Versuch der Abschaffung der Störerhaftung bei WLAN (2016)

Es wurde gross propagiert: „Das Ende der Störerhaftung“ und schon das Ende der Abmahnzeit bei Familienanschlüssen am Horizont gesehen. Nun endlich wurde der Entwurf der geplanten Änderung bekannt gegeben und siehe da: Vom Ende der ist aus meiner Sicht nichts zu sehen.

Hinweise: Nachdem sich der Ausschuss für Wirtschaft und Energie positiv geäußert hatte, wurde die Änderung vom Bundestag beschlossen, der dies als Abschaffung der Störerhaftung einstuft. Im Folgenden erkläre ich, warum ich hier kritisch bin, am Ende findet sich auch ein Update zum Argument der „Auslegung“. Am 22. Juli 2016 trat die Änderung des TMG in Kraft, die Störerhaftung soll damit bei WLAN abgeschafft sein.

Update: Nachdem das Gesetz nicht zuletzt wegen einer Entscheidung des EUGH kritisch zu sehen war hat der Gesetzgeber reagiert und 2017 kam eine erneute Reform – dieser Artikel ist daher überaltert und bleibt lediglich zu informativen Zwecken.

Einschätzung des Gesetzentwurfs zur Störerhaftung bei WLAN

Ich fürchte: Es dürften Abmahnungen bei WLAN vielmehr weiter gefestigt sein. Man möchte dem existierenden §8 TMG einen weiteren (neuen dritten) Absatz hinzufügen, so dass §8 TMG in Zukunft so aussieht:

(1) Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich, sofern sie

  1. die Übermittlung nicht veranlasst,
  2. den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und
  3. die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben.

Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Diensteanbieter absichtlich mit einem Nutzer seines Dienstes zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen.

(2) Die Übermittlung von Informationen nach Absatz 1 und die Vermittlung des Zugangs zu ihnen umfasst auch die automatische kurzzeitige Zwischenspeicherung dieser Informationen, soweit dies nur zur Durchführung der Übermittlung im Kommunikationsnetz geschieht und die Informationen nicht länger gespeichert werden, als für die Übermittlung üblicherweise erforderlich ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Diensteanbieter nach Absatz 1, die Nutzern einen Internetzugang über ein drahtloses lokales Netzwerk zur Verfügung stellen.

Nun muss man nicht Jura studiert haben, um gleich im ersten Absatz zu sehen, dass da schon eine ganz gewichtige Ausnahme steckt, die ich grün hinterlegt habe und die gerade bei renitent begangenen Urheberrechtsverstössen über offene WLAN hochinteressante Beweisfragen aufwerfen, die die bisherige Rechtsprechung sicherlich wieder einmal über sekundäre (und damit Sicherungsfragen!) lösen wird.

Noch schlimmer ist: Diese Änderung bringt nichts, denn die Abmahnungen verfolgen in erster Linie Unterlassungsansprüche. Und eben die werden von der Haftungsprivilegierung des §8 TMG gar nicht berührt, wie der BGH seit über 10 Jahren immer wieder feststellt. Das LG Hamburg (310 O 154/10) fast diese Rechtsprechung kurz und knackig so zusammen:

Auf das Haftungsprivileg des § 8 TMG können sich die Antragsgegner nicht berufen, da dieses auf Unterlassungsansprüche keine Anwendung findet (BGH GRUR 2004, 860 ff.; BGH GRUR 2007, 724 ff.; OLG Frankfurt GRUR-RR 2008, 385f.; OLG Hamburg MMR 2009, 405ff.).

Dies konsequent fortführend hat der BGH (I ZR 174/14) dann auch kürzlich erst entschieden, dass trotz §8 TMG Zugangsprovider gerade als Störer in Anspruch genommen werden können bei Urheberrechtsverletzungen. Dazu führt der BGH aus:

Eine Störerhaftung des Vermittlers von Internetzugängen kommt nur in Betracht, wenn der Rechteinhaber zunächst zumutbare Anstrengungen unternommen hat, gegen diejenigen Beteiligten vorzugehen, die – wie der Betreiber der Internetseite – die Rechtsverletzung selbst begangen haben oder – wie der Host-Provider – zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben. Nur wenn die Inanspruchnahme dieser Beteiligten scheitert oder ihr jede Erfolgsaussicht fehlt und deshalb andernfalls eine Rechtsschutzlücke entstünde, ist die Inanspruchnahme des Zugangsvermittlers als Störer zumutbar. Bei der Ermittlung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten hat der Rechteinhaber in zumutbarem Umfang Nachforschungen anzustellen.

Diese Situation des nicht greifbaren Täters wäre bei offenen WLAN gerade die Standard-Situation – also die Störerhaftung quasi schon jetzt in Stein gemeisselt.

Mein erstes Fazit zur Störerhaftung-Gesetzesänderung

Nun bleibt ein Hoffnungsschimmer: Wenn der EUGH wie erwartet entscheidet, begräbt er vielleicht den bisherigen Grundsatz des BGH, so dass der §8 TMG eben doch auf Unterlassungsansprüche anzuwenden wäre. Der Verdienst der Netzpolitiker, die sich derzeit freimütig auf die Schulter klopfen, wäre es gleichwohl nicht. Ob man diesen Versuch der Klärung letztlich als gescheitert aus Dummheit oder böswillig falsch propagiert („Mogelpackung“) bezeichnet ist dann auch nur noch Geschmacksfrage. Ein Beispiel für die seit Jahren bestehende schlechte Arbeit des Gesetzgebers ist es allemal und das Ende der Störerhaftung ist jedenfalls noch lange nicht absehbar Dazu auch offenenetze mit wohl ähnlichem Fazit, ebenso die Kollegen Stadler und Heidrich – anders dagegen Härting und Frey. Man merkt also auch: Einheitlich ist die Meinungsvielfalt keineswegs zu dem Thema.

Update: Die Auslegung soll es richten – und macht es schlimmer?

Inzwischen zeichnet sich gerade Seitens Politik und Presse für mich ein „Hauptargument“ ab: Die Begründung zum Gesetz ist so klar und eindeutig, dass obige Kritik gar nicht verfangen kann. Das wirkt auf den ersten Blick einleuchtend, verkennt aber, dass Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof die Begründung nur soweit beachten, wie sie auch in das Gesetz eingeflossen ist! Der BGH führt dazu aus:

Denn die Auslegung ist vorrangig an dem objektiven Sinn und Zweck des Gesetzes zu orientieren und kann durch Motive, die im Gesetzgebungsverfahren dargelegt wurden, im Gesetzeswortlaut aber keinen Ausdruck gefunden haben, nicht gebunden werden – BGH, KVR 4/94

Es ist also kritisch zu sehen, wenn tatsächlich die Begründung alleine es richten soll. Tatsächlich sehe ich sogar beachtliches Problempotential in der Begründung und Auslegung unter Berücksichtigung der Gesetzgebung.  So war ursprünglich noch ein vierter Absatz vorgesehen, der (zu Recht) viel Kritik erfahren hatte und u.a. so lauten sollte:

Diensteanbieter nach Absatz 3 können wegen einer rechtswidrigen Handlung eines Nutzers nicht auf Beseitigung oder Unterlassung in Anspruch genommen werden, wenn sie zumutbare Maßnahmen ergriffen haben, um eine Rechtsverletzung durch Nutzer zu verhindern.

Unter grosser Zustimmung wurde dieser Absatz nun nicht aufgenommen – was aber gerade ein Problem sein könnte. Denn hier wurde – in einem Umkehrschluss – bereits im Gesetzestext klargestellt, dass sich die Privilegierung des §8 TMG entgegen der bisherigen BGH-Rechtsprechung ausdrücklich auf Unterlassungsanprüche beziehen soll. Damit stand also eine echte Privilegierung im Raum, wenn auch mit schrecklicher Ausnahmeformulierung. Dass man nun diesen Absatz gestrichen hat ist durchaus bei objektivierter Auslegung so zu verstehen, dass man gerade Unterlassungsansprüche nicht regeln möchte, etwa im Hinblick auf die europäische Entwicklung. Diese Auslegung wird gestützt eben durch die Begründung der Ausschussempfehlung, wo sich auf Seite 11 am Ende findet

Ein einheitliches Haftungsregime für Rechtsverletzungen im Internet zu kodifizieren, ist aber vorrangig eine europäische Aufgabe und soll daher auf europäischer Ebene adressiert werden.

Wenn man also schon eine Begründung heranzieht wäre es an dieser Stelle keineswegs abwegig, diesen Satz so zu verstehen, dass Unterlassungsansprüche ausdrücklich hier – auf nationaler Ebene – nicht geregelt werden sollten, was zur Streichung der klaren Bezugnahme auf Unterlassungsansprüche im zuerst geplanten Absatz 4 perfekt passt. So kann die Argumentation über die Begründung, wenn man ihr folgen will, zum Bumerang werden. Man darf gespannt sein, ob die Rechtsprechung sich diese Vorlage wirklich entgehen lässt.

Dazu auch von mir: Störerhaftung bei WLAN – Überblick

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften. Dabei bin ich fortgebildet in Krisenkommunikation und Compliance.

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