Geheimhaltung im Zivilprozess: (Keine) Wahrung von Geheimhaltungsinteressen bei Akteneinsicht durch Streithelfer?

Ich habe eine äusserst spannende Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (I – 2 W 8/18) zur Wahrung von Geheimhaltungsinteressen im Akteneinsichtsverfahren gefunden. Hier ging es konkret um den Streithelfer (nur bei diesem stellt sich für mich bei noch aktueller Rechtsfrage besonders diese Problematik. Das OLG führt hierzu einige Grundsätze aus:

  • Es gilt der Grundsatz, dass jede Partei das Recht auf Einsicht in die Akten ihres Verfahrens hat. Ein eventuelles Geheimhaltungsinteresse einer Partei ist für das Akteneinsichtsrecht des Prozessgegners nach § 299 Abs. 1 ZPO grundsätzlich irrelevant!
  • Die betreffende Partei hat in eigener Verantwortung vor einem ihre Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse offenlegenden Sachvortrag Vorsorge dafür zu treffen, dass mit dem einsichtsberechtigten Prozessgegner eine ihrem Vertraulichkeitsinteresse genügende Geheimhaltungsvereinbarung zustande gekommen ist.
  • Der Geheimnisträger ist aber geschützt und wird nicht benachteiligt, da er von einem seine Geheimnisse aussparenden Sachvortrag keinen Nachteil erleidet: Seine insoweit pauschalen Angaben sind nämlich als prozessual ausreichend und das hierauf bezogene Bestreiten des Gegners als unbeachtlich zu behandeln – sofern der Gegner sich weigert, eine zum Geheimnisschutz notwendige und zumutbare Sicherungsvereinbarung mit dem Prozessgegner zu treffen.
  • Diese Grundsätze gelten auch für den Streithelfer – ausser, der Streithelfer ist erst später in den Prozess eingetreten, dann sind je nach den Umständen Abstriche beim Akteneinsichtsrecht zu machen, da der Geheimnisträger hier naturgemäß nicht vorsorgen konnte. Hier ist dann zu differenzieren: Bei beachtliche Geheimhaltungsbelangen besteht ein nur beschränktes Akteneinsichtsrecht, ansonsten weiterhin ein umfassendes für den Streithelfer.

Hinweis: Sollte irgendwann einmal (endlich) die Know-How- durch das Geschäftsgeheimnisgesetz umgesetzt sein in Deutschland sind insoweit andere rechtliche Umstände zu beachten!

Grundsätzliches Akteneinsichtsrecht für die Parteien

Weil die Parteien nach § 299 Abs. 1 ZPO ohne weitere Voraussetzungen (Bacher in: BeckOK ZPO, a.a.O., § 299 Rn. 24) und ohne Einschränkungen (Wieczorek/Schütze/Assmann, a.a.O., § 299 Rn. 2; Stein/Jonas/Thole, a.a.O., § 299 Rn. 12) Einsicht in die Akten ihres Verfahrens verlangen können, hat die betreffende Partei vor einem ihre Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse offenlegenden Sachvortrag Vorsorge dafür zu treffen, dass mit dem einsichtsberechtigten Prozessgegner eine ihrem Vertraulichkeitsinteresse genügende Geheimhaltungsvereinbarung zustande gekommen ist. Wer als Kläger oder Beklagter ohne entsprechende Sicherungsvorkehrungen frühzeitig vorträgt, nimmt deshalb in Kauf, dass seine Geheimnisse dem Gegner ungeschützt im Wege der bekannt werden.12

Ein eventuelles Geheimhaltungsinteresse der Partei ist entgegen der Auffassung des Landgerichts für das Akteneinsichtsrecht des Prozessgegners nach § 299 Abs. 1 ZPO grundsätzlich irrelevant (vgl. Bacher in: BeckOK ZPO, a.a.O., § 299 Rn. 17.1; Prütting/Gehrlein/Deppenkemper, a.a.O., § 299 Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Assmann, a.a.O., § 299 Rn. 18). Die Partei muss bei Einreichung von Schriftsätzen und anderen Unterlagen deswegen damit rechnen, dass diese den anderen Verfahrensbeteiligten zur Verfügung gestellt werden (Bacher in: BeckOK ZPO, a.a.O., § 299 Rn. 17.1). Das in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Gebot rechtlichen Gehörs verlangt, dass eine Prozesspartei sich zum gesamten dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten Vortrag des Prozessgegners äußern kann. Dies setzt voraus, dass ihr die Angriffs- oder Verteidigungsmittel des Gegners auch vollständig zugänglich gemacht werden (OLG München, NJW 2005, 1130; Senat, Beschluss v. 24.09.2008 – 2 W 57/08, BeckRS 2009, 09220; vgl. auch Senat, Beschluss v. 14.12.2016 – I-2 U 31/16, BeckRS 2016, 114380). Der Prozessgegner hat demgemäß grundsätzlich ein Einsichtsrecht in sämtliche Dokumente (Wieczorek/Schütze/Assmann, a.a.O., § 299 Rn. 18). Glaubt die Partei, einen Anspruch auf Geheimnisschutz reklamieren zu können, so hat sie sich deshalb vorab um das Zustandekommen einer Vertraulichkeitsvereinbarung mit dem Prozessgegner zu kümmern (vgl. auch Kühnen, a.a.O., Kap. E Rn. 441).13

Oberlandesgerichts Düsseldorf, I – 2 W 8/18

Geschäftsgeheimnisse?

Rund um Geschäftsgeheimnisse beraten und verteidigen wir: Unternehmen beim Schutz von Geheimnissen und , wenn der Vorwurf erhoben wird, Daten entwendet zu haben.

Keine Benachteiligung des Geheimnisträgers

Der Geheimnisträger ist durch dieses Prozedere nicht benachteiligt, weil er von einem seine Geheimnisse aussparenden Sachvortrag keinen Nachteil erleidet. Seine insoweit pauschalen Angaben sind nämlich als prozessual ausreichend und das hierauf bezogene Bestreiten des Gegners als unbeachtlich zu behandeln, wenn letzterer sich weigert, eine zum Geheimnisschutz notwendige und zumutbare Sicherungsvereinbarung mit dem Prozessgegner zu treffen. Die betreffende Partei ist in einem solchen Fall zwar nicht gänzlich von ihrer Darlegungspflicht entlastet. Ihr ist es aber gestattet, im Rahmen ihrer Ausführungen und Erläuterungen diejenigen Umstände in einer Detailliertheit auszulassen, dass ihr in Gefahr ist. Sie muss nur vortragen, was sie ohne Gefährdung ihrer berechtigten Geheimhaltungsbelange zu offenbaren imstande ist. In FRAND-Fällen hat eine zu Unrecht verweigerte Vertraulichkeitszusage deshalb zur Konsequenz, dass dem Verletzungskläger nähere, seine Lizenzkonditionen rechtfertigende Erläuterungen gegenüber dem Verletzungsbeklagten in dem Umfang (aber nicht darüber hinaus!) erlassen sind, wie dies zur Wahrung seiner berechtigten Geheimhaltungsinteressen erforderlich ist. Statt detaillierter Informationen sind daher ggf. bloß andeutende Bemerkungen zu machen. Eine aus Gründen des Geheimnisschutzes lückenhafte Argumentationskette muss der Verletzungsbeklagte als ausreichende Erläuterung einer FRAND-Gemäßheit des gegnerischen Lizenzangebotes gegen sich gelten lassen (vgl. Senat, Beschluss v. 18.07.2017 – 2 U 23/17, BeckRS 2017, 118314; Kühnen, a.a.O., Kap. E Rn. 442). Da ein entsprechender Vortrag unter den vorgenannten Umständen ausreicht und ein hierauf bezogenes Bestreiten des Gegners unbeachtlich ist, erleidet der Verletzungskläger im Prozess keinen Nachteil. Auf die beschriebene Weise bleibt das Akteneinsichtsverfahren von (ggf. diffizilen) Erwägungen über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse befreit, in welches sie – wegen § 299 Abs. 1 ZPO – thematisch auch nicht gehören.

Oberlandesgerichts Düsseldorf, I – 2 W 8/18

Ebenfalls Akteneinsichtsrecht für den Streithelfer – ausser er trat später in den Prozess ein

Gleiches gilt prinzipiell für den Streithelfer, dessen einsichtsbegründender Beitritt bei Offenlegung der Geheimnisse bereits erfolgt oder zuverlässig absehbar ist. Auch ihm gegenüber hat der Verletzungskläger Vorkehrungen zum Geheimnisschutz zu treffen, bevor er seine Geheimnisse zum Akteninhalt macht.

Eine Ausnahme von der Belanglosigkeit etwaiger Geheimhaltungsinteressen im Akteneinsichtsverfahren ist allein für denjenigen Streithelfer zu machen, der zu einem Zeitpunkt beitritt, zu dem die Partei ihre geheimhaltungsbedürftigen Informationen, geschützt durch eine mit dem Prozessgegner zustande gekommene Geheimhaltungsvereinbarung, bereits zum Prozess- und Akteninhalt gemacht hat. Hier ist der Streithelfer nicht allein deswegen, weil die Hauptpartei sich zur Vertraulichkeit verpflichtet hat, ebenfalls und unabhängig von der Existenz schützenswerter Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zu einer gleichlautenden Verschwiegenheitsverpflichtung gehalten, so dass ihr eine Akteneinsicht solange zu verweigern ist, wie die fragliche Verpflichtung von ihr nicht eingegangen ist. Zwar darf sich der Streithelfer nicht in Widerspruch zum Prozessverhalten der unterstützten Hauptpartei setzen (§ 67 Abs. 1 ZPO); andererseits ist aber auch die Hauptpartei nicht befugt, den berechtigten Anspruch des Streithelfers auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu verkürzen. Im Akteneinsichtsverfahren des Streithelfers ist deshalb der Frage, ob der Gegner schützenswerte Geheimnisse hinreichend substantiiert dargetan hat, die die eingeforderte Sicherungsmaßnahme erfordern und rechtfertigen, unabhängig davon nachzugehen, ob sich die Hauptpartei dem betreffenden Ansinnen des Gegners gebeugt hat.

Oberlandesgerichts Düsseldorf, I – 2 W 8/18

Akteneinsichtsrecht wenn Geheimhaltungsinteresse ohne Belang

Sind beachtliche Geheimhaltungsbelange zu verneinen, ist deshalb dem Streithelfer (uneingeschränkt) Akteneinsicht zu gewähren, auch wenn er selbst zu keiner Geheimhaltungszusage bereit ist. Aus der Tatsache einer Vertraulichkeitsvereinbarung zwischen den Prozessparteien kann nicht ohne weiteres auf ihre sachliche Notwendigkeit und Berechtigung geschlossen werden. Denn der Beklagte, der sich einem entsprechenden Verlangen des Klägers widerspruchslos beugt, kann dazu aus ganz besonderen Umständen motiviert sein, z.B. dadurch, dass er selbst Inhaber von SEP ist, so dass er bei nächster Gelegenheit in umgekehrter Parteirolle in ein Gerichtsverfahren involviert ist, in dem er von seinem Gegner eine gleich gelagerte Verschwiegenheitszusage einfordern will, weswegen er jetzt kein Interesse an einer gerichtlichen Klärung hat, die ihm demnächst in anderer Rolle als Kläger schadet.

Oberlandesgerichts Düsseldorf, I – 2 W 8/18

Beachtliche Geheimhaltungsbelange: Beschränktes Akteneinsichtsrecht

Sind beachtliche Geheimhaltungsbelange der Partei hingegen zu bejahen, kommt nur eine eingeschränkte, die Geheimnisse aussparende Akteneinsicht des Streithelfers in Betracht, weil die Folgen einer vom Streithelfer ohne triftigen Grund verweigerten Geheimhaltungszusage diesen treffen müssen. Zwar ist der Streithelfer am Prozessgeschehen zu beteiligen (§ 71 Abs. 3 ZPO), andererseits muss jedoch im Interesse des sich offenbarenden Prozessgegners ein Geheimnisschutz auch im Verhältnis zu ihm sichergestellt werden. Da der Verletzungsbeklagte nicht für das Verhalten seines Streithelfers verantwortlich ist, auf das er im Zweifel keinerlei Einfluss hat, ist es ausgeschlossen, ihm (dem Verletzungsbeklagten) die Weigerung seines Streithelfers anzulasten. Die Folgen einer vom Streithelfer ohne triftigen Grund verweigerten Geheimhaltungszusage müssen daher nach dem Verursacherprinzip den Streithelfer treffen. Den rechtlichen Ansatzpunkt hierfür bietet der Grundsatz, dass sich der Streithelfer nicht in Widerspruch zu dem Prozessverhalten der unterstützten Partei setzen darf (§ 67 ZPO). Das schließt ein, dass sich der Streithelfer einem berechtigten Geheimhaltungsverlangen nicht widersetzt, dem die unterstützte Hauptpartei im Interesse ihrer Prozessführung im Verletzungsrechtsstreit Rechnung zu tragen gewillt ist (Kühnen, a.a.O., Kap. E Rn. 443). Daraus und aus dem gleichzeitigen Erfordernis eines Geheimnisschutzes auch gegenüber dem Streithelfer ist zu folgern, dass der Streithelfer im Prozess von den geheimhaltungsbedürftigen Informationen, deren Vertraulichkeit er grundlos nicht zusichern will, ausgeschlossen bleiben muss. Der Anspruch des Streithelfers auf rechtliches Gehör erleidet mithin in dem Umfang eine Einschränkung, in dem er sich den berechtigten Geheimhaltungsbelangen der Prozessparteien widersetzt (Kühnen, a.a.O., Kap. E Rn. 443). Das hat zur Konsequenz, dass entsprechende Informationen auch von seinem Akteneinsichtsrecht nach § 299 Abs. 1 ZPO ausgenommen sind.

Oberlandesgerichts Düsseldorf, I – 2 W 8/18
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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