Mit Beschluss vom 25. April 2017 (4 StR 244/16) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine richtungsweisende Entscheidung zur Auslegung von § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB getroffen. Die Norm stellt unter Strafe, wenn eine Person in hilfloser Lage auf einer Bildaufnahme zur Schau gestellt wird.
Der Fall betraf eine brutale Erpressung, in deren Verlauf das Opfer gedemütigt und dabei gefilmt wurde. Der BGH musste sich insbesondere mit der Frage befassen, unter welchen Voraussetzungen eine Bildaufnahme die Hilflosigkeit einer Person im Sinne des § 201a StGB „zur Schau stellt“. Die Entscheidung ist von erheblicher Bedeutung für die Abgrenzung zwischen strafbarem Verhalten und sozialadäquaten Bildaufnahmen.
Sachverhalt
Die Angeklagten hatten den Nebenkläger unter einem Vorwand in eine abgelegene Industrieruine gelockt. Dort wurde er brutal geschlagen und unter Todesdrohungen zur Zahlung von 2.500 Euro aufgefordert – angeblich als „Wiedergutmachung“ für die Ehre der Schwester eines der Täter.
Zur weiteren Erniedrigung des Opfers verlangten die Täter, dass es sich eine Flasche rektal einführt. Einer der Angeklagten filmte das Geschehen mit einem Mobiltelefon und drohte, das Video zu veröffentlichen, falls das Opfer zur Polizei gehen sollte oder das geforderte Geld nicht zahlte.
Das Landgericht Essen verurteilte die Haupttäter zu hohen Freiheitsstrafen und sah unter anderem den Tatbestand des § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB als erfüllt an. In der Revision war fraglich, ob die Bildaufnahme tatsächlich die Hilflosigkeit des Opfers „zur Schau“ stellte.
Rechtliche Würdigung
1. Begriff der „Hilflosigkeit“
Der BGH stellte fest, dass der Begriff „hilflose Lage“ weit zu verstehen ist. Es genüge, dass eine Person objektiv nicht in der Lage sei, sich gegen eine Bedrohung oder Gewaltanwendung zu wehren. Dazu gehören laut Gesetzesbegründung auch Situationen, in denen sich das Opfer in einer Zwangslage befindet – etwa infolge einer Entführung oder einer erlittenen Gewalttat.
In diesem Fall sei das Opfer durch die zuvor erlittene Gewaltanwendung und die Bedrohungen mit weiteren Misshandlungen eindeutig in einer hilflosen Lage gewesen.
2. Wann wird eine hilflose Person „zur Schau gestellt“?
Der BGH präzisierte die Anforderungen an das „Zur-Schau-Stellen“.
- Das bloße Anfertigen einer Bildaufnahme reicht nicht aus. Entscheidend sei, dass die Hilflosigkeit des Opfers besonders hervorgehoben wird.
- Eine Bildaufnahme stellt eine Person dann zur Schau, wenn ihre Hilflosigkeit für den Betrachter der Aufnahme unmittelbar erkennbar ist.
- Die bloße Abbildung einer Handlung – hier die rektale Einführung der Flasche – genügt nicht zwangsläufig. Erst wenn der Kontext der Bedrohungssituation erkennbar gemacht wird, kann von einem „Zur-Schau-Stellen“ gesprochen werden.
Im konkreten Fall ließ sich aus den Urteilsfeststellungen nicht sicher entnehmen, ob die Bildaufnahme die Bedrohungssituation des Opfers ausreichend deutlich macht. Deshalb wurde die Verurteilung wegen § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB aufgehoben.
3. Rückverweisung zur neuen Verhandlung
Da nicht auszuschließen war, dass die Aufnahme doch ein strafbares „Zur-Schau-Stellen“ darstellte, verwies der BGH die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Diese muss nun prüfen, ob das Video erkennbar die Zwangslage des Opfers dokumentiert oder ob es sich nur um eine isolierte Aufnahme der erzwungenen Handlung handelt.
Fazit und Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht, dass nicht jede Aufnahme einer hilflosen Person automatisch unter § 201a StGB fällt. Entscheidend ist, ob die Bildaufnahme die Hilflosigkeit besonders betont und für den Betrachter erkennbar macht.
Für Ermittlungsbehörden und Gerichte bedeutet dies, dass in vergleichbaren Fällen eine genaue Analyse der Bildaufnahmen erforderlich ist. Verteidiger in Strafverfahren können sich auf diese Rechtsprechung stützen, um eine Verurteilung nach § 201a StGB anzufechten, wenn der Zusammenhang zwischen Hilflosigkeit und Bildaufnahme nicht eindeutig ist. Die Entscheidung trägt somit zur rechtlichen Klarheit in einem sensiblen Bereich bei, in dem Persönlichkeitsrechte und Strafverfolgung sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen.
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