BGH zur Überprüfung überhöhter Erfindervergütungen

Billigkeit mit Maß: In einem grundlegenden Urteil vom 12. November 2024 (Az. X ZR 37/22) hat der (BGH) zur Frage Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen eine überdurchschnittlich hohe Arbeitnehmererfindervergütung als „unbillig“ im Sinne von § 23 ArbNErfG eingestuft und revidiert werden kann – selbst dann, wenn sie jahrelang vorbehaltlos angewendet wurde. Die Entscheidung betrifft ein bislang wenig beleuchtetes Spannungsfeld: nicht der Schutz vor zu geringer Vergütung, sondern die Möglichkeit des Arbeitgebers, sich von wirtschaftlich ungünstigen Altregelungen zu lösen.

Sachverhalt

Ein promovierter Chemiker hatte zusammen mit Kollegen mehrere patentfähige Erfindungen im Bereich chemischer Verbrauchsmaterialien gemacht. Auf Grundlage einer alten, nicht individuell mit ihm geschlossenen Vereinbarung erhielt er über Jahre hinweg eine prozentual sehr hohe Erfindervergütung, die sich nicht an den jeweils geltenden Berechnungsrichtlinien orientierte.

Erst 2017 versuchte die Arbeitgeberin, die Parameter abzuändern – unter Berufung auf ein objektiv überhöhtes Missverhältnis der bisherigen Zahlungen. Der Chemiker klagte auf Feststellung der Gültigkeit der alten Regelung und Zahlung weiterer Beträge für die Folgejahre. Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt) stellte sich auf die Seite des Arbeitgebers und erklärte die bisherige Regelung für unbillig und nichtig. Der BGH hob dieses Urteil auf – mit deutlichen Hinweisen.

Rechtliche Analyse

1. Auch der Arbeitgeber kann sich auf Unbilligkeit berufen

Zentral ist die Klarstellung des BGH, dass nicht nur unterbezahlte Erfinder, sondern auch Arbeitgeber sich auf § 23 Abs. 1 ArbNErfG berufen können, wenn eine Vergütungsregelung „in erheblichem Maße unbillig“ ist. Der Gesetzgeber habe bewusst eine ausgewogene Norm formuliert, die eine Berufung auf Unbilligkeit für beide Seiten erlaubt.

2. Maßstab: Doppelte Abweichung vom Richtwert

Die Rechtsprechung orientiert sich an der sogenannten „100 %-Grenze“: Eine Vereinbarung gilt als objektiv unbillig, wenn sie das Doppelte der gesetzlich geschuldeten Vergütung überschreitet oder nur die Hälfte beträgt. Dabei ist aber nicht nur der absolute Betrag entscheidend, sondern eine Gesamtabwägung aller Berechnungsfaktoren – Lizenzsatz, Umsatzstaffelung, Anteilsfaktor etc.

Im vorliegenden Fall hatte das OLG Frankfurt jedoch nicht alle Parameter berücksichtigt, sondern sich auf die Nichtberücksichtigung eines Anteilsfaktors gestützt. Der BGH beanstandete diese verkürzte Betrachtung und verwies die Sache zur erneuten Prüfung zurück.

3. Keine schematische Anwendung – Kontext zählt

Selbst wenn ein objektives Missverhältnis feststellbar ist, bedeutet dies nicht automatisch Unwirksamkeit. Der BGH betont ausdrücklich, dass bei der Abwägung auch folgende Faktoren relevant sind:

  • die Entstehungsgeschichte der Regelung (z. B. einseitige Arbeitgeberfestsetzung oder Verhandlungsergebnis),
  • die Dauer der praktizierten Zahlungspraxis,
  • das Kenntnisniveau des Arbeitgebers über die Höhe der Vergütung,
  • das Fehlen spürbarer wirtschaftlicher Belastung.

Mit anderen Worten: Wer selbst über Jahre eine „überhöhte“ Vergütung zahlt, kann sich nicht ohne weiteres auf deren Unbilligkeit berufen, wenn keine belastenden Umstände vorliegen.

4. Keine Grundlage für betriebliche Übung oder Gesamtzusage

Der BGH nutzte den Fall auch zur Klarstellung, dass selbst eine jahrzehntelange Praxis keine „betriebliche Übung“ im arbeitsrechtlichen Sinn begründet, solange gesetzliche Anspruchsgrundlagen bestehen. Ebenso wenig kann aus einer alten Vergütungsvereinbarung, die mit anderen Mitarbeitern geschlossen wurde, eine Gesamtzusage für Dritte abgeleitet werden.

Kontext und wirtschaftsrechtliche Bedeutung

Die Entscheidung ergänzt und erweitert die jüngere Judikatur zur Arbeitnehmererfindervergütung um einen wichtigen Aspekt: Sie bringt Beweglichkeit in festgefahrene Vergütungsmodelle, wahrt aber zugleich Vertrauensschutz für langjährige Zahlungspraktiken. Gerade in technologieintensiven Unternehmen mit hoher Patentaktivität hat das Urteil erhebliche Bedeutung:

  • HR-Abteilungen und Patentverantwortliche müssen Regelungen regelmäßig auf ihre Angemessenheit prüfen.
  • Altvereinbarungen sind nicht sakrosankt – aber auch nicht beliebig revidierbar.
  • Eine saubere Vergütungsdokumentation und -kalkulation wird zum entscheidenden Risiko- und Vertrauensparameter.
Rechtsanwalt Jens Ferner, TOP-Strafverteidiger und IT-Rechts-Experte - Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für IT-Recht

Eine pauschale Lösung gibt es nicht: Die Unwirksamkeit überhöhter Erfindervergütungen ist keine Rechtsautomatik, sondern ein Resultat sorgfältiger Gesamtbetrachtung. Das Urteil gibt Unternehmen die Möglichkeit zur Korrektur, verlangt aber Fairness im Umgang mit der Vergangenheit.

Fazit

Der BGH stellt klar: Auch zu hohe Vergütungen können unbillig sein – aber ihre Rückabwicklung erfordert eine umfassende Bewertung aller Umstände. Der Maßstab ist objektiv, aber der Umgang damit verlangt Fingerspitzengefühl. Die Entscheidung bringt damit Ausgewogenheit in ein Feld, das bislang primär vom Schutzgedanken gegenüber dem geprägt war.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht und anspruchsvolles IT-Recht inkl. IT-Sicherheitsrecht - ergänzt um Arbeitsrecht mit Fokus auf Managerhaftung. Von Verbrauchern werden allein Strafverteidigungen und im Einzelfall Fälle im Arbeitsrecht übernommen!
Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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