Digitale Beweismittel zwischen Science-Fiction und Strafprozess: Ein verkrustetes iPad, vergraben im Schlick des Londoner Themseufers, liefert den entscheidenden Hinweis zur Aufklärung eines beinahe perfekten Mordkomplotts. Was wie der Einstieg in einen Roman von William Gibson klingt, ist Realität – und zugleich Lehrstück für den Umgang mit digitalen Spuren im Strafverfahren.
Im Mittelpunkt dieses fast filmreifen Falls von dem die Metropolitan Police berichtet: Drei international agierende Kriminelle, eine versuchte Exekution im East End, ein spektakulärer Kunstraub in der Schweiz – und ein iPad, das fünf Jahre lang unter Wasser lag und dennoch zu einem der wichtigsten Beweismittel avancierte.
Der Fall zum Themsen-iPad
Am späten Abend des 11. Juli 2019 fallen in einer ruhigen Wohnstraße in Woodford Green, einem wohlhabenden Viertel im Osten Londons, sechs Schüsse. Ziel der Attacke: Paul Allen, einst berüchtigter Mitorganisator des 53-Millionen-Pfund-Raubs auf ein Securitas-Depot im Jahr 2006. Zwei Kugeln treffen ihn – eine davon durchschlägt seinen Hals und verletzt die Wirbelsäule. Allen überlebt schwer verletzt, doch bleibt von der Brust abwärts gelähmt.
Die Täter, Daniel Kelly sowie die Brüder Stewart und Louis Ahearne, hatten den Anschlag akribisch vorbereitet: Sie nutzten ein Mietfahrzeug, das zwei Tage zuvor in Dartford angemietet worden war. Der Wagen – ein silbergrauer Renault Captur – war nicht nur das Fluchtfahrzeug, sondern wurde auch zuvor für einen Einbruch in ein Luxusanwesen in Kent genutzt. Über automatisierte Kennzeichenerfassung (ANPR) und eine Vielzahl von Überwachungskameras konnten Ermittler die Route des Fahrzeugs minutiös rekonstruieren – vom Tatort zurück bis zur Mietstation. Selbst der Stopp an einer Tankstelle, bei dem einer der Täter auffällig durstig eine Flasche „Oasis“ kaufte, wurde durch hochauflösendes CCTV dokumentiert.
Wesentlich brisanter war jedoch ein technisches Detail: Die Täter hatten an Allens Fahrzeug einen GPS-Tracker angebracht, mit dem sie seine Bewegungen überwachten. Gesteuert wurde dieser offenbar über ein iPad – jenes legendäre Gerät, das erst fünf Jahre später von der Londoner Marine-Einheit entdeckt wurde. Der entscheidende Hinweis kam durch eine Verteidigungsäußerung eines Angeklagten: Man sei an einem Abend im Juli 2019 kurz in John Harrison Way (in Ufernähe zur Themse) angehalten – angeblich nur für frische Luft. Für die Ermittler war klar: Wer an einem dunklen Flussabschnitt hält, hat meist mehr als nur Sauerstoff im Sinn.
Die Polizei begann zu graben – im wörtlichen Sinne. Mit Metalldetektoren und viel Geduld durchkämmten sie das Ufer – und fanden: ein iPad Mini, kaum mehr als ein Schlammklumpen, aber mit einer aktiven SIM-Karte im Tray. Der darauf gespeicherte Datensatz, darunter Anruflisten und Verbindungen zu GPS-Trackern, lieferte den missing link zwischen den Tatverdächtigen, dem Opfer und dem Tatablauf.
Was sich dann entfaltete, war ein Netz digitaler Indizien, die sich wie ein Puzzle zusammensetzten: Standortdaten, DNA-Spuren am Gartenzaun der Nachbarparzelle, getriggerte Bewegungsprofile aus Mobilfunkdaten – alles verdichtet durch ein einziges, fast vergessenes Gerät aus der Tiefe der Themse.
Digitale Spuren und Forensik 2.0
Die Analyse der SIM-Karte offenbarte Kontakte, Standortdaten, und Hinweise auf GPS-Tracker, die den Tätern offenbar zur präzisen Überwachung ihres Opfers dienten. Verknüpft mit klassischer Spurensicherung (DNA, Patronenhülsen), Telefondaten, Fahrzeugmietverträgen und Kameraaufnahmen entstand ein lückenloses Bild des Tatablaufs. Und: Ein belastbares Netz digitaler Indizien, das vor Gericht überzeugte.
Am Ende wurde der iPad-Fund zur Schlüsselszene der Anklage – eine „smoking gun“ in der digitalen Ära.
Was lernen wir daraus?
Dieser Fall ist aus rechtlicher Sicht ein Paradebeispiel für den wachsenden Einfluss digitaler Beweismittel. Besonders bemerkenswert:
- Langlebigkeit digitaler Spuren: Selbst nach fünf Jahren unter Wasser war eine digitale Auswertung noch möglich – ein Albtraum für jede Verteidigungsstrategie, die auf Vergessen oder technische Obsoleszenz hofft.
- Kombination klassischer und digitaler Ermittlungen: Der Erfolg lag nicht in einem einzelnen Beweis, sondern im Zusammenspiel von analoger und digitaler Ermittlungsarbeit. Der Kontext macht die Daten verwertbar.
- Grenzüberschreitende Relevanz: Digitale Spuren enden nicht an Landesgrenzen. Die Verbindung zwischen der Tat in London und dem Einbruch in Genf zeigt, wie wichtig internationale Kooperation und Beweissicherung geworden sind.
Vorsicht …
Ich habe mich vor Jahren schon angefangen auf technische und juristische Fragen digitaler Beweismittel zu spezialisieren und warne nicht ohne Grund in meinen Vorträgen zum Thema davor, die Situation zu unterschätzen: Das Werfen in Flüsse, selbst in ein Feuer, sind keine zwingend hilfreichen Vernichtungsaktionen. Was ausgewertet werden kann weiss man mit abschliessender Sicherheit erst, wenn ausgewertet wurde – und Ermittler werden darin immer besser, während zugleich die Geräte immer robuster werden.
Fazit
Digitale Beweismittel sind längst keine Randerscheinung mehr. Sie sind nicht nur stille Zeugen – sie sprechen. Und sie sprechen oft deutlicher, als manchem Täter lieb ist. Der Fall des iPads aus der Themse zeigt dabei auf fast surreale Weise, wie sehr sich digitale Realität und klassische Strafverfolgung verzahnen – ein Stoff, aus dem nicht nur Urteile, sondern auch Science-Fiction-Romane gemacht sind.
Und am Ende bleibt ein Gedanke haften, der wie aus dem Munde Asimovs stammen könnte: Es sind nicht nur Maschinen, die Spuren hinterlassen – es ist die Hybris des Menschen, zu glauben, er könne sie unbemerkt löschen.
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