Das Oberlandesgericht Hamm (4 Ws 154/24) hat in einer ganz aktuellen Entscheidung die rechtlichen Grenzen der Verwertbarkeit von Beweismitteln, die aus der Überwachung des Kryptomessenger-Dienstes ANOM gewonnen wurden, präzisiert. Die zentrale Frage war, ob und in welchem Umfang solche Erkenntnisse in einem Strafverfahren verwendet werden dürfen. Der Beschluss bezieht sich insbesondere auf die Vorschriften der §§ 100b, 100d und 100e der Strafprozessordnung (StPO).
Sachverhalt
Der Kryptomessenger-Dienst ANOM wurde von Ermittlungsbehörden als Überwachungsplattform genutzt, um die Kommunikation mutmaßlicher Krimineller zu durchleuchten. Die im Rahmen dieser Überwachungsaktion erlangten Daten umfassten unter anderem Informationen über Betäubungsmittelgeschäfte. Im vorliegenden Fall erhob die Staatsanwaltschaft Arnsberg Anklage gegen mehrere Personen wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Die Verteidigung argumentierte, dass die gewonnenen Beweismittel unverwertbar seien, da sie gegen die Vorschriften der StPO verstoßen würden.
Rechtliche Analyse
Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO
Das Gericht stellte klar, dass die Verwertbarkeit von Beweismitteln aus Überwachungen gemäß § 100e Abs. 6 StPO von mehreren Faktoren abhängt:
- Kernbereich privater Lebensführung: Erkenntnisse, die diesen Bereich betreffen (§ 100d Abs. 2 Satz 1 StPO), dürfen grundsätzlich nicht verwendet werden.
- Zweckbindung: Eine Verwertung ist nur zulässig, wenn die gewonnenen Daten der Aufklärung einer sogenannten Katalogtat gemäß § 100b Abs. 2 StPO dienen oder den Aufenthaltsort eines Beschuldigten solcher Taten ermitteln sollen.
- Besondere Schwere der Straftat: Gemäß § 100b Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO muss die Straftat besonders schwer wiegen, und die Ermittlungen dürfen auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein.
Das Gericht bestätigte, dass die im Fall ANOM erlangten Beweismittel diese Voraussetzungen erfüllten, da sie auf bandenmäßige Betäubungsmittelvergehen hinwiesen.
Zeitpunkt der Verwertungsprüfung
Die Entscheidung betonte, dass die rechtliche Bewertung der Verwertbarkeit auf den Zeitpunkt der Verwendung der Beweismittel im Verfahren abzustellen ist. Insbesondere mit Blick auf das am 01.04.2024 in Kraft tretende Gesetz zur Änderung des Katalogs von Straftaten (KCanG) wurde festgelegt:
- Erkenntnisse, die vor dem Inkrafttreten des KCanG gewonnen wurden, bleiben nur dann verwertbar, wenn die zugrunde liegende Straftat auch nach Inkrafttreten des neuen Rechts weiterhin als Katalogtat eingestuft wird.
Diese dynamische Betrachtungsweise stellt sicher, dass ältere Beweismittel nicht automatisch unverwertbar werden, solange sie den aktuellen gesetzlichen Anforderungen entsprechen.
Die Entscheidung ist enttäuschend und verkennt meines Erachtend die eigentliche Problematik: Vielmehr setzt man Encrochat mit ANOM gleich und übersieht, dass hier grundlegende Elemente einer Geheimjustiz etabliert werden, die unserem Rechtsstaat seit 1945 fremd gewesen ist. Es ist ein weiterer Baustein in einer gefährlichen Entwicklung weg vom Beweis der Schuld hin zur Verurteilung auf Zuruf durch Ermittler. Oberlandesgerichte sollten hier ein – auch geschichtlich bedingtes – besseres Empfinden zeigen.
Fazit
Die Entscheidung des OLG Hamm reiht sich ein zu weiteren OLG-Entscheidungen dieser Art. Auch hier, wie bei Encrochat, zeigt sich dass unsere Gericht bei der Verwertbarkeit von Beweismitteln, die aus Überwachungsaktionen gewonnen wurden, am Ende quasi alles mitmachen. Sie unterstreicht die strengen Vorgaben der StPO und die Bedeutung der Wahrung des Kernbereichs privater Lebensführung. Zugleich verdeutlicht sie, dass die rechtliche Prüfung sich stets an den aktuellen gesetzlichen Maßstäben orientieren muss, um die Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung und -verwertung zu gewährleisten.
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