Cum/Ex-ähnliche Steuergestaltung: OLG Frankfurt lässt Anklage wegen Steuerhinterziehung zu

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat in einem bemerkenswerten Beschluss vom 10. Dezember 2024 (Az. 3 Ws 231/24) entschieden, dass das Hauptverfahren wegen des Vorwurfs der im Kontext einer komplexen Steuergestaltung gegen mehrere Angeschuldigte eröffnet werden muss. Die Entscheidung erging auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wiesbaden hin, nachdem das Landgericht Wiesbaden die Eröffnung zunächst abgelehnt hatte. Der Fall wirft ein scharfes Licht auf die Frage, welche Anforderungen an die steuerrechtliche Offenlegung bei sog. Steuervermeidungsmodellen zu stellen sind – insbesondere in der Nähe zur Cum/Ex-Problematik.

Sachverhalt

Den fünf Angeschuldigten wird vorgeworfen, zwischen 2004 und 2006 in drei Fällen gemeinschaftlich durch unrichtige oder unvollständige Angaben in Körperschaftsteuererklärungen Steuern in erheblichem Umfang hinterzogen zu haben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 AO). Die Gestaltung betraf Transaktionen zwischen zwei Banken, in deren Rahmen Aktien rund um den Dividendenstichtag gehandelt und als Sicherheiten hereingenommen wurden. In den Steuererklärungen wurde geltend gemacht, wirtschaftliches Eigentum an den Aktien erlangt zu haben, um in den Genuss des – mittlerweile abgeschafften – steuerlichen Dividendenprivilegs zu kommen.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft – und nun auch des OLG Frankfurt – handelt es sich hierbei um eine nur formal begründete Eigentumsposition ohne substanzielle wirtschaftliche Substanz. Die Finanzbehörden seien über zentrale Elemente der Vertragsgestaltung im Unklaren gelassen worden, was einer steuerstrafrechtlich relevanten Täuschung gleichkomme.

Rechtliche Bewertung

Das OLG Frankfurt hebt mit klarer Argumentation hervor, dass der für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderliche „hinreichende Tatverdacht“ (vgl. § 203 ) gegen alle Beteiligten vorliegt. Das Landgericht habe bei seiner ablehnenden Entscheidung verkannt, dass im Rahmen der Eröffnungsentscheidung keine vollständige Beweiswürdigung zu erfolgen habe, sondern lediglich eine Prognoseentscheidung darüber, ob die Verurteilung wahrscheinlich erscheint.

Besonders bedeutsam ist die Begründung hinsichtlich der Anforderungen an die Offenlegung steuerlich erheblicher Tatsachen. Das Gericht stellt klar, dass ein Steuerpflichtiger – gerade bei rechtlich zweifelhaften Gestaltungen – verpflichtet ist, alle für die steuerliche Würdigung relevanten Umstände offenzulegen. Dies umfasse nicht nur wirtschaftlich günstige Elemente, sondern insbesondere auch solche Aspekte, die gegen die beanspruchte Steuerprivilegierung sprechen könnten.

Die Einlassung, dass man sich auf externe Gutachten gestützt habe, genügt nach Auffassung des Gerichts nicht, um den Tatvorsatz auszuschließen. Die Gutachten seien entweder unvollständig, nicht auf den Einzelfall bezogen oder in einer Weise beeinflusst worden, die eine objektive Bewertung unmöglich mache. Besonders kritisch wertete das Gericht den Versuch, steuerrechtlich relevante Details durch selektive Darstellung in umfangreichen Anlagen zu verschleiern.

Rechtsanwalt Ferner zur Strafverteidigung in Cum-Ex-Verfahren

Kluge Verteidigung?

Die Entscheidung des OLG Frankfurt steht exemplarisch für eine zunehmende juristische Sensibilisierung im Umgang mit steueroptimierten Gestaltungskonzepten an der Grenze zur Strafbarkeit. Das Gericht lässt keinen Zweifel daran, dass es bereits lange vor den Cum/Ex-Urteilen des BGH einen belastbaren Maßstab gab, der eine umfassende steuerliche Offenlegungspflicht begründet. Insofern markiert das Urteil auch einen weiteren Mosaikstein im Ringen um rechtsstaatliche Kontrolle in steuerlich besonders sensiblen Bereichen.

Die Quintessenz zeigt: Die Verteidigung mit dem Verweis auf die damals fehlende höchstrichterliche Klarheit greift nicht. Wer sich auf Steuergestaltungsmodelle einlässt, muss sich nicht nur mit deren wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen auseinandersetzen, sondern auch mit einer umfassenden Wahrheitspflicht gegenüber dem Fiskus. Die Verteidigung in diesen Verfahren sollte sich daher von – mittlerweile ermüdenden – 08/15-Diskussionen verabschieden und auf eine angemessene Kommunikation setzen. Sowohl der Mandant als auch der Verteidiger müssen erkennen, dass der Zug abgefahren ist und man entweder zielorientiert verteidigt oder den Mandanten in den Knast bringt (und im Hinblick auf die ruiniert).

Besonderheiten der Entscheidung

Eine zentrale Rolle spielt die Frage, ob das sogenannte wirtschaftliche Eigentum an den Aktien übergegangen war. Dabei verweist das Gericht auf bereits vor dem eigentlichen Cum/Ex-Komplex entwickelte Grundsätze zur wirtschaftlichen Betrachtungsweise (§ 39 AO) und zum Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO). Die Angeschuldigten hätten insbesondere Angaben zu Substanzrisiken, Verfügungsbefugnissen, Stimmrechten und Provisionszahlungen unterlassen, die zur Prüfung des Vorliegens einer rein steuerlich motivierten und wirtschaftlich unvernünftigen Gestaltung erforderlich gewesen wären.

Das OLG betont ferner, dass auch ein hoher Grad an Professionalisierung und die Einbindung von Rechts- und Steuerberatern keinen Freibrief darstellt. Wer – wie hier – steuerlich zweifelhafte Modelle umsetzt und bewusst kritische Umstände verschweigt, muss sich dem Verdacht vorsätzlicher Steuerhinterziehung stellen.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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