Mit seinem Beschluss vom 4. Dezember 2024 (Az. 2 StR 352/23) hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zentrale Grundsätze zur dogmatischen Bestimmung des Vermögensschadens im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB geschärft.
Die Entscheidung befasst sich mit einem Fall besonders komplexer Täuschungskonstellationen im Immobiliensektor, in denen gutgläubige Makler über gefälschte Mietinteressenten zur Auszahlung hoher Provisionsanteile bewegt wurden. Die rechtliche Herausforderung lag nicht allein in der Bewertung des Täuschungsgeschehens, sondern vor allem in der exakten Abgrenzung des Vermögensschadens – sowohl für die Strafbarkeit als auch für die Strafzumessung.
Der Sachverhalt: Scheinmakler, falsche Mieter, reale Verluste
Dem Verfahren lag ein ausgeklügeltes Täuschungsmodell zugrunde: Der Angeklagte hatte mit Mittätern eine inaktive maltesische Gesellschaft als angeblichen Makler positioniert und unter falschem Namen gutgläubige Hauptmakler kontaktiert. Diese wurden dazu gebracht, Mietinteressenten zu akquirieren und die mit den Vermietern geschlossenen Verträge abzuwickeln. Die Provision sollte auf ein Anderkonto eines mit dem „Untermakler“ verbundenen Rechtsanwalts fließen – unter dem Anschein regulärer Maklertätigkeit.
In sechs Fällen kam es zur Auszahlung der Provisionen, die sodann – teilweise verschleiert – an den Angeklagten flossen. Der wirtschaftliche Schaden der Hauptmakler manifestierte sich jedoch nicht in der Zahlung an den Vermieter, sondern in der anschließenden internen Verteilung an den vermeintlichen Untermakler. Genau diese Differenzierung war für den BGH der Schlüssel zur materiellen Würdigung des Vermögensschadens.
Vermögensschaden als wirtschaftliche Gesamtbetrachtung
Der BGH rückt in seiner Begründung den wirtschaftlichen Maßstab ins Zentrum: Für einen Vermögensschaden im Sinne des Betrugstatbestands kommt es nicht auf eine rein formale Betrachtung der Rechtsverhältnisse an, sondern auf die ökonomische Einbuße im Zeitpunkt der Vermögensverfügung. Diese ergibt sich entweder aus einer unmittelbaren Minderung des Vermögens oder aus einem hinreichend wahrscheinlichen Risiko künftiger Rückzahlungsverpflichtungen, das bereits gegenwärtig werthaltige Vermögenspositionen entwertet.
In der hier relevanten Konstellation hatten die Hauptmakler – durch Täuschung über die Seriosität des Untermaklers – selbst die Anweisung zur Auszahlung an den Angeklagten gegeben. Nach der dogmatischen Struktur des Betrugstatbestands liegt darin eine vom Getäuschten veranlasste Vermögensverfügung. Der BGH betont, dass der Schaden nicht bereits durch die Zahlung des Vermieters auf das Anderkonto eintrat – denn insoweit bestand für die Makler ein voll werthaltiger Auszahlungsanspruch gegen den Treuhänder. Entscheidend sei erst die irrtumsbedingte Weiterleitung der Gelder an den Angeklagten.
Damit verknüpft sich eine zweite, wirtschaftlich geprägte Wertung: Der Schaden liegt nicht notwendigerweise in der vollständigen Provisionssumme, sondern in dem Verlust der Möglichkeit, über diese Mittel uneingeschränkt zu verfügen – sei es, weil sie endgültig abgeflossen sind, sei es, weil sie einer Rückforderung durch den Vermieter unterliegen. Der BGH hält es daher für unzutreffend, die volle Maklerprovision als Schadenshöhe anzusetzen. Stattdessen sei eine konkrete ökonomische Bewertung erforderlich, die etwaige Rückzahlungsrisiken mit bestehenden Regressansprüchen saldiert.
Strafzumessung und wirtschaftliche Präzision
Gerade weil der Betrugstatbestand – anders als beispielsweise die Untreue – unmittelbar an den wirtschaftlichen Schaden anknüpft, ist dessen genaue Quantifizierung auch für die Strafzumessung von entscheidender Bedeutung. Der BGH hebt den Strafausspruch des Landgerichts auf, weil dieses keine belastbare Bemessung des tatsächlichen Schadens vorgenommen hatte, sondern pauschal von der Provisionshöhe ausging. Damit fehlt die für die Zumessung unerlässliche Tatsachengrundlage, zumal die Hauptmakler möglicherweise Regressforderungen gegen die Täter hatten, deren Werthaltigkeit das Urteil nicht beleuchtet.
Diese Differenzierung ist nicht nur strafzumessungsrelevant, sondern auch verfassungsrechtlich bedeutsam: Ein nicht korrekt bestimmter Schaden kann zu einer unverhältnismäßigen Bestrafung führen, was gegen das Schuldprinzip verstoßen würde. Die Entscheidung betont damit implizit die Funktion des wirtschaftlichen Schadens als Korrektiv auch im Rahmen der Legaldefinition – und fordert von den Instanzgerichten größere ökonomische Sorgfalt.
Vermögensabschöpfung und Tatbeitrag
Für die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 StGB gilt hingegen ein anderer Maßstab: Hier kommt es nicht auf die wirtschaftliche Risikoverteilung oder Schadensbetrachtung an, sondern allein darauf, ob der Täter durch die Tat einen konkreten Vermögenszuwachs erlangt hat. In der vorliegenden Sache erhielt der Angeklagte aus den ausgezahlten Provisionen über 218.000 Euro, was sich nach Auffassung des BGH zweifelsfrei als durch die Tat erlangt qualifizieren lässt – auch dann, wenn die Gelder über Dritte weitergeleitet wurden. Die Einziehungsentscheidung blieb daher bestehen, musste jedoch um einen Rechenfehler bereinigt werden.
Schlussbetrachtung
In der Kernaussage bringt der Beschluss des Bundesgerichtshofs das wirtschaftliche Verständnis des Betrugstatbestands auf den Punkt: Maßgeblich ist nicht die formale Rechtslage, sondern der realwirtschaftliche Verlust – und dieser ist nicht stets deckungsgleich mit den gezahlten Beträgen. Die Entscheidung verdeutlicht die Notwendigkeit ökonomischer Analyse im Strafrecht, insbesondere bei komplexen Täuschungskonstellationen und der Rückabwicklung provisionsbasierter Leistungsstrukturen.
Gleichzeitig stärkt der Senat die Trennung zwischen Strafzumessung und Vermögensabschöpfung: Während der Schaden das Maß der individuellen Schuld beeinflusst, ist für die Einziehung allein der kausale Vorteil maßgeblich. Damit schafft das Urteil ein hohes Maß an dogmatischer Klarheit – und unterstreicht, dass Betrug im Wirtschaftsstrafrecht nicht nur juristisch, sondern auch ökonomisch zu verstehen ist.
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