Beweissicherung versus Datenschutz: Unzulässigkeit der Aufbewahrung privater Videoaufnahmen im Nachbarschaftsstreit

Die Frage, wann private – oder Videoaufnahmen im zivilrechtlichen Kontext datenschutzrechtlich zulässig sind, beschäftigt die Gerichte regelmäßig – nicht zuletzt seit Inkrafttreten der . Das Urteil des Amtsgerichts Lörrach vom 3. März 2025 (Az. 3 C 1099/24) ist in dieser Hinsicht von besonderem Interesse: Es stellt klar, dass selbst ein nachvollziehbares Interesse an Beweissicherung im nachbarschaftlichen Umfeld nicht jede Datenverarbeitung rechtfertigt. Entscheidend ist vielmehr die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung – und diese kann objektiv fehlen, selbst wenn subjektiv ein Konflikt vorliegt.

Das Gericht stellt dabei hohe Anforderungen an die Zulässigkeit privater Überwachungshandlungen und betont zugleich die gerichtliche Kontrollkompetenz hinsichtlich der behaupteten Indizqualität solcher Aufnahmen. Das Urteil zeigt exemplarisch, wie sich der datenschutzrechtliche Grundsatz der Datenminimierung auch im Spannungsfeld privater Rechtsdurchsetzung behauptet.

Der Hintergrund: Nachbarschaftskonflikt mit datenschutzrechtlicher Dimension

Dem Verfahren lag ein klassischer Konflikt zwischen Nachbarn zugrunde: Der Kläger, wohnhaft in einem Anwesen, das auch Sitz des elterlichen Hausmeisterdienstes ist, sah sich durch Bild- und Videoaufnahmen seines Nachbarn in seinem verletzt. Der Beklagte hatte über längere Zeiträume hinweg vom Nachbargrundstück aus Aufnahmen angefertigt, um – so sein Vortrag – eine angeblich bauplanungsrechtlich unzulässige gewerbliche Nutzung zu dokumentieren. Der Kläger verlangte Auskunft, Löschung und Unterlassung.

Das Gericht gab der weitgehend statt. Es sprach dem Kläger einen Löschungs- und zu und ließ sich dabei insbesondere von der fehlenden Erforderlichkeit der Aufnahmen leiten. Der Beklagte konnte nicht darlegen, dass die angefertigten Bilder und Videos überhaupt geeignet waren, die behauptete gewerbliche Nutzung zu belegen. Vielmehr konnten die abgebildeten Tätigkeiten – wie etwa das Reinigen von Solarmodulen, das Verladen von Geräten für private Zwecke oder Gespräche mit Familienmitgliedern – nachvollziehbar als privat eingeordnet werden.

Der rechtliche Maßstab: Erforderlichkeit und berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO

Zentraler rechtlicher Maßstab für die Beurteilung war Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO. Die Vorschrift erlaubt eine Datenverarbeitung, wenn sie zur Wahrung berechtigter Interessen erforderlich ist und nicht die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person überwiegen. Das Gericht bejaht zwar grundsätzlich ein berechtigtes Interesse des Beklagten, eine mögliche Verletzung bauplanungsrechtlicher Vorgaben zu dokumentieren. Es verneint jedoch die Erforderlichkeit der konkreten Datenverarbeitung.

Die Entscheidung begründet dies detailliert: Selbst wenn der Nachweis einer gewerblichen Tätigkeit grundsätzlich zulässig wäre, sei hierfür die Ablichtung von Personen nicht notwendig. Die Nutzung gewerblicher Maschinen könne beispielsweise auch durch das bloße Abstellen auf dem Grundstück dokumentiert werden. Außerdem – und das ist entscheidend – sei den konkreten Bildern keinerlei Aussagekraft im Hinblick auf eine gewerbliche Tätigkeit zu entnehmen gewesen. Das Gericht prüfte im Einzelnen alle vom Kläger erläuterten Tätigkeiten und kam zu dem Schluss, dass es sich um private Handlungen handelte, die nicht den Schluss auf eine gewerbliche Nutzung zuließen.

Mit dieser Analyse lehnt das Amtsgericht auch eine vorschnelle Berufung auf die Indizwirkung der Aufnahmen ab. Es weist zu Recht darauf hin, dass auch Beweismittel, die im Sinne von Indizien verwendet werden sollen, einer eigenständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Wenn ein Foto objektiv keinen Bezug zur behaupteten Rechtsverletzung aufweist, entfällt die Rechtfertigung seiner Speicherung – auch wenn subjektiv ein anderer Eindruck bestanden haben mag.

Datenschutzrechtliche Konsequenzen: Kein Schutz durch Art. 17 Abs. 3 lit. e DSGVO

Besonders instruktiv ist die Auseinandersetzung mit Art. 17 Abs. 3 lit. e DSGVO. Die Vorschrift erlaubt es, Daten trotz eines Löschungsverlangens aufzubewahren, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen erforderlich sind. Doch auch hier greift das Gericht korrigierend ein: Die Möglichkeit der späteren Verwendung der Daten allein reicht nicht aus – erforderlich im datenschutzrechtlichen Sinne ist nur, was konkret und nachvollziehbar zur Rechtsdurchsetzung beitragen kann.

Im Ergebnis ist das Gericht der Auffassung, dass es gänzlich unwahrscheinlich sei, dass mit den angefertigten Bildern erfolgreiche rechtliche Schritte begründet werden könnten. Eine abstrakte Möglichkeit oder ein pauschales Verweis auf künftige Beweissicherung genügt nicht. Das AG Lörrach schließt sich damit einer strengen Linie an, die die Anforderungen an die Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f und Art. 17 Abs. 3 DSGVO eng auslegt und damit einen substantiellen Schutz der betroffenen Grundrechte sicherstellt.

Der Beweiswert im Lichte des Datenschutzrechts

Ein bemerkenswerter Aspekt der Entscheidung liegt in der Überlegung, dass einem Beweismittel auch der objektive Beweiswert gänzlich abgesprochen werden kann. Das Gericht macht deutlich, dass das bloße Vorhandensein eines vermeintlichen Beweismittels – hier: Fotos und Videos – nicht ausreicht, um die Rechtfertigung einer personenbezogenen Datenverarbeitung aufrechtzuerhalten. Entscheidend ist, ob die Daten geeignet sind, das behauptete Ziel (hier: die Dokumentation unzulässiger gewerblicher Tätigkeit) auch nur ansatzweise zu stützen. Wenn dies – wie im vorliegenden Fall – zu verneinen ist, verliert das Beweismittel seinen rechtlichen Schutz.

Diese Sichtweise eröffnet einen neuen Zugang zur Frage, wie und Beweissicherung im zivilrechtlichen Umfeld miteinander in Einklang gebracht werden können. Sie schützt nicht nur das Persönlichkeitsrecht, sondern setzt zugleich Maßstäbe für den Umgang mit privater Überwachung im Kontext nachbarschaftlicher Konflikte.

In der Kernaussage stellt das Urteil des AG Lörrach klar: Wer verarbeitet, um rechtliche Interessen durchzusetzen, muss konkret und nachvollziehbar darlegen können, dass die Datenverarbeitung erforderlich ist – und dass sie dem behaupteten Zweck tatsächlich dient. Das bloße subjektive Sicherheitsbedürfnis oder die Annahme einer möglichen Rechtsverletzung reicht nicht aus, um Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu rechtfertigen.

Fazit

Das Gericht schafft einen konsequenten Ausgleich zwischen dem Interesse an zivilrechtlicher Durchsetzung und dem Grundrechtsschutz des Betroffenen. Die Entscheidung ist ein klares Plädoyer für eine datenschutzkonforme Verfahrensgestaltung auch im scheinbar harmlosen Bereich nachbarschaftlicher Auseinandersetzungen – und ein präziser Maßstab für die Erforderlichkeitsprüfung in der praktischen Anwendung der DSGVO.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung.
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