Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied im Beschluss vom 11. September 2024 (Az. 5 StR 325/24) über eine komplexe Strafsache, die sich unter anderem um die illegale Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen unter Verwendung von gefälschten A1-Bescheinigungen drehte. Diese Entscheidung berührt sowohl arbeitsstrafrechtliche Aspekte als auch das europäische Sozialversicherungsrecht und die Bedeutung der A1-Bescheinigungen in diesem Kontext.
Sachverhalt
Eine Gruppe von Angeklagten, angeführt von Za., betrieb Leiharbeitsfirmen in Estland, Litauen und Lettland und entsandte Arbeitnehmer nach Deutschland, vorwiegend im Logistikbereich. Die Arbeiter kamen aus Nicht-EU-Staaten, darunter die Ukraine und die Republik Moldau, und verfügten nicht über die notwendige Arbeitserlaubnis oder ein Visum.
Durch den Einsatz gefälschter ID-Karten und erschlichener A1-Bescheinigungen wurde der Eindruck erweckt, dass diese Arbeiter offiziell in Deutschland tätig sein dürften und lediglich temporär entsandt worden waren. Dadurch wurden Sozialabgaben in Deutschland umgangen. Über vier Jahre hinweg erzielte die Gruppe einen Umsatz von 29 Millionen Euro, während Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von mehreren Millionen Euro hinterzogen wurden.
A1-Bescheinigungen und deren Missbrauch
A1-Bescheinigungen dienen dem Nachweis, dass ein Arbeitnehmer, der vorübergehend in einem anderen EU-Mitgliedstaat arbeitet, weiterhin den Sozialversicherungsgesetzen seines Heimatlandes unterliegt. Dadurch wird vermieden, dass für denselben Arbeitnehmer in zwei Ländern Beiträge gezahlt werden müssen.
In diesem Fall wurden die A1-Bescheinigungen jedoch missbräuchlich verwendet, um Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland zu umgehen. Diese Bescheinigungen waren auf Basis gefälschter Identitäten ausgestellt worden, die falsche Angaben zur Nationalität der Arbeiter enthielten. Der BGH stellte klar, dass solche gefälschten Bescheinigungen keine Bindungswirkung entfalten können, insbesondere wenn die Personalien gefälscht sind und die Bescheinigungen auf Personen ausgestellt wurden, die faktisch nicht existieren.
Arbeitsstrafrechtliche Bewertung
Die Angeklagten wurden wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern sowie wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt. Sie hatten Drittstaatsangehörige ohne die notwendigen Aufenthaltstitel und Arbeitserlaubnisse in Deutschland beschäftigt.
Diese Tätigkeiten verstießen gegen das Schwarzarbeitsgesetz (§ 10 SchwarzArbG) und führten zur Hinterziehung von Sozialabgaben nach § 266a StGB. Die Arbeitnehmer wurden unter schlechten Bedingungen beschäftigt, was unter anderem den fehlenden Krankenversicherungsschutz, die Nichtgewährung von Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall und den Missbrauch von Lohnabzügen beinhaltete.
Bindungswirkung der A1-Bescheinigungen
Grundsätzlich entfalten A1-Bescheinigungen Bindungswirkung bezüglich der Sozialversicherungspflicht in Deutschland, selbst wenn sie betrügerisch erlangt wurden. Allerdings stellte der BGH klar, dass diese Bindungswirkung nicht greift, wenn die Bescheinigungen auf falschen Identitäten beruhen. Eine A1-Bescheinigung ist auf die darin genannte Person beschränkt. Wenn die Identität gefälscht ist, geht die Tatbestandswirkung ins Leere. In diesem Fall war der Missbrauch der Bescheinigungen Teil eines größeren kriminellen Systems zur Umgehung der deutschen Sozialversicherungsbeiträge.
Entscheidung
Der BGH bestätigte weitgehend die Schuldsprüche der Vorinstanz und die verhängten Strafen. Die Angeklagten hatten wissentlich Drittstaatsangehörige illegal beschäftigt und dabei sowohl das Aufenthaltsrecht als auch arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Vorschriften verletzt. Die eingesetzten gefälschten A1-Bescheinigungen dienten als Mittel, um die Arbeitskräfte illegal in Deutschland zu beschäftigen und die Sozialversicherungsabgaben zu umgehen. Der BGH stellte klar, dass gefälschte A1-Bescheinigungen keine rechtliche Wirkung entfalten können, wenn die darin aufgeführten Identitäten nicht den realen Personen entsprechen.
Fazit
Diese Entscheidung verdeutlicht die strengen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von A1-Bescheinigungen und die ernsten strafrechtlichen Konsequenzen des Missbrauchs dieser Dokumente. Im arbeitsstrafrechtlichen Kontext spielt die Einhaltung der Sozialversicherungspflichten eine zentrale Rolle, und der BGH zeigt deutlich, dass kriminelle Handlungen wie das Vorenthalten von Arbeitsentgelt oder das Einschleusen von Ausländern zu gravierenden strafrechtlichen Sanktionen führen können.
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