Mit Beschluss vom 27. November 2024 (Az. 3 StR 308/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine praxisrelevante Entscheidung zur prozessualen Zulässigkeit der Einführung von Beweismitteln in die Hauptverhandlung getroffen. Konkret ging es um die Frage, ob das Landgericht Krefeld in einem Betrugsverfahren eine schriftliche Tabelle als Beweismittel ordnungsgemäß durch Vorhalt gegenüber einer Zeugin in die Hauptverhandlung eingeführt hatte oder ob eine förmliche Verlesung erforderlich gewesen wäre.
Der BGH bestätigte die Vorgehensweise des Landgerichts und stellte klar, dass eine schriftliche Urkunde nicht zwingend verlesen werden muss, wenn ihr Inhalt durch eine Befragung eines sachverständigen Zeugen hinreichend in den Inbegriff der Hauptverhandlung eingeführt wird.
Sachverhalt
Dem Angeklagten, einem ehemaligen Geschäftsführer eines international tätigen Metallbauunternehmens, wurde vorgeworfen, in 36 Fällen Forderungen bei einer Factoring-Bank angemeldet zu haben, die tatsächlich nicht existierten. Auf diese Weise verschaffte sich sein Unternehmen unrechtmäßig Liquidität.
Das Landgericht Krefeld verurteilte ihn wegen Betrugs. Gegen das Urteil legte der Angeklagte Revision ein und rügte insbesondere einen Verstoß gegen den „Inbegriff der Hauptverhandlung“ (§ 261 StPO).
Er argumentierte, dass eine zentrale Tabelle mit relevanten Buchungsdaten nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei, weil sie nicht förmlich verlesen, sondern lediglich einer Zeugin vorgehalten wurde. Diese Zeugin, eine Justizangestellte, hatte die Tabelle selbst erstellt und erläuterte deren Inhalt während ihrer Vernehmung. Der BGH wies die Revision als unbegründet zurück und stellte fest, dass das Landgericht ordnungsgemäß verfahren hatte.
Rechtliche Würdigung durch den BGH
1. Der Grundsatz des „Inbegriffs der Hauptverhandlung“ (§ 261 StPO)
Nach § 261 StPO darf das Gericht seine Überzeugungsbildung nur auf das stützen, was in der Hauptverhandlung zur Sprache gekommen ist. Der Inhalt schriftlicher Unterlagen muss daher ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt werden.
Dies kann entweder durch eine förmliche Verlesung (§ 249 StPO) oder durch eine Erörterung mit einem Zeugen geschehen. Letzteres setzt jedoch voraus, dass der Zeuge den Inhalt der Unterlage aus eigener Sachkenntnis bestätigen kann.
2. Abgrenzung zwischen Vorhalt und Verlesung
Der BGH bestätigte, dass das Landgericht die Buchungstabelle korrekt in die Hauptverhandlung eingeführt hatte. Die Tabelle wurde einer sachverständigen Zeugin vorgelegt, die sie selbst erstellt hatte und deren Inhalt detailliert erklärte.
Der BGH stellte klar, dass ein Beweismittel nicht zwingend verlesen werden muss, wenn sein Inhalt durch eine Zeugenaussage vollständig in die Hauptverhandlung eingebracht wird. Eine Verlesung wäre nur erforderlich gewesen, wenn die Zeugin nicht in der Lage gewesen wäre, den Inhalt der Tabelle aus eigener Kenntnis zu erläutern oder wenn die Tabelle zu komplex gewesen wäre, um ohne Verlesung vollständig erfasst zu werden.
3. Kein Verstoß gegen das faire Verfahren
Der BGH wies auch das Argument des Angeklagten zurück, dass durch die fehlende Verlesung der Tabelle seine Verteidigungsrechte verletzt worden seien.
Das Gericht betonte, dass eine ordnungsgemäße Einführung eines Beweismittels in die Hauptverhandlung keine bestimmte Form erfordert, sondern lediglich sicherstellen muss, dass der Inhalt für alle Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar ist.
Da der Angeklagte selbst Geschäftsführer des betroffenen Unternehmens war, hatte er zudem bereits umfassende Kenntnis über die in der Tabelle enthaltenen Zahlen und Daten.
Folgen für die Praxis
Diese Entscheidung hat erhebliche praktische Relevanz für Wirtschaftsstrafverfahren, in denen regelmäßig große Mengen an Dokumenten als Beweismittel eingeführt werden müssen.
- Gerichte und Staatsanwaltschaften können schriftliche Unterlagen durch Befragung sachkundiger Zeugen in die Hauptverhandlung einführen, ohne dass eine förmliche Verlesung erforderlich ist.
- Verteidiger müssen genau prüfen, ob eine Zeugenaussage tatsächlich ausreicht, um ein Beweismittel vollständig in die Hauptverhandlung einzuführen, oder ob eine Verlesung notwendig ist.
- Für Unternehmen und Wirtschaftsprüfer, die als sachverständige Zeugen auftreten, steigt die Bedeutung einer klaren Dokumentation und nachvollziehbaren Erläuterung von Beweismitteln.
Fazit
Der BGH hat mit dieser Entscheidung die Anforderungen an die Einführung von Beweismitteln in Wirtschaftsstrafverfahren weiter präzisiert. Die Verlesung einer Urkunde ist nicht zwingend erforderlich, wenn ihr Inhalt durch eine sachkundige Zeugenvernehmung hinreichend in die Hauptverhandlung eingeführt wird.
Diese pragmatische Lösung trägt zur Verfahrensökonomie bei und vermeidet unnötige Förmelei, ohne die Rechte des Angeklagten zu beeinträchtigen. Damit setzt der BGH ein klares Signal für eine flexible, aber rechtssichere Handhabung von Beweismitteln in komplexen Strafverfahren.
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