Urheberrecht im Schatten des Patentrechts: Mit Urteil vom 21. November 2024 (Az. I ZR 10/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine bemerkenswerte Entscheidung im Spannungsfeld von Urheberrecht und Patentrecht getroffen.
Im Zentrum des Verfahrens stand die Frage, ob ein Urheber die Verwendung eines von ihm stammenden Lichtbilds in einer Patentanmeldung untersagen kann – oder ob derartige Handlungen durch eine urheberrechtliche Schrankenregelung privilegiert sind. Dabei ging es nicht nur um den Schutz kreativer Leistungen in technischen Verfahren, sondern auch um das grundsätzliche Verhältnis zwischen Individualrechtsschutz und der Funktionsfähigkeit behördlicher Verfahren.
Sachverhalt
Die Klägerin, ein Unternehmen aus der Medizintechnik, hatte mit der Beklagten zusammengearbeitet, um Cornea-Implantate aufzubereiten. Im Rahmen dieses Projekts wurde eine Fotografie erstellt, die Gewebeproben zeigte und dokumentierte. Die Beklagte reichte später eigenständig eine Patentanmeldung ein, in der eben jenes Lichtbild als Abbildung verwendet wurde, um das von ihr entwickelte Verfahren in Kontrast zu herkömmlichen Methoden zu setzen. Die Klägerin berief sich auf ihr Urheberrecht an der Fotografie und klagte auf Unterlassung, Beseitigung, Auskunft, Schadensersatz sowie Erstattung von Abmahnkosten.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab – nicht etwa, weil kein Urheberrecht bestand oder keine Verletzung vorlag, sondern weil sie der Klägerin bereits das sogenannte Rechtsschutzbedürfnis absprachen. Die Verwendung des Lichtbilds diene einem behördlichen Verfahren und sei daher einer gerichtlichen Kontrolle im Wege der allgemeinen Zivilklage entzogen. Diese Argumentation stellte das höchste deutsche Zivilgericht nun klar in Frage.
Die dogmatische Kernaussage des BGH
Der BGH betonte, dass die Prüfung der materiellen Rechtslage – insbesondere ob ein urheberrechtlicher Ausnahmetatbestand einschlägig ist – nicht auf die Ebene der Zulässigkeit der Klage verlagert werden darf. Wenn das Vorbringen eines Klägers die Anwendung einer urheberrechtlichen Schrankenregelung wie § 45 UrhG in den Raum stellt, ist diese Frage im Rahmen der Begründetheit zu klären. Eine Versagung des Zugangs zur inhaltlichen Prüfung der Klage mit der Begründung fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses ist in solchen Fällen unzulässig.
§ 45 UrhG erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen die Nutzung geschützter Werke im Rahmen gerichtlicher oder behördlicher Verfahren. Diese Regelung ist unionsrechtlich durch Art. 5 Abs. 3 Buchstabe e der InfoSoc-Richtlinie abgesichert. Ihre Anwendung setzt jedoch eine differenzierte Prüfung des Einzelfalls voraus – insbesondere im Hinblick auf den sogenannten Drei-Stufen-Test nach Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie. Nur wenn eine Nutzung einen Sonderfall darstellt, die normale Verwertung nicht beeinträchtigt und berechtigte Interessen des Urhebers nicht unzumutbar verletzt werden, kann von einer Schrankenwirkung ausgegangen werden.
Spannungsfeld von Urheberrecht und Verfahrensfreiheit
Die Beklagte hatte argumentiert, dass die Verwendung des Lichtbilds in der Patentanmeldung der Darstellung des technischen Stands diene und daher zulässig sei. Das Berufungsgericht folgte dieser Linie, indem es das urheberrechtliche Unterlassungsbegehren als unzulässigen Eingriff in die Verfahrensautonomie bewertete. Der BGH hingegen erkannte an, dass auch in geregelten Verfahren nicht jede Nutzung geschützter Inhalte per se von zivilrechtlicher Kontrolle ausgenommen werden kann. Maßgeblich sei, ob die Verwendung tatsächlich zur Darstellung des technischen Gehalts unabdingbar sei oder ob alternative Darstellungsformen – etwa eigene Fotografien oder schematische Zeichnungen – zur Verfügung stünden.
Auch das Verhalten der Beklagten spielte eine Rolle: Es war unklar, ob sie sich auf Rechte aus einem rückwirkend geschlossenen Vertrag mit der Klägerin berufen konnte oder ob die Verwendung schlicht ohne Rechtsgrundlage erfolgte. In einem Patenterteilungsverfahren darf keine immunisierte Sphäre entstehen, in der urheberrechtlich geschützte Werke ohne Rücksicht auf bestehende Rechtspositionen Dritter verwendet werden können.
Bedeutung der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH ist nicht nur eine Korrektur der unterinstanzlichen Rechtsprechung, sondern eine Weichenstellung im Bereich der sogenannten verfahrensimmanenten Schranken. Der BGH betont mit Nachdruck, dass auch in staatlich strukturierten Verfahren die Grundprinzipien des Zivilrechts, insbesondere der Individualrechtsschutz, nicht suspendiert werden dürfen.
In Bezug auf die urheberrechtliche Schrankenregelung des § 45 UrhG bleibt das Verfahren nun vor dem Berufungsgericht offen, das die Voraussetzungen dieser Norm in richtlinienkonformer Auslegung zu prüfen hat. Dazu gehört speziell die Frage, ob die Nutzung tatsächlich notwendig war, ob der Rechteinhaber dadurch in seinen Verwertungsmöglichkeiten beeinträchtigt wurde und ob seine berechtigten Interessen – etwa durch die fehlende Quellenangabe – unzumutbar verletzt wurden.
Ergebnis
In der Konklusion kann festgehalten werden: Der BGH stellt klar, dass das urheberrechtliche Individualinteresse auch gegenüber technisch geprägten Schutzverfahren nicht ohne Weiteres zurückstehen muss. Die Möglichkeit, sich gegen die unautorisierte Nutzung geschützter Werke zu wehren, besteht – selbst wenn diese Nutzung in einem geregelten Verwaltungsverfahren erfolgt. Das Urteil verdeutlicht einmal mehr die Bedeutung einer ausgewogenen Abwägung zwischen Verfahrensinteressen, öffentlichem Zugang und privatrechtlichem Schutz geistigen Eigentums. Die endgültige Entscheidung über eine Urheberrechtsverletzung ist damit zwar noch offen, der Weg zu ihrer gerichtlichen Überprüfung aber jedenfalls freigemacht.