Es rumort im Hintergrund – und wer genau hinhört, der weiß: Die Zeit, in der Betroffene sich hinter Aktenbergen und langen Verfahrensdauern verschanzen konnten, neigt sich dem Ende zu. Nach Jahren politischer Verzögerung, struktureller Trägheit und behördlicher Ressourcenknappheit beginnt sich die Lage zu verändern. Nicht dramatisch. Nicht über Nacht. Aber spürbar. Es ist die Art von Bewegung, die leise beginnt – und dann plötzlich Fahrt aufnimmt.
Der aktuelle Diskurs über Cum/Ex- und Cum/Cum-Fälle zeigt, wie sehr das Thema wieder in den Vordergrund rückt. Öffentlich-rechtliche Sendeanstalten produzieren aufwendig gestaltete Dokumentationen. Ehemalige Spitzenkräfte der Justiz treten mit Nachdruck ins Rampenlicht. Neue politische Allianzen formieren sich und kündigen entschlossene Maßnahmen an. Wer sich auf den Standpunkt zurückzieht, dass sich „eh nichts tut“, sitzt einer gefährlichen Illusion auf.
Die Justiz formiert sich – und sucht Exempel
Was derzeit zu beobachten ist, ist keine bloße juristische Aufarbeitung mehr. Es ist ein politisches Signal, das ausgesendet wird. Und dieses Signal lautet: Jetzt soll geliefert werden. Die neue Bundesregierung steht unter Erwartungsdruck. Und mit ihr die Strafverfolgungsbehörden, denen in den letzten Jahren häufig genug Versäumnisse attestiert wurden. Die Kritik am „Stillstand der Strafverfolgung“ – besonders eindrucksvoll inszeniert durch das leer stehende, millionenteure Cum-Ex-Gerichtsgebäude – will man offenbar nicht länger auf sich sitzen lassen.
Es entsteht bei mir der Eindruck, dass sich einzelne Akteure aus Justiz und Politik besonders hervortun möchten. Öffentlichkeitsscheue Zurückhaltung, bei Staatsanwälten und Richtern eigentlich zu erwarten, ist passé – heute wird mit ausgestrecktem Finger auf noch nicht angeklagte, aber umso lautstärker moralisch verurteilte Zielgruppen gezeigt. Das schafft ein Klima, in dem Strafverfolgung nicht mehr nur als Rechtsanwendung verstanden wird, sondern auch als Bühne für Haltung. Das wäre unproblematisch, wenn nicht zugleich eine gefährliche Asymmetrie entstünde: Während große Verfahren ins Stocken geraten, geraten kleinere Fälle verstärkt ins Visier – offenbar, weil sie sich schneller, effektiver und mit weniger Risiko abarbeiten lassen.
Die Ruhe trügt. Aber sie wird bald enden.
Die Verteidigung muss sich anpassen
Das Ganze ist ein Weckruf zur aktiven Verteidigung: Wer nun glaubt, es reiche weiterhin aus, mit den bekannten Floskeln der steuerlichen Grauzone oder mit dem Verweis auf längst vergangene Gutachten aufzutreten, verkennt die Realität. Das OLG Frankfurt hat unlängst klargemacht, dass die Berufung auf angeblich gelebte Rechtstreue in steuerlichen Grenzbereichen nicht genügt, um dem Vorwurf der Steuerhinterziehung wirksam zu begegnen. Dass jemand geglaubt habe, „alles sei legal“, reicht nicht mehr aus, um eine Eröffnung des Hauptverfahrens zu verhindern.
Gefragt ist eine neue, stilvolle Verteidigungskultur – eine, die auf Kommunikation basiert. Auf Augenhöhe. Mit klarem Verständnis für die Dynamik öffentlicher Wahrnehmung. Denn diese Wahrnehmung wird zunehmend über journalistische Formate geprägt, nicht mehr nur über juristische Schriftsätze. Wer die öffentliche Bühne ignoriert, überlässt sie anderen. Und riskiert, dass das eigene Verfahren zum exemplarischen „Fall“ gemacht wird. Dabei ist zu erinnern, dass in diesen Verfahren ja eben nicht allein “eine Strafe” droht, sondern eben auch die Vermögensabschöpfung (“Einziehung“), die absolut ruinös sein kann. Eine Verteidigungsstrategie muss daher beides im Blick haben.
Passen Sie sich an!
Niemand hat ein Interesse daran, dass Strafverfahren zu Tribunalen verkommen. Und doch liegt es in der Natur politisch aufgeladener Konstellationen, dass sie anfällig sind für Symbolhandlungen. In solchen Momenten ist es umso wichtiger, als Verteidiger nicht nur rechtlich versiert, sondern auch kommunikativ präsent zu sein. Wer heute noch meint, Zeit spiele für ihn, könnte bald feststellen, dass sie sich längst gegen ihn gewendet hat. Und “einfach nur hoffen” ist keine Strategie, manchmal ist die Taube in der Hand mehr wert, auch wenn es eine Kröte ist, die man schlucken muss.
Schweigen ist keine Strategie
Die Vorstellung, man könne sich einfach wegducken, die Augen schließen und hoffen, dass das Verfahren vorbeizieht, ist trügerisch. Es sind genau jene Fälle, die jahrelang ruhen, in denen sich plötzlich die Türen zur Hauptverhandlung öffnen – oft überraschend und mit Nachdruck. Die angekündigten Gesetzesänderungen, die organisatorische Neuaufstellung von Ermittlungsbehörden und das verstärkte politische Momentum weisen in eine eindeutige Richtung. Und Ihre Verteidigung muss das im Blick haben, ab sofort sollten Pragmatismus und Schadensbegrenzung die strategischen Mittel der Wahl sein – auch wenn sie weh tun.
Jetzt ist die Zeit, sich aktiv zu positionieren. Jetzt ist der Moment, einen realistischen Blick auf die eigene Verfahrenslage zu werfen. Und: Jetzt ist der Zeitpunkt, juristische Strategien zu überdenken, die in der Vergangenheit vielleicht tragfähig waren, heute aber nur noch resignierte Abwehrkämpfe sind.
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