Kommission zur Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (2021)

Der deutsche Strafprozess modernisiert sich nur mühsam und während das Hauptverhandlungsprotokoll im Jahr 2021 immer noch geführt wird, als wären wir im 20. Jahrhundert, und während wir längst Schlusslicht europäischer Rechtsstaaten sind, wird immer noch debattiert, was man denn tun könnte. Immerhin wurde im Juli 2021 der „Abschlussbericht zur Dokumentation der strafgerichtlichen vorgelegt. Mit ernüchternden Erkenntnissen.

Deutsche Richter haben Angst, anders kann man die „Bemühungen“ um das Verhindern der längst überfälligen Reformen nicht mehr aus Sicht eines Verteidigers zur Kenntnis nehmen – Angst vor zu viel Kontrolle, Angst davor, mit eigenen Fehlern im Nachhinein konfrontiert zu werden. Zwar haben auch immer mehr (vor allem junge) Richter verstanden, dass es keine ernsthaften Argumente gegen eine vernünftige Dokumentation der Hauptverhandlung mehr gibt. Doch viel ist das nicht wert, wenn man den ersten Punkt des „Expertenpapiers“ liest:

Für den Fall, dass sich der Gesetzgeber für eine technische Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung entscheidet, wäre eine Tonaufzeichnung, die mittels Transkriptionssoftware verschriftlicht werden sollte, gegenüber einer Bild-Ton-Aufzeichnung vorzugswürdig. Sie trägt dazu bei, kognitiv bedingte Fehler zu
vermeiden, und steht einer Bild-Ton-Aufzeichnung insoweit nicht nach, vermeidet aber deren Risiken und Nachteile.

Natürlich: Bitte keine Videoaufzeichnung, man könnte ja in Zeugenaussagen viel zu viel hineinlesen und plötzlich wäre nachprüfbar, was man sich ansonsten im stillen Kämmerlein auf der Richterbank nur denkt, wenn (angeblich) Zeugen durch ihre Mimik Anhaltspunkte für inhaltliche Deutungen bieten.

Aber letztlich, man braucht sich ja gar nicht zu ärgern, ist jede Zeile, die ich hier schreiben könnte, vollkommen vergebens – denn die Dokumentation der Hauptverhandlung stellt man sich ernsthaft so vor:

Das „Formalprotokoll“ sollte nach überwiegender Auffassung beibehalten und durch die Aufzeichnung und das Transkript ergänzt werden. Entsprechend sollten Aufzeichnung und Transkript nicht Teil des Protokolls werden.

Das ist mehr als nur obskur, es ist lächerlich. Man dokumentiert eine Hauptverhandlung, aber schon jetzt wollen unsere „Experten“ dafür Sorge tragen, dass das auf keinen Fall Teil des Verhandlungsprotokolls wird. Eine Dokumentation also in einem förmlichen Verfahren, damit sie nicht Teil des förmlichen Verfahrens wird.

Es gäbe viel zu schreiben, etwa dazu, dass der Wunsch nach einer automatisierten Transkriptionssoftware erhebliche Risiken birgt; oder dazu, dass die (typisch deutschen) Verweise auf Bedenken hinsichtlich der Persönlichkeitsrechte eher absurd und fachlich kaum nachvollziehbar sind. Aber warum sollte ich hier die Zeit investieren, wenn offenkundig ist, dass man gar nicht vorhat, ernsthaft etwas zu erreichen, sondern sich offenkundig einfach nur Gedanken macht, wie man zusätzliche Arbeit oder Kontrolle verhindern kann? Insoweit schonungslos ehrlich ist das Fazit aus These II.1, die verdeutlicht, wo die größten Sorgen unserer „Experten“ liegen:

Erhebliche Auswirkungen auf die Revision sind durch die Aufzeichnung der Hauptverhandlung nicht zu befürchten, wenn an den bestehenden Grundsätzen des Revisionsverfahrens festgehalten wird.

Dann ist das Wichtigste ja geklärt.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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