BGH zur Schutzfähigkeit von Birkenstock-Sandalen

Kein Urheberrechtsschutz für Designikonen? Mit zwei am selben Tag ergangenen Urteilen hat der (BGH) am 20. Februar 2025 (Az. I ZR 17/24Birkenstock I und I ZR 18/24Birkenstock II) zentrale Maßstäbe für den urheberrechtlichen Schutz von Gebrauchsgegenständen, konkret: von Schuhdesigns, klargestellt. Im Zentrum standen dabei die ikonischen Modelle „Gizeh“, „Boston“ und „Arizona“ der Birkenstock-Gruppe. Die Klägerin begehrte ein umfassendes Unterlassungs- und Auskunftsprogramm gegen Anbieter vergleichbarer Sandalen – und scheiterte letztinstanzlich in vollem Umfang.

Die Entscheidungen werfen ein scharfes Licht auf die anspruchsvollen Hürden für den Schutz von Produkten der angewandten Kunst im Urheberrecht und verdeutlichen zugleich die europarechtlich geprägte Engführung des Werkbegriffs.

Ausgangspunkt: Der Streit um Ikonen der Schuhmode

Die Klägerin, ein Unternehmen der Birkenstock-Gruppe, machte geltend, dass die Gestaltung der Sandalenmodelle „Gizeh“, „Boston“ und „Arizona“ eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG darstelle. Sie verwies dabei auf die von Karl Birkenstock stammende Formgestaltung, die Knochenmustersohle, das reduzierte sowie die vermeintlich stilbildende Materialauswahl. All dies, so die Klägerin, begründe ein urheberrechtlich geschütztes Werk.

Das Landgericht Köln gab den Klagen teilweise statt, das wies sie in der Berufung vollständig ab. Die Revisionsinstanz bestätigte diese Abweisung nun durch den BGH in zwei bemerkenswert ausführlich begründeten Urteilen.

Die dogmatische Kernfrage: Was ist ein „Werk“?

Beide Urteile kreisen um den urheberrechtlichen Werkbegriff im Schnittfeld von Design und Kunst. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, zuletzt in der Entscheidung Cofemel (C-683/17), genügt für die Schutzfähigkeit eines Gegenstands nicht dessen ästhetische Wirkung allein. Es bedarf vielmehr einer eigenpersönlichen Schöpfung, die Ausdruck freier kreativer Entscheidungen des Urhebers ist – mithin eine Leistung, die über rein funktionale, technische oder modisch motivierte Gestaltung hinausgeht. Genau an diesem Punkt scheiterten die Birkenstock-Modelle.

Der BGH differenziert sorgfältig zwischen funktional oder modisch motivierter Gestaltung einerseits und künstlerischer Ausprägung andererseits. Entscheidend ist dabei nicht nur die Existenz eines Gestaltungsspielraums, sondern dessen künstlerische Ausfüllung. Das Design müsse die Individualität seines Schöpfers widerspiegeln und sich so vom bloßen Industrieprodukt lösen. Dies vermochte das Gericht in den vorliegenden Fällen nicht zu erkennen.


Funktionale Gestaltung als urheberrechtliches Ausschlusskriterium

Gerade bei Gebrauchsgütern wie Schuhen ist der Gestaltungsspielraum durch technische, ergonomische und kommerzielle Anforderungen oftmals eingeschränkt. Der BGH betont, dass bei diesen Gegenständen ein Urheberrechtsschutz nur dann in Betracht komme, wenn die formbildenden Elemente eine eigenschöpferische Gestaltungsleistung jenseits technischer Notwendigkeiten erkennen lassen.

Im Fall von Birkenstock war dies nach Auffassung des Gerichts nicht gegeben. Weder die Form der Riemen noch die charakteristische Sohle oder das sichtbare Korkfußbett seien Ausdruck künstlerischer Kreativität, sondern Ergebnis technischer, ergonomischer und marktstrategischer Überlegungen. Das Gericht würdigte zwar die große Bekanntheit und ikonische Wirkung der Modelle – verwies aber zutreffend darauf, dass Popularität kein Indiz für Werkqualität im urheberrechtlichen Sinne ist.

Keine Kumulation mit Geschmacksmusterrecht

Die Entscheidungen unterstreichen erneut die Trennung von Design- und Urheberrechtsschutz. Auch wenn für bestimmte Gestaltungen eine Eintragung als oder Design möglich ist, folgt daraus kein Automatismus für den urheberrechtlichen Schutz. Beide Schutzsysteme verfolgen unterschiedliche Ziele: Das Designrecht sichert die äußere Erscheinungsform für einen begrenzten Zeitraum, das Urheberrecht hingegen schützt persönliche geistige Leistungen auf unbestimmte Zeit.

Eine Kumulation ist nur dort zulässig, wo die Anforderungen beider Schutzarten erfüllt sind. Der BGH bleibt insofern auf Linie mit dem EuGH und betont, dass eine bloß modisch-ästhetische Wirkung keinesfalls ausreicht, um ein „Werk“ im Sinne des Urheberrechts zu begründen.

In ihrer Quintessenz setzen die Entscheidungen Birkenstock I und Birkenstock II einen markanten Schlusspunkt hinter eine langjährige Debatte: Auch gestalterisch anspruchsvolle und weithin wiedererkennbare Gebrauchsgegenstände genießen nicht automatisch Urheberrechtsschutz. Maßgeblich bleibt die individuelle künstlerische Ausdruckskraft, nicht das Markenerlebnis oder die Designtradition.

Fazit

Diese Entscheidungen mahnen zur rechtlichen Klarheit im Designschutz: Wer gestalterische Leistungen schützen will, sollte nicht auf das Urheberrecht setzen, sondern rechtzeitig Geschmacksmuster- bzw. Designschutz anmelden – denn dieser ist gerade für die Massengüterästhetik geschaffen. Zugleich demonstriert der BGH ein hohes Maß an dogmatischer Stringenz: Der Werkbegriff wird unionsrechtskonform fortentwickelt und bleibt konsequent auf das beschränkt, was das Urheberrecht schützen will – die schöpferische Persönlichkeit in ihrer künstlerischen Ausprägung.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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