Die neue DNA des Verbrechens: Erkenntnisse aus dem EU-SOCTA 2025

Von geopolitischer Instrumentalisierung über Cybercrime bis KI-gestützte Gewaltökonomie – der aktuelle „Serious and Organised Crime Threat Assessment“ der EU (EU-SOCTA 2025) zeigt mit analytischer Schärfe: ist längst kein Randphänomen mehr. Sie durchdringt Gesellschaft, Wirtschaft und Staatlichkeit – und sie verändert sich rapide. Wer strategisch denken will, muss verstehen, wie sich die DNA des Verbrechens neu zusammensetzt.

1. Eine doppelte Bedrohung: Kriminalität als Systemrisiko

Organisierte Kriminalität destabilisiert die Gesellschaft auf zwei Ebenen:

  • Intern durch Korruption, Geldwäsche, Gewalt und infiltrierte Wirtschaftsstrukturen;
  • Extern durch die Instrumentalisierung krimineller Netzwerke durch hybride Bedrohungsakteure – also staatliche oder quasistaatliche Akteure, die gezielt , Cyberangriffe oder Waffenhandel über kriminelle Netzwerke betreiben.

Europol betont, dass diese „Woodpecker-Taktik“ – ein kontinuierliches Aushöhlen durch viele kleine, gezielte Störungen – das Vertrauen in staatliche Strukturen nachhaltig untergräbt.

2. Das Internet als Nährboden der Kriminalität

Digitale Räume sind nicht mehr nur „Schauplatz“, sondern primärer Handlungsraum:

  • Cybercrime-as-a-Service senkt Einstiegshürden für Kriminalität drastisch;
  • Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wird systematisch genutzt, um Strafverfolgung zu entgehen;
  • Stolen Data Markets und digitale Geldwäschesysteme (z. B. via DeFi oder NFTs) schaffen parallele Ökonomien.

Daten sind die neue Ressource – begehrt von kriminellen wie hybriden Akteuren. Ihre Mehrfachverwertung und Weiterveräußerung in „Crime-as-a-Service“-Ökosystemen wird zur ernsthaften Herausforderung für Ermittlungen und Opferschutz.

3. Kriminalität im Zeitalter von KI und Quantentechnologie

Die dritte Dimension der neuen Verbrechens-DNA ist der technologische Beschleuniger. Künstliche Intelligenz, Deepfakes, Stimmklone und automatisierte Social-Engineering-Systeme verändern kriminelle Praktiken:

  • Erstellung von -Kampagnen, Malware und Fake-Identitäten in Sekunden;
  • Einsatz von KI zur Auswertung großer Datenmengen und Zielgruppenselektion;
  • „Store now, decrypt later“-Strategien mit Blick auf künftige Quantencomputer.

Diese Entwicklung erlaubt ein Maß an Skalierung, Effizienz und Tarnung, das klassische Ermittlungsansätze zunehmend ins Leere laufen lässt.

4. Taktiken der organisierten Kriminalität: Mehr als nur Schattenökonomie

Geldwäsche und parallele Finanzsysteme

Kriminelle Netzwerke investieren systematisch in eine eigene Finanzinfrastruktur – von Shell Companies über Kryptodienste bis zu undurchsichtigen Freihandelszonen. Trotz gesetzlicher Reformen bleiben die Rückgewinnungsraten beschämend niedrig: Lediglich 2 % der kriminellen Erträge werden beschlagnahmt.

Infiltration legaler Unternehmen

Der Bericht zeigt eindrücklich, wie legale Geschäftsstrukturen als Vehikel für Verbrechen fungieren: zur Tarnung, zur Vermögensverlagerung, zur Einflussnahme. Besonders gefährdet sind der Bau- und Immobiliensektor, die Logistik sowie bargeldintensive Branchen.

Korruption als Systemelement

Korruption ist kein Beiwerk – sie ist integraler Bestandteil krimineller Strategie. Sie ermöglicht Zugang zu Informationen, verschafft Auftragsvergaben und hebelt Kontrollmechanismen aus. Besonders kritisch ist die zunehmende Digitalvermittelte Korruption, etwa durch Krypto- oder gezielte Anwerbung über Plattformen.

Gewalt-als-Dienstleistung

Gewalt ist nicht nur Begleiterscheinung, sondern Dienstleistungsmodell: Über Onlinekanäle werden Auftragsmorde, Einschüchterung oder Sprengstoffanschläge organisiert – oft durch Jugendliche, die über soziale Medien angeworben werden. Die Fragmentierung von Täter- und Auftraggeberstrukturen erschwert die Attribution und erhöht die gesellschaftliche Verunsicherung.

5. Jugendliche als Ressource: Kriminelle Rekrutierungsstrategien

Mit Sorge beschreibt Europol die systematische Rekrutierung Minderjähriger für verschiedenste Aufgaben:

  • Als Drogenkuriere und Geldwäscher;
  • Als Social-Media- für Fake-Shops oder Investmentbetrug;
  • Als Ausführende von Gewalttaten – bis hin zum .

Digitale Plattformen dienen dabei als zentrale Infrastruktur. Besonders gefährlich: die Verknüpfung mit extremistischen Gruppen, die Kinder gezielt indoktrinieren und für sadistische Inhalte instrumentalisieren.

6. Der geopolitische Faktor: Organisierte Kriminalität als Stellvertreterinstrument

Ein zentrales Narrativ des EU-SOCTA 2025 ist die Verbindung zwischen kriminellen Netzwerken und staatlich gesteuerten hybriden Akteuren. Ob Cyberangriffe, Drogenflut oder Waffenschmuggel – viele dieser Aktivitäten dienen nicht nur der Bereicherung, sondern dem politischen Ziel der Destabilisierung westlicher Demokratien. Staaten wie Russland, Iran oder werden – implizit – als Drahtzieher benannt.

Staatliche Hacker im Überblick

Zu den bedeutsamsten internationalen Akteuren gehören vor allem staatliche Akteure aus Russland, China und Iran. Diese Länder setzen verschiedene Taktiken ein, um ihre geopolitischen Interessen zu fördern und die Stabilität der europäischen Demokratien zu untergraben.

Neben den im Folgenden benannten Hauptakteuren gibt es auch andere Länder und nichtstaatliche Akteure, die versuchen, Wahlen in Europa zu beeinflussen. Dazu gehören beispielsweise Gruppen, die im Auftrag von Regierungen oder aus eigenem Interesse handeln, um bestimmte politische Agenden voranzutreiben. Diese Akteure nutzen eine Vielzahl von Methoden, darunter Cyberangriffe, Desinformation, wirtschaftlichen Druck und diplomatische Manöver, um ihre Ziele zu erreichen. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten stehen vor der Herausforderung, diese Bedrohungen zu erkennen und abzuwehren, um die Integrität ihrer demokratischen Prozesse zu schützen.

Russland

Russland ist bekannt für seine umfangreichen Desinformationskampagnen und Cyberangriffe, die darauf abzielen, das Vertrauen in demokratische Prozesse zu schwächen. Zu den bekanntesten Beispielen gehört die Beeinflussung der US-Wahlen 2016 sowie die Versuche, die Brexit-Abstimmung zu beeinflussen. Russische Akteure nutzen häufig Social-Media-Plattformen, um falsche Informationen zu verbreiten und gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen.

China

China setzt zunehmend auf Cyberangriffe und Desinformationskampagnen, um seinen Einfluss in Europa auszubauen. Chinesische Hackergruppen sind dafür bekannt, Wirtschaftsspionage zu betreiben und sensible Informationen zu stehlen, die dann genutzt werden können, um politische Entscheidungen zu beeinflussen. Zudem versucht China, durch die Verbreitung von pro-chinesischen Narrativen in den Medien die öffentliche Meinung in Europa zu manipulieren.

Iran

Iranische Akteure nutzen ebenfalls Desinformationskampagnen und Cyberangriffe, um ihre geopolitischen Ziele zu verfolgen. Diese Kampagnen zielen oft darauf ab, die Politik der USA und ihrer Verbündeten in Europa zu destabilisieren. Iranische Hackergruppen greifen dabei auf ähnliche Techniken zurück wie ihre russischen und chinesischen Gegenstücke.

Nordkorea

Nordkorea ist ein weiterer internationaler Akteur, der versucht, durch Cyberaktivitäten Einfluss auf Wahlen und politische Prozesse weltweit zu nehmen, einschließlich in Europa. Während Nordkorea im Vergleich zu Russland, China und Iran weniger im Fokus steht, gibt es dennoch bedeutende Aktivitäten, die von nordkoreanischen Akteuren ausgehen. Nordkorea nutzt auch Desinformation, um seine geopolitischen Ziele zu fördern und politische Unruhen zu schüren. Während es weniger dokumentierte Fälle von direkter Wahlbeeinflussung durch Nordkorea gibt, nutzt das Regime dennoch Cyberoperationen, um politischen Druck auszuüben und seine Interessen zu wahren, etwa durch Veröffentlichung von kompromittierenden Informationen über politische Kandidaten oder die Verbreitung von Propaganda.


Fazit: Was tun?

Die EU-SOCTA 2025 liefert eine klare Botschaft:
Organisierte Kriminalität ist nicht mehr nur ein strafrechtliches, sondern ein strategisches Sicherheitsproblem. Sie erfordert:

  • Mehr ressortübergreifende Zusammenarbeit, besonders mit Blick auf Cyber- und Wirtschaftskriminalität;
  • Stärkere Verknüpfung von Innen- und Außenpolitik;
  • Technologische Resilienz und innovationsfähige Sicherheitsbehörden;
  • Und nicht zuletzt: eine gesamtgesellschaftliche Wachsamkeit, die Vertrauen in Rechtsstaat und Demokratie stärkt.
Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

Erreichbarkeit: Per Mail, Rückruf, Threema oder Whatsapp.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung.
Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht - zertifizierter Experte in Krisenkommunikation & Cybersecurity)
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