Um die rechtlichen Konsequenzen der unbefugten Nutzung von Geschäftsgeheimnissen ging es beim Landgericht Münster (2 O 317/20), das in seiner Entscheidung Orientierungshilfen für den Schutz vertraulicher Unternehmensinformationen liefert. Die Entscheidung ist von erheblicher Bedeutung für Unternehmen, die in hart umkämpften Märkten tätig sind, da sie nicht nur die Haftung von Rechtsnachfolgern präzisiert, sondern auch die Anforderungen an die Geheimhaltung und den Schutz sensibler Daten konkretisiert.
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Tochtergesellschaft der H. AG, ist auf die Veredelung von Vliesstoffen spezialisiert. Sie warf der Beklagten vor, Geschäftsgeheimnisse unbefugt erlangt und genutzt zu haben. Hintergrund war der Wechsel mehrerer Mitarbeiter zur Beklagten, darunter Herr R., der zuvor Geschäftsführer der Klägerin war. Dieser soll zwischen Dezember 2019 und März 2020 betriebsinterne Daten der Klägerin auf eine externe Festplatte kopiert und E-Mails mit vertraulichen Informationen an die Beklagte weitergeleitet haben. Zu den betroffenen Informationen gehörten unter anderem Daten zur Auftragslage, internen Prozessen und betriebswirtschaftlichen Kennzahlen.
Die ursprüngliche Beklagte, die J. L. GmbH, wurde während des Verfahrens auf die J. L. & P. GmbH verschmolzen, die nun als Rechtsnachfolgerin auftrat. Die Klägerin machte ihre Ansprüche sowohl auf originäre Rechte als auch auf übergegangene Rechte infolge der Verschmelzung geltend.
Die rechtliche Bewertung des Gerichts
Das Gericht gab der Klage überwiegend statt und verurteilte die Beklagte unter anderem zur Unterlassung der Nutzung der Geschäftsgeheimnisse, zur Auskunftserteilung sowie zur Löschung der widerrechtlich erlangten Daten.
1. Verletzung von Geschäftsgeheimnissen nach dem GeschGehG: Nach Ansicht des Gerichts handelte es sich bei den erlangten Informationen zweifelsfrei um Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG. Diese seien weder allgemein bekannt noch ohne Weiteres zugänglich gewesen und hätten aufgrund ihres wirtschaftlichen Werts sowie der getroffenen Geheimhaltungsmaßnahmen als schutzwürdig gegolten:
Danach stellt ein Geschäftsgeheimnis eine Information dar, die a) weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und b) die Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen
Inhaber ist und c) bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht. Der Begriff des Geschäftsgeheimnisses ist insgesamt weit auszulegen (jedenfalls was zivilrechtliche Ansprüche betrifft).
Besonders schwer wog für das Gericht, dass die Beklagte nicht nur passiv die Informationen erlangt, sondern aktiv durch die Anstiftung ehemaliger Mitarbeiter der Klägerin gehandelt habe. Der ehemalige Geschäftsführer R. hatte mehrfach Mitarbeiter dazu aufgefordert, vertrauliche Informationen weiterzugeben, was das Gericht als vorsätzliches und planmäßiges Handeln qualifizierte. Diese Feststellungen machten deutlich, dass es der Beklagten nicht lediglich um einen versehentlichen Zugang zu sensiblen Daten ging, sondern um einen strategischen Zugriff auf wettbewerbsrelevante Informationen.
2. Rechtsnachfolge und Haftung: Die Beklagte haftete gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG als Rechtsnachfolgerin für die Vergehen der ursprünglichen Beklagten. Die Argumentation der Beklagten, es fehle an einer Erst- oder Wiederholungsgefahr, überzeugte das Gericht nicht. Gerade die personelle Kontinuität in der Geschäftsführung und die fortgesetzte Nutzung der erlangten Informationen ließen die Gefahr erneuter Verstöße bestehen.
3. Keine originären Ansprüche gegen die Rechtsnachfolgerin: Das Gericht wies jedoch die originären Ansprüche der Klägerin ab, da diese nicht ausreichend substantiiert waren. Der Vortrag der Klägerin beschränkte sich auf die Handlungen der ursprünglichen Beklagten, ohne konkret darzulegen, welche eigenständigen Verstöße die Rechtsnachfolgerin begangen haben sollte.
Bemerkenswert ist die deutliche Kritik des Gerichts an der Glaubwürdigkeit der Beklagten. Das Gericht äußerte Zweifel daran, dass die Beklagte die von ihr behaupteten internen Abläufe und Unwissenheit tatsächlich ernst meinte. Die scharfe Formulierung, dass man sich fragen müsse, „für wie dumm sie deutsche Richter hält“, verdeutlicht, wie wenig glaubhaft die Verteidigungsstrategie der Beklagten aus Sicht des Gerichts war.
Folgen für die Praxis
Das Urteil hat weitreichende Folgen für die Praxis. Unternehmen müssen künftig noch größere Sorgfalt walten lassen, wenn Mitarbeiter von Wettbewerbern eingestellt werden, um nicht in den Verdacht einer missbräuchlichen Nutzung von Geschäftsgeheimnissen zu geraten. Die Anforderungen an die Dokumentation von Geheimhaltungsmaßnahmen und die Compliance-Kultur wurden ebenfalls geschärft. Besonders die Klarstellung, dass eine Rechtsnachfolge nicht zur Entlastung von vorher begangenen Datenschutzverletzungen führt, schafft Rechtssicherheit für betroffene Unternehmen.
Fazit
Das Urteil des Landgerichts Münster setzt ein deutliches Zeichen für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen und macht klar, dass sowohl aktive Anstiftung als auch die passive Nutzung illegal erlangter Daten rechtlich gravierende Folgen haben. Die scharfe Kritik des Gerichts an der Verteidigungsstrategie der Beklagten zeigt zudem, dass Gerichte bei der Auslegung des GeschGehG keine Kompromisse machen, wenn es um die Wahrung des fairen Wettbewerbs geht.