Im Zuge einer von mir geführten, aktuellen Sprungrevision hat sich das Oberlandesgericht Köln (1 RVs 58/21) nochmals deutlich zur kurzen Freiheitsstrafe bei Bagatelldelikten geäußert und – unter Berücksichtigung der seit Jahrzehnten gefestigten Rechtsprechung – erneut klar gestellt, dass die Frage, ob aufgrund von Vorstrafen die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach Maßgabe des §47 Abs. 1 StGB unerlässlich ist, von den Gegebenheiten des Einzelfalles abhängt.
Insbesondere sind ins Auge zu fassen:
- Anzahl, Gewicht und dem zeitlicher Abstand der Vorstrafen;
- Umstände und Schuldgehalt der vorliegenden Tat;
- Lebensverhältnisse des Täters;
- Das bedeutet für das Urteil, so das OLG ausdrücklich: „Neben dem Zeitpunkt der Verurteilung und der Art und der Höhe der Strafen sind daher in der Regel die den als belastend eingestuften Vorverurteilungen zugrundeliegenden Sachverhalte zwar knapp, aber doch in einer aussagekräftigen Form zu umreißen“;
Der letzte Aspekt lässt aufhorchen und ist eine klare Ansage an die Amtsgerichte: Wenn man schon der Auffassung ist, dass eine kurze Freiheitsstrafe wirklich unerlässlich ist, dann muss man sich Arbeit machen. Und diese Arbeit bedeutet hier, dass man nicht einfach den Bundeszentralregisterauszug verliest und dann per Copy-and-paste ins Urteil einfügt, sondern man muss die wesentlichen Umstände der früheren Taten feststellen und ins Urteil schreiben. Das ist viel Arbeit, die vielleicht dazu veranlassen sollte, doch noch mal zu überlegen, wie wichtig hier eine Freiheitsstrafe ist.
Allgemeines zu kurzen Freiheitsstrafen
Unerlässlich zur Einwirkung auf den Täter im Sinne des § 47 Abs. 1 StGB ist die Freiheitsstrafe dabei nur, wenn eine – selbst hohe – Geldstrafe voraussichtlich nicht ausreichen wird, ihre spezialpräventive Funktion zu erfüllen und in der kriminalpolitisch notwendigen Weise auf den Täter einzuwirken. In einer weiteren von mir geführten Revision fasst das OLG Köln zusammen, was längst gefestigt (wenn nicht gar zementiert) ist und bei den Amtsgerichten irgendwie bis heute zu Diskussionen führt:
Insoweit bedarf es einer eingehenden Würdigung der Tat und der Täterpersönlichkeit, wobei die maßgebenden Erwägungen gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO im Urteil darzulegen sind (…). Sollte das neue Tatgericht ebenfalls den Anwendungsbereich von § 47 Abs. 1 StGB als eröffnet ansehen, wird es näherer Darlegungen dazu bedürfen, inwieweit es zur Einwirkung auf die – in Deutschland und bis Februar 2016 auch insgesamt strafrechtlich nicht vorbelastete – Angeklagte der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe bedarf.
OLG Köln, III-1 RVs 42/22
Dies gilt dann selbst bei Wiederholungstätern:
Auch bei einem Wiederholungstäter darf die „Unerlässlichkeit“ nicht schematisch bejaht werden (…) Zwar schließt das verfassungsrechtlich verankerte Übermaßverbot die Verhängung von Freiheitsstrafe bei geringfügigen Straftaten oder Bagatelldelikten namentlich dann nicht generell aus, wenn der Täter mehrfach und zudem einschlägig vorbestraft ist (…). Erfordern geringfügige Straftaten den Ausspruch einer Freiheitsstrafe, so können indessen die Anforderung an einen gerechten Schuldausgleich und die Beachtung des Übermaßverbotes jedoch gebieten, auf die Mindeststrafe zu erkennen (…)
OLG Köln, 1 RVs 58/21
Diebstahl geringwertiger Sachen
Interessant ist, wie sich auch Oberlandesgerichte um Entscheidungen drücken können – Kern meiner Sprungrevision war die Frage, ob eine geringwertige Sache vorliegt (es ging um den Diebstahl einer Packung Steaks im Wert von knapp über 30 Euro). Während immer mehr OLG in Deutschland die Grenze zur Geringwertigkeit bei 50 Euro ansiedeln, konnte das OLG Köln sich noch nicht neu postieren, hier gelten weiterhin die 25 Euro als „magische Grenze“. Der vorliegende Fall lud also dazu ein und die Generalstaatsanwaltschaft unterstützte die Diskussion durch sachliche Erwiderung, insgesamt wurde recht viel von beiden Seiten geschrieben. Umso überraschender, dass das OLG sich „drückt“ und dann wie folgt ausweicht:
Eine Erörterung des Übermaßverbotes drängt sich dem Tatgericht jedenfalls dann auf, wenn bei einem Diebstahl der Wert der Beute nicht über 1/3 des Höchstwertes einer geringwertigen Sache im Sinne von §248a StGB liegt; in einem solchen Fall kann eine Freiheitsstrafe über der gesetzliche Mindeststrafe von einem Monat ggf. auch dann nicht mehr schuldangemessen sein, wenn in der Person des Angeklagten besondere Straferschwerungsgründe liegen
Da würde ich sagen: Knapp verfehlt … Bezug genommen wird hier vom OLG Köln übrigens ausdrücklich auf die Rechtsprechung des OLG Brandenburg und OLG Oldenburg.
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