Mit Beschluss vom 10. Dezember 2024 (Az. VI ZR 22/24) hat der Bundesgerichtshof eine differenzierte, zugleich aber klärende Entscheidung zur Streitwertbemessung bei Unterlassungsansprüchen im Zusammenhang mit Datenschutzverstößen getroffen. Im Zentrum steht die Frage, welchen objektiven Wert einem zivilrechtlichen Unterlassungsantrag beizumessen ist, der sich auf eine bereits vergangene Datenschutzverletzung – insbesondere im Kontext sogenannter Scraping-Vorfälle – bezieht, deren Wiederholung in der konkreten Ausgestaltung zweifelhaft ist.
Der Beschluss reiht sich in eine zunehmende Anzahl gerichtlicher Entscheidungen ein, in denen sich Gerichte mit der Bewertung des „interessenmäßigen Gewichts“ datenschutzrechtlicher Unterlassungsbegehren auseinandersetzen müssen – ohne dabei die rechtsstaatliche Funktion dieser Klagen zu relativieren. Der BGH formuliert dabei einen pragmatisch-klaren Maßstab, der sich weder von generalpräventiven Motiven noch von überzogenen Individualinteressen leiten lässt.
Hintergrund des Verfahrens
Der Kläger hatte gegen die Betreiberin eines sozialen Netzwerks zivilrechtliche Ansprüche wegen eines Scraping-Vorfalls geltend gemacht. Im Wege der Revision verfolgte er unter anderem seine Klage auf immateriellen Schadensersatz, auf Unterlassung weiterer Datenverarbeitung ohne wirksame Einwilligung sowie auf Auskunft über die weitergegebenen personenbezogenen Daten.
Der Senat setzte den Streitwert für das Revisionsverfahren auf 3.000 € fest und lehnte eine Erhöhung auf 6.500 €, wie sie der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Wege der Gegenvorstellung begehrt hatte, ab. Maßgeblich war für den Senat eine nachvollziehbare und differenzierte Aufschlüsselung der Einzelpositionen, die das Unterlassungsbegehren als Teil eines komplexen Anspruchsgefüges wertmäßig in Relation zum übrigen Verfahrensgegenstand setzte.
Juristische Bewertung der Streitwertfestsetzung
Die Entscheidung überzeugt durch ihre methodische Strenge und ihren systematisch austarierten Bewertungsrahmen. Der BGH stellt klar, dass sich die Bewertung eines Unterlassungsantrags im Lichte des § 3 ZPO in Verbindung mit § 48 GKG ausschließlich am objektiven Interesse des Klägers an der Unterbindung künftiger Verstöße orientieren muss. Dabei ist nicht auf abstrakte Gefährdungslagen, symbolische Schutzinteressen oder allgemeine Datenschutzbedenken abzustellen, sondern auf den konkreten Nachweis des Wiederholungsrisikos im Einzelfall.
Der Senat stellt mit Blick auf die Bemessung des Unterlassungsstreitwerts in Höhe von 1.500 € (750 € je Antrag) darauf ab, dass der Scraping-Vorfall mehrere Jahre zurückliegt, ohne dass seither weitere vergleichbare Verstöße dokumentiert wurden. Zudem habe die Beklagte die zugrunde liegende Suchbarkeitsfunktion mittlerweile deaktiviert. Eine Wiederholungsgefahr könne daher zwar nicht ausgeschlossen werden, sei aber nur in reduzierter Intensität anzunehmen. Auch der Zusammenhang zwischen den beiden Unterlassungsbegehren spreche für eine moderate Gesamtbemessung.
Die sachgerechte Zurückhaltung gegenüber generalpräventiven Erwägungen verdient besondere Aufmerksamkeit. Der BGH bekräftigt ausdrücklich, dass eine etwaige generalisierende Abschreckungswirkung für andere potenzielle Verletzer oder die wirtschaftliche Bedeutung von Massendaten kein Kriterium für die zivilprozessuale Streitwertbemessung darstellt. Es gehe allein um das individuelle Interesse des konkreten Klägers an der zukünftigen Rechtswahrung – nicht um die Verallgemeinerung eines Datenschutzideals.
Übersicht der streitwertrelevanten Einzelpositionen
Zur besseren Einordnung der gerichtlichen Abwägung hier ein Überblick über die im Beschluss benannten Einzelstreitwerte:
- Zahlungsantrag (immaterieller Schaden): 1.000 €
- Unterlassungsbegehren (2 Anträge): insgesamt 1.500 €
- Auskunftsanspruch: 500 €
Die Gesamtsumme ergibt damit den vom Senat festgesetzten Streitwert von 3.000 € für das Revisionsverfahren.
Bemerkenswert ist auch, dass der Senat in einem parallelen Verfahren ausgeführt hatte, dass selbst eine Streitwertbemessung von nur 100 € für den bloßen Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten nicht zu beanstanden wäre – eine Aussage, die künftig zur Redimensionierung der Vorstellung beitragen dürfte, Datenschutzverletzungen seien in jedem Fall mit hohen Ersatzwerten zu veranschlagen.
Ergebnis
In der Schlussbetrachtung bringt die Entscheidung des VI. Zivilsenats eine wohltuende Entkrampfung in die juristische Diskussion um die Bewertung datenschutzrechtlicher Ansprüche. Der Beschluss zeigt, dass Datenschutz nicht durch symbolische Aufblähung der Verfahren verteidigt wird, sondern durch die nüchterne Anwendung bestehender Grundsätze des Zivilprozessrechts. Die rechtspolitische Relevanz bleibt davon unberührt: Auch ein Streitwert von 3.000 € kann ein wichtiges Signal setzen – wenn er, wie hier, mit dogmatischer Klarheit und Augenmaß begründet ist.
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