälte müssen bei ihrer Meinung nach unangebrachten Fragen sofort intervenieren und beanstanden. Da wird weder das Mikrofon zwingend eingeschaltet noch höflich aufgezeigt, sondern man „grätscht rein“. Wie eine Software (bei heutigem technischem Stand) schon alleine den Sprecher identifizieren möchte, geschweige denn bei hektischer Sprechabfolge – vielleicht auch mit wechselnder Intonation und Lautstärke – brauchbar transkribieren möchte, bleibt durchaus fraglich. Jedenfalls, wenn man kritische Hauptverhandlungen vor dem Landgericht „von innen“ kennt. Hinweis: Dies nach hiesigem Eindruck auch unter Berücksichtigung von fortgeschrittenen Opensurce-Lösungen wie OpenAIs Whisper, die ich selber in einer eigenen Entwicklung trainiere und nutze.

Fachanwalt für Strafrecht Ferner zur Dokumentation der Hauptverhandlung, dem Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz“ oder auch kurz DokHVG

Was hier kommt, ist absolut überfällig – der hier begangene Weg wird aber viele Fragen aufwerfen, nicht zuletzt, was eine Dokumentation soll, die am Ende für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Der Blick in die USA zeigt, dass deutsche Ängste hier schlichter Unsinn sind.

DokHVG: Unangetastetes Hauptverhandlungsprotokoll

Einfach nur Schade ist, dass man vollkommen unverändert den bisherigen §273 StPO (als dann umfangreichen §272 StPO) beibehält. Es verbleibt damit dabei, dass zwar vielleicht zukünftig inhaltlich protokolliert wird – aber: Die Verteidigung hat weiterhin keine Möglichkeit, den Inhalt des schriftlichen Protokolls kraft eigener Rechte zwingend zu gestalten. Der in der Praxis faktisch nicht existierende §273 Abs.3 StPO bleibt, wie bisher fortbestehen, sodass weiterhin das Gericht sich „seinen“ Sachverhalt nach seiner Wahrnehmung festschreiben kann – sofern nicht ohnehin aufgezeichnet wird.

Dabei verbleibt es bei dem Grundsatz, der allen Beteiligten von Anfang an besonders wichtig war, dass keine inhaltliche Prüfung auf Richtigkeit in der Revision stattfinden darf. Fraglich dürfte im Gesamtbild dann sein, welche Rolle in Zukunft die Rüge mangelnder Sachaufklärung spielen wird, wenn eine Aufzeichnung von Aussagen problemlos im Widerspruch zu Feststellungen im Urteil steht. Möglicherweise wird sich hier eine ernsthafte „Baustelle“ für Revisionen in Zukunft ergeben, jedenfalls wird der diesen Aspekt nicht dauerhaft ignorieren können.

Prognostisch steht wohl zu erwarten, dass man sich in Urteilen, bei sich aus dem Audio-visuellen Protokoll ergebenden Widersprüchen zu Feststellungen zu diesen Widersprüchen (zwingend) wird äußern müssen, insbesondere warum diese den Feststellungen nicht entgegenstehen. Dieser Grundsatz besteht bisher schon, nur dass ebendiese Würdigungen inhaltlich nicht nachprüfbar sind. Der Arbeitsaufwand für Landgerichte beim Abfassen von Urteilen dürfte in diesem Fall erheblich ansteigen, wäre am Ende aber auch nur Ausdruck einer gewissen .

Änderungen der Revision durch das DokHVG

Ja, man geht auch in die Revision rein – so wird zum einen §344 Abs.2 StPO geändert, der zukünftig so lautet:

Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben und der Fehler in der Rechtsanwendung benannt werden.

Zudem wird §352 StPO geändert, wie folgt:

(1) Der Prüfung des Revisionsgerichts unterliegen nur die gestellten Revisionsanträge und, soweit die Revision auf Mängel des Verfahrens gestützt wird, nur die Tatsachen, die bei Anbringung der Revisionsanträge bezeichnet worden sind. Diese Tatsachen müssen erwiesen sein.

(2) Eine weitere Begründung der Revisionsanträge als die in § 344 Abs. 2 vorgeschriebene ist nicht erforderlich und, wenn sie unrichtig ist, unschädlich.

(3) Zur Prüfung eines behaupteten Verfahrensmangels ist ein Beweisinhalt nur dann heranzuziehen, wenn der Verfahrensmangel daraus ohne weiteres erkennbar ist. Dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn es möglich ist, dass weitere Beweiserhebungen dem Beweisinhalt die maßgebliche Bedeutung für das Urteil genommen haben, oder wenn lediglich Feststellungen oder Wertungen angegriffen werden, die dem Tatgericht vorbehalten sind.

Die Änderungen haben vor allem einen Sinn: Dem Revisionsgericht zu ersparen, sich die gesamte Dokumentation von Amts wegen anzusehen. Vielmehr muss der Revisionsführer konkret vorbringen, wo welcher Beweisinhalt zu finden ist und warum es auf den wirklich ankommt. Insoweit ist zu erinnern, dass die größte Sorge von Anfang an bei dem Thema war, dass man dem BGH zu viel Arbeit macht.

DokHVG: Strafbarkeit rechtswidriger Veröffentlichung

Der Zugang zu den Aufzeichnungen wird nun detaillierter geregelt, als dies im Referentenentwurf noch vorgesehen war. Die §§273a, b StPO machen hierzu Vorgaben und ungewohnt, aber in einer Interessenabwägung nachvollziehbar, wird dort erstmals geregelt, dass Anwälte Zugriff haben, der sich nicht auf die Mandanten erstreckt:

Verteidiger und Rechtsanwälte dürfen Aufzeichnungen, die ihnen im Rahmen der oder nach Absatz 1 zur Verfügung gestellt werden, nicht dem Angeklagten, dem Nebenkläger oder nebenklageberechtigten Verletzten oder einer nach § 403 antragsberechtigten Person überlassen.

BT-Drucksache 20/9359, §273b III StPO-E

Spannend wird der Umgang mit der Dokumentation. Zum einen soll §353d StGB erweitert werden dahin, dass sich strafbar macht, wer

eine Bild-Ton-Aufzeichnung oder Tonaufzeichnung aus einer Hauptverhandlung in Strafsachen oder einer Vernehmung im

a) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder

b) unbefugt weitergibt, wenn diese Weitergabe geeignet ist, eine Person, zu der die Bild-Ton-Aufzeichnung oder die Tonaufzeichnung Angaben enthält, oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr einer gegen sie gerichteten rechtswidrigen Tat gegen Leib, Leben oder die persönliche Freiheit auszusetzen.

Die Formulierung im DokHVG ist ausgefeilt, denn damit ist jegliche Aufzeichnung erfasst – auch die heimlich aus dem Zuschauerraum erstellte. Dabei wird man diskutieren können, ob bei dieser Wortwahl eine „nur Bild“ oder „nur Ton“ Aufzeichnung ausgenommen wäre, was man wohl bei systematischer Auslegung über den Wortsinn hinaus bejahen wird. Hinzu kommt, dass damit die Weitergabe im Mandat schnell eine Straftat sein kann!

Für den Dogmatiker dürfte zudem die Konkurrenz-Situation zu §201 StGB einerseits, aber auch §§22,23, 33 KUrhG andererseits interessant werden. Einiges könnte dafür sprechen, einen neuen §353d Nr.4 StGB als „lex specialis“ zu werten, der die anderen Normen als Auffangnormen verdrängt, was mit Blick auf das KUrhG aber auch zu Diskussionen führen kann.

Umsetzung und Ausblick

Der Referentenentwurf sah eine Umsetzungspflicht bis zum 31.12.2029 für Landgerichte und bis zum 31.12.2025 für Oberlandesgerichte vor. Nun wird durch §19 EG-StPO bis 2030 eine Übergangszeit geschaffen, die die Bundesländer in eigener Autonomie ausgestalten.

Hier kommt ein weiterer Aspekt zum Tragen, der durchaus Sorgen machen darf: Die Justiz ist unterbesetzt und finanziell, gerade im Bereich Digitalisierung, eher schlecht aufgestellt. Ausfälle im Bereich des Networkings sind eher keine Seltenheit – wir Anwälte können ein Lied etwa auch von BEA-Ausfällen singen. Wer weiß, wie in der Politik Geld hin- und hergeschoben wird, muss Sorge haben, ob man die Digitalisierung der Hauptverhandlung zum Teil über den ohnehin nicht üppigen IT-Topf finanziert, der damit noch kleiner wird, auch um die Kosten schönzurechnen – denn die Bundesländer werden nicht allzu begeistert sein, wenn die Justiz noch mehr Geld erhalten soll.

Andersherum wird die Strafverteidigung für die Bürger auch durch das DokHVG nicht besser: Es gibt am Ende noch mehr zu sichten in Revisionen, bei extrem begrenzter Zeit für die Begründung der Rüge. Dabei habe ich oben schon deutlich gemacht, dass es Jahre dauern wird, bis wir klare Linien haben, ob man feststellbare Mängel im Urteil über die formelle oder über die materielle Rüge am ehesten angehen kann. In ersterem Fall wäre weiterhin die – nicht mehr zeitgemäße – Frist von einem Monat der Regelfall. Woher Menschen das Geld haben sollen, einen Strafverteidiger zu bezahlen, in so kurzer Zeit dieses Material zu sichten und zu bearbeiten, womit man parallel weniger andere Fälle bearbeiten kann, bleibt das Geheimnis der Politik. Am Ende wird hier durch ein längst überfälliges Vorhaben vielleicht nur weiter die 3-Klassen-Gesellschaft der Strafverteidigung vorangetrieben.

Dokumente zum DokHVG

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht. Beachten Sie unsere Tätigkeit im Steuerstrafrecht, digitaler gewerblicher Rechtsschutz, IT-Sicherheitsrecht sowie Softwarerecht.