Strafbarkeit wegen Untreue bei fehlerhafter Abrechnung von Bürgertests: In der Hochphase der Covid-19-Pandemie trat mit dem Anspruch auf kostenfreie Bürgertests eine neue Dimension staatlich finanzierter Gesundheitsleistungen auf den Plan – verbunden mit einer erheblichen Vertrauensvorschussregelung gegenüber privaten Leistungserbringern.
Die Entscheidung des Landgerichts Osnabrück vom 22. Februar 2023 (Az. 3 Qs 38/22) befasst sich mit der Frage, ob und inwieweit ein Apotheker, der systematisch unrichtige Angaben zu Testzahlen machte, sich wegen Untreue nach § 266 StGB strafbar macht. Das Gericht nahm dabei eine rechtlich differenzierte Einordnung vor, die über den Einzelfall hinausreichende Maßstäbe für die strafrechtliche Kontrolle pandemiebedingter Finanzierungsmechanismen liefert.
Ausgangspunkt: Abrechnungen für nicht oder falsch durchgeführte Tests
Dem Verfahren lag der Vorwurf zugrunde, ein Apotheker habe im Rahmen seiner Tätigkeit als Betreiber einer Corona-Teststation Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) abgerechnet, die entweder tatsächlich nicht erbracht wurden oder bei denen die dokumentierte Testdurchführung nicht den formalen Vorgaben entsprach. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue ein, das auf die Annahme gestützt war, der Apotheker habe eine sogenannte Vermögensbetreuungspflicht verletzt, indem er gegenüber der KV pflichtwidrige Angaben gemacht habe.
Das Amtsgericht sah in der Konstellation keinen ausreichenden Tatverdacht für eine strafbare Untreuehandlung. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen diese Entscheidung hatte indes Erfolg: Das Landgericht stellte fest, dass ein hinreichender Tatverdacht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB sehr wohl vorliege – insbesondere vor dem Hintergrund des durch die Testverordnung konstituierten Rechtsverhältnisses zwischen dem Leistungserbringer und der abrechnenden KV.
Der Maßstab: Vermögensbetreuungspflicht als strafrechtlich relevante Sonderpflicht
Im Zentrum der Entscheidung steht die Auslegung der zentralen Tatbestandsvoraussetzung der Untreue – der sogenannten Vermögensbetreuungspflicht. Diese wird im Strafrecht seit jeher als besonders konturenunscharf diskutiert. Das LG Osnabrück betont, dass es sich hierbei um eine Pflicht von erheblichem Gewicht handeln muss, die über bloße vertragliche Nebenpflichten hinausgeht und eine besonders herausgehobene Verantwortung für fremdes Vermögen begründet. Entscheidend sei, dass dem Täter die rechtliche Stellung zukomme, Vermögensinteressen des anderen eigenverantwortlich wahrzunehmen.
Für den Fall der Bürgertests stellt das Gericht fest, dass dem Apotheker durch die pandemiebedingten Verordnungen eine solche Verantwortung in quasi-funktionaler Stellvertretung für die öffentliche Hand übertragen worden sei. Die Abrechnung sei nicht lediglich ein kaufmännischer Formalakt, sondern ein integraler Bestandteil des staatlichen Abrechnungs- und Kontrollsystems gewesen. Das Vertrauen, das dem Apotheker hierbei entgegengebracht wurde – etwa durch fehlende Vorabprüfungen – begründe eine strafrechtsrelevante Vermögensbetreuungspflicht.
Pflichtverletzung durch fehlerhafte Abrechnung
Das Gericht betont, dass die behaupteten fehlerhaften Angaben zur Anzahl der Tests, zur Art der durchgeführten Leistungen und zur Identität der getesteten Personen keine bloßen Ordnungsverstöße darstellen. Vielmehr handele es sich um zentrale Parameter der Abrechnungsberechtigung, auf deren Richtigkeit der abrechnende Apotheker – ungeachtet etwaiger Arbeitsüberlastung oder organisatorischer Mängel – uneingeschränkt hinwirken müsse.
Die Kammer unterstreicht, dass ein objektiver Pflichtenverstoß insbesondere dann naheliegt, wenn systematisch in erheblichem Umfang zu hohe Testzahlen abgerechnet wurden oder Testungen in einem Umfang dokumentiert wurden, der angesichts des verfügbaren Personals und der Infrastruktur offenkundig unrealistisch ist. Der Tatverdacht verfestige sich weiter dadurch, dass der Apotheker im Rahmen seiner Stellung als Organisator der Testeinrichtung selbst verantwortlich für die ordnungsgemäße Durchführung und Dokumentation war und die eingereichten Abrechnungen mit seiner Unterschrift versah.
Kein genereller Vertrauensschutz durch Pandemie-Ausnahmebedingungen
Besonderes Augenmerk legt das Landgericht auf den Einwand, die dynamische und von pragmatischem Handeln geprägte Pandemielage müsse strafrechtlich mildernd berücksichtigt werden. Zwar erkenne man die außergewöhnlichen Herausforderungen für Leistungserbringer während der Pandemie an. Gleichwohl dürfe die Notlage nicht zu einer Suspendierung elementarer strafrechtlicher Schutzgüter führen – insbesondere dann nicht, wenn staatliche Stellen bewusst auf Vertrauen und Eigenverantwortung setzten. Gerade das schutzwürdige Interesse der Solidargemeinschaft an zweckgerechter Mittelverwendung erfordere eine sorgfältige Kontrolle und notfalls Sanktionierung von Pflichtverstößen.
Bewertung
Mit bemerkenswerter Klarheit hebt das LG Osnabrück hervor, dass strafrechtlich relevante Untreue auch im Gesundheitswesen nicht an formale Organstellungen oder hoheitliche Funktionen gebunden ist. Wer – wie hier ein Apotheker – faktisch an der Schnittstelle zwischen staatlicher Finanzierung und privater Leistungserbringung steht, übernimmt treuhänderische Verantwortung.
Diese kann auch in Ausnahmelagen wie einer Pandemie nicht durch pauschale Berufung auf Überforderung suspendiert werden. Die Entscheidung mahnt zu sorgfältiger Dokumentation und reiner Abrechnung – und markiert zugleich die Grenzen zulässiger Pragmatik im Ausnahmezustand. Andererseits sollte es Gedanken machen, wenn schlechte Buchhaltung und der Stress der damaligen, chaotischen Zeit, ein allzu pauschales Risiko von Strafbarkeit eröffnen.
Ergebnis
Das Landgericht Osnabrück hob den ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts auf und bejahte einen hinreichenden Tatverdacht wegen Untreue. Damit wurde der Weg für weitere Ermittlungen und eine mögliche Anklageerhebung gegen den Apotheker eröffnet. Die Entscheidung verdeutlicht, dass auch in Ausnahmesituationen wie einer Pandemie strafrechtliche Anforderungen nicht suspendiert werden – insbesondere dann, wenn staatliche Mittel in erheblichem Umfang auf Grundlage selbstdeklaratorischer Angaben gewährt werden. Allerdings ist fraglich, ob die aus heutiger Sicht anzulegenden strengen Maßgaben den damaligen chaotischen Zuständen wirklich gerecht werden.
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