Ersatz-Tanks für E-Zigaretten und der Jugendschutz

OLG Hamm zur Auslegung des § 10 JuSchG im Versandhandel: Das Oberlandesgericht Hamm hat mit Urteil vom 3. April 2025 (Az. 4 U 29/24) in einem wettbewerbsrechtlichen Berufungsverfahren entschieden, dass auch nicht befüllte Ersatz-Tanks für E-Zigaretten dem jugendschutzrechtlichen Versandverbot nach § 10 Abs. 3 und 4 JuSchG unterliegen. Die Entscheidung betrifft einen konfliktträchtigen Grenzbereich zwischen technischem Zubehörhandel und gesetzlichem Schutzauftrag im Jugendmedienschutzrecht. Sie rückt zudem erneut die Anforderungen an die wettbewerbsrechtliche sowie die Reichweite der Aktivlegitimation von Mitbewerbern in den Mittelpunkt.

Sachverhalt und Verfahrensgang

Die Klägerin, eine auf den Online-Handel mit E-Zigaretten spezialisierte Händlerin, hatte eine Mitbewerberin abgemahnt, die über eine Verkaufsplattform unbefüllte Ersatz-Tanks für E-Zigaretten ohne Altersverifikation im Versandhandel angeboten hatte. Der Vorwurf lautete auf einen Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz, konkret gegen § 10 Abs. 3 und 4 JuSchG in Verbindung mit § 1 Abs. 4 JuSchG. Die Beklagte bestritt die Anwendbarkeit der Vorschriften auf Ersatzteile, insbesondere auf leere Tanks, und hielt die Abmahnung zudem für formell unzureichend, weil die Aktivlegitimation nicht hinreichend dargelegt worden sei.

Das Landgericht gab der zunächst im Wesentlichen statt, was die Beklagte im Berufungsverfahren nur teilweise korrigieren konnte. Während sie mit ihrer Argumentation zur fehlenden Anspruchsberechtigung in Bezug auf die Abmahnkosten Erfolg hatte, blieb sie hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs unterlegen.

Rechtliche Bewertung durch das OLG Hamm

Zentraler Streitpunkt war die Frage, ob ein nicht befüllter Tank einer als „Behältnis“ im Sinne des § 10 JuSchG gilt und damit dem jugendschutzrechtlichen Abgabeverbot unterliegt. Das Gericht bejahte diese Einordnung und knüpfte an die unionsrechtliche Legaldefinition in Art. 2 Nr. 16 der 2014/40/EU an. Danach fallen unter den Begriff der elektronischen Zigarette auch deren Bestandteile, einschließlich Kartuschen und Tanks – unabhängig davon, ob sie bereits befüllt sind oder nicht.

Das OLG machte deutlich, dass der Gesetzgeber ein hohes Schutzniveau im Hinblick auf Kinder und Jugendliche erreichen wollte, das nur dann effektiv verwirklicht werden kann, wenn auch austauschbare Zubehörteile in den Anwendungsbereich der Norm fallen. Würde man leere Ersatz-Tanks von der Vorschrift ausnehmen, bestünde ein erhebliches Umgehungspotenzial. Für die Einordnung sei daher nicht entscheidend, ob ein Produkt unmittelbar konsumtiv verwendbar ist, sondern ob es funktionaler Bestandteil einer Konsumstruktur ist, die jugendschutzrechtlich reguliert ist.

Im Hinblick auf die konkrete Versandabwicklung beanstandete das Gericht ferner das völlige Fehlen einer Altersverifikation. Weder beim Bestellvorgang noch bei der Zustellung wurde das Alter des Käufers oder Empfängers kontrolliert. Ein solches Verhalten verstoße eklatant gegen die gesetzlich verankerten Kontrollpflichten im Fernabsatz und sei daher als wettbewerbsrechtlich unzulässiges Marktverhalten zu qualifizieren.

Hinsichtlich der Aktivlegitimation für den urteilte der Senat zugunsten der Klägerin, da diese – auch im Prozess – substantiiert dargelegt hatte, dass sie in nicht unerheblichem Maße gleichartige Waren vertreibe. Anders fiel das Urteil bezüglich der Abmahnkosten aus. Hier bemängelte das Gericht eine unzureichende Darlegung in der vorprozessualen Abmahnung: Es fehlten konkrete Angaben zur Marktteilnahme im relevanten Produktsegment, insbesondere zu Verkaufszahlen oder zu Umsätzen im Bereich E-Zigaretten. Ein bloßer Verweis auf den Internetauftritt oder allgemeine Angaben zum Jahresüberschuss genügten nicht. Diese Anforderungen seien vor dem Hintergrund der Reform des § 8 Abs. 3 UWG durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs im Jahr 2021 gestiegen. Ohne substanzielle Angaben zur Vertriebsintensität könne ein Mitbewerber keine Abmahnkosten erstattet verlangen, selbst wenn er später im Prozess seine Anspruchsberechtigung nachweise.

Die Entscheidung fügt sich in die Tendenz der Rechtsprechung ein, das Jugendschutzgesetz als Teil der Marktverhaltensregeln mit spürbarer Durchsetzungskraft auszugestalten. Dass auch Zubehör – hier in Form leerer Tanks – einbezogen wird, belegt das Bestreben, Umgehungskonstruktionen zu unterbinden. Für den Onlinehandel ergibt sich daraus ein zusätzlicher Prüfungs- und Kontrollaufwand, der sich nicht auf nikotinhaltige Endprodukte beschränken darf.

Bewertung und Ausblick

Zugleich unterstreicht das Urteil die wachsenden formellen Anforderungen an die wettbewerbsrechtliche Abmahnung. Insbesondere nach der UWG-Reform sind Mitbewerber verpflichtet, in der Abmahnung selbst die eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten im konkret betroffenen Marktsegment darzulegen. Die bloße Marktpräsenz oder der pauschale Hinweis auf Bekanntheit oder Plattformpräsenz genügt nicht mehr, um den Kostenersatzanspruch auszulösen.

Die Kernaussage dieser Entscheidung liegt in der konsequent weiten Auslegung des § 10 JuSchG zur Sicherung des Jugendschutzes im Onlinehandel. Sie mahnt Händler zur lückenlosen Altersverifikation – nicht nur beim Produkt mit unmittelbarer Konsumfunktion, sondern auch bei Zubehör, das integraler Bestandteil des Konsumprozesses ist. Darüber hinaus verdeutlicht das Urteil, dass Abmahnungen als formalisierte Vorstufe gerichtlicher Geltendmachung nicht bloß eine inhaltliche, sondern auch eine formelle Substanzprüfung durchlaufen müssen.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht mit Schwerpunkt Cybersecurity & Softwarerecht. Ich bin zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht und zur EU-Staatsanwaltschaft.Als Softwareentwickler bin ich in Python zertifiziert und habe IT-Handbücher geschrieben.

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