Verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Bestimmtheit strafrechtlicher Vermögensdelikte

In seinem Beschluss vom 9. April 2025 (2 BvR 1974/22) hat das erneut zentrale Leitplanken für die verfassungsrechtliche Auslegung von Straftatbeständen mit Vermögensbezug gezogen. Im Zentrum steht dabei die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen (versuchter) räuberischer mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist – insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal des Vermögensnachteils.

Hintergrund und Ausgangsverfahren

Dem Beschluss lag eine Verurteilung durch das Landgericht Mannheim zugrunde. Der Beschwerdeführer war wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher zu einer von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Hintergrund war ein mit Gewalt durchgesetzter Anspruch auf Übertragung eines Tattoostudios, den der Mitangeklagte aus dem Maßregelvollzug heraus geltend gemacht hatte. Der Geschädigte unterschrieb nach massiver Gewaltanwendung eine Erklärung, mit der er seine Anteile an dem gemeinsam betriebenen Studio abtrat.

Die Strafgerichte sahen darin den Versuch einer schweren räuberischen Erpressung. Die Besonderheit: Trotz der Unterschrift unter das Abtretungsschreiben gingen die Gerichte von einem lediglich versuchten Delikt aus – und führten dabei keine konkrete Feststellung eines Vermögensnachteils beim Geschädigten durch.

Rüge des Beschwerdeführers und Entscheidung des BVerfG

Der Beschwerdeführer rügte in seiner Verfassungsbeschwerde unter anderem, dass die Strafgerichte die Voraussetzungen eines strafbaren Vermögensnachteils nicht hinreichend bestimmt dargelegt hätten. Insbesondere fehle es an einer wirtschaftlich nachvollziehbaren Schadensbezifferung. Damit werde das Tatbestandsmerkmal des § 253 Abs. 1 StGB () unzulässig mit dem abgenötigten Verhalten – hier der Abtretungserklärung – verschmolzen.

Das Bundesverfassungsgericht gab der Verfassungsbeschwerde statt und hob den Revisionsbeschluss des Bundesgerichtshofs auf. Es stellte klar, dass die strafrechtliche Verurteilung den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG nicht genügte, weil das Tatbestandsmerkmal des Vermögensnachteils nicht in verfassungsrechtlich tragfähiger Weise bestimmt worden war.

Dogmatische Einordnung

Das Gericht bekräftigte seine gefestigte Rechtsprechung, wonach das Bestimmtheitsgebot nicht nur rückwirkende Strafbegründungen oder gewohnheitsrechtliche Strafnormen verbietet, sondern auch der Auslegung durch die Gerichte strikte Grenzen setzt. Die „analoge“ Erweiterung eines Straftatbestands über den gesetzlich bestimmten Inhalt hinaus sei unzulässig. Dies gelte insbesondere für vermögensbezogene Delikte wie § 253 StGB.

Zentral ist dabei das Verbot der sog. „Tatbestandsverschleifung“. Ein Tatbestandsmerkmal – hier: der Vermögensnachteil – darf nicht im abgenötigten Verhalten aufgehen, sondern muss selbstständig bestimmt werden. Das bedeutet, dass ein Gericht nicht allein aufgrund einer unter erfolgten Abtretungserklärung auf einen Vermögensnachteil schließen darf, sondern eine eigenständige wirtschaftliche Bewertung dieses Vorgangs vornehmen muss.

Diese Bewertung verlangt regelmäßig zumindest die plausible Bezifferung eines Mindestschadens oder eine wirtschaftlich nachvollziehbare Einschätzung des geschädigten Vermögenswertes. Gerade wenn – wie im vorliegenden Fall – keine Eintragung von Markenrechten, keine konkrete Bewertung von Investitionen und keine abgesicherten Erwerbsaussichten festgestellt wurden, fehlt es an dieser Grundlage.

Bedeutung für die Strafrechtsdogmatik

Die Entscheidung hat erhebliche Bedeutung für die dogmatische Trennschärfe zwischen strafbarer Erpressung und strafloser Nötigung. Indem das Bundesverfassungsgericht klarstellt, dass der Vermögensnachteil ein eigenständiges und inhaltlich zu konkretisierendes Tatbestandsmerkmal ist, schärft es nicht nur die Konturen des Vermögensbegriffs im Strafrecht, sondern sichert zugleich die Reichweite des Strafanspruchs des Staates verfassungsrechtlich ab.

Gleichzeitig wirkt die Entscheidung als Korrektiv gegenüber einer möglichen Ausweitung strafrechtlicher Verantwortlichkeit durch eine allzu „großzügige“ Anwendung von Tatbestandsmerkmalen – ein wichtiger Beitrag zum Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit und zur Sicherung der Gewaltenteilung.

Konklusion

Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Beschluss vom 9. April 2025 einmal mehr unterstrichen, dass das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG keine bloße Floskel ist, sondern eine konkrete Begrenzung der Strafrechtspflege bedeutet. Die Entscheidung ist ein mahnendes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, auch bei moralisch verwerflichem Verhalten an den dogmatischen Anforderungen festzuhalten. Nur so kann das Vertrauen in die Gerechtigkeit strafrechtlicher Verurteilungen erhalten bleiben – und nur so kann der Staat seine Strafgewalt legitim ausüben.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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