Grenzen der Verantwortlichkeit für Informationsquellen: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 17. Dezember 2024 (Az. VI ZR 311/23) eine richtungsweisende Entscheidung zur Haftung als mittelbarer Störer im Presserecht getroffen. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob eine Person, die sich im Vorfeld einer Berichterstattung bereit erklärt, ihren Namen und ihr Foto zu veröffentlichen, für mögliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden kann, die durch die konkrete Gestaltung des Artikels entstehen.
Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Verantwortung für die Inhalte journalistischer Veröffentlichungen grundsätzlich bei der Presse liegt und nur unter strengen Voraussetzungen auf andere Beteiligte ausgedehnt werden kann. Der BGH hob damit die Klage der Betroffenen ab und stellte klar, dass der bloße Mitverursachungsbeitrag eines Informanten nicht ausreicht, um ihn als mittelbaren Störer haftbar zu machen.
Sachverhalt
Die Kläger waren zwei Minderjährige, die sich gegen einen Presseartikel wandten, der detaillierte Informationen über ihre Familie sowie Missbrauchsvorwürfe enthielt. Diese Vorwürfe richteten sich gegen ihren Großvater, der von der Staatsanwaltschaft entlastet worden war. Trotz der Einstellung des Verfahrens veröffentlichte eine große deutsche Zeitung einen Artikel, in dem sowohl der Name als auch das Foto des Großvaters verwendet wurden.
Der Großvater hatte vorab gegenüber einem Journalisten zugestimmt, seine Identität preiszugeben. Die Kläger argumentierten, dass er durch diese Zustimmung die identifizierende Berichterstattung ermöglicht und damit mittelbar ihre Persönlichkeitsrechte verletzt habe. Sie forderten daher, dass der Großvater zur Unterlassung verpflichtet wird.
Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht wies sie jedoch ab. Der BGH bestätigte nun das Berufungsurteil und verneinte eine Haftung des Großvaters als mittelbarer Störer.
Rechtliche Bewertung
1. Haftung als mittelbarer Störer – Voraussetzungen und Grenzen
Die zentrale Frage des Verfahrens war, ob der Großvater als mittelbarer Störer im Sinne von § 1004 BGB analog haftet. Als mittelbarer Störer haftet, wer ohne unmittelbarer Täter zu sein, in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung eines Rechtsguts beiträgt.
Der BGH stellte klar, dass ein Mitverursachungsbeitrag allein nicht ausreicht. Vielmehr bedarf es einer zusätzlichen Rechtfertigung, die sich regelmäßig aus der Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten ergibt. Dies bedeutet, dass die bloße Zustimmung zur Veröffentlichung des eigenen Namens und Bildes keine zumutbare Prüfpflicht verletzt, wenn die inhaltliche Ausgestaltung des Artikels allein in der Verantwortung der Presse liegt.
Der BGH argumentierte, dass es Sache der Presse sei, die rechtlichen Grenzen der Berichterstattung zu prüfen. Der Großvater habe darauf vertrauen dürfen, dass die Redaktion seine Zustimmung nur unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Kläger nutzt. Eine Übertragung dieser Verantwortung auf die Quelle selbst würde die Pressefreiheit unangemessen beschränken.
2. Zumutbare Verhaltenspflichten und die Rolle der Presse
Die Entscheidung betont die Eigenverantwortlichkeit der Presse für die redaktionelle Gestaltung von Artikeln. Der BGH führte aus, dass die Presse die erforderliche Fachkunde besitzt, um die rechtliche Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung zu prüfen.
Eine andere Sichtweise würde dazu führen, dass jede Person, die einer Berichterstattung zustimmt, umfangreiche Prüfpflichten erfüllen müsste, um sich nicht haftbar zu machen. Dies widerspräche der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, die auch die ungestörte Recherche und Informationsgewinnung schützt.
Durch die Zustimmung zur Nennung seines Namens und zur Veröffentlichung seines Fotos hat der Großvater lediglich über seine eigenen Rechte verfügt, nicht aber über die Persönlichkeitsrechte der Kläger. Daher verletzte er keine Verhaltenspflichten gegenüber seinen Enkeln.
3. Persönlichkeitsrecht der Kläger und ihre Identifizierbarkeit
Der BGH erkannte an, dass die Berichterstattung in die Persönlichkeitsrechte der Kläger eingriff. Obwohl die Kläger anonymisiert wurden, ermöglichten die detaillierten Schilderungen ihres Umfelds und ihrer Familie eine Identifizierung für Personen aus ihrem sozialen Umfeld.
Dennoch sah der BGH keine Verantwortlichkeit des Großvaters. Die Verantwortung für die Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Kläger liege allein bei der Redaktion, die die konkrete Form der Berichterstattung bestimmte. Die Entscheidung zeigt, dass die Zurechnung von Presseveröffentlichungen nur in Ausnahmefällen über die verantwortliche Redaktion hinaus auf Informanten ausgeweitet werden kann.
4. Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheit
Der BGH führte eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Kläger und der Pressefreiheit durch. Dabei betonte er die besondere Bedeutung der Pressefreiheit für die demokratische Meinungsbildung.
Die Presse dürfe nicht fürchten, dass Informanten aufgrund ihrer Mitwirkung haftbar gemacht werden, da dies die Recherchefreiheit und die Bereitschaft zur Mitwirkung beeinträchtigen würde. Nur bei einer offensichtlichen Missbrauchsgefahr oder erkennbaren Rechtsverletzungen könnte eine Haftung des Informanten als mittelbarer Störer gerechtfertigt sein. Dies sei hier nicht der Fall gewesen.
Für die Praxis bedeutet dies, dass Informanten grundsätzlich nicht für die Persönlichkeitsrechtsverletzungen haften, die sich aus der Art und Weise der Berichterstattung ergeben, solange sie keine zumutbaren Verhaltenspflichten verletzt haben. Dies stärkt die Bereitschaft von Informanten, mit Journalisten zusammenzuarbeiten, ohne ein unverhältnismäßiges Haftungsrisiko befürchten zu müssen.
Fazit
Das Urteil des BGH schafft Rechtssicherheit für Journalisten und Informanten. Es betont die Eigenverantwortlichkeit der Presse für die inhaltliche Gestaltung von Artikeln und stellt klar, dass die Haftung als mittelbarer Störer nicht ohne weiteres auf Informanten ausgeweitet werden kann. Im Ergebnis hat er mit seinem Urteil klargestellt, dass die Verantwortung für die Wahrung der Persönlichkeitsrechte bei der Presse liegt und nicht auf Informanten abgewälzt werden kann.
Die Entscheidung schützt die Pressefreiheit und die ungestörte Recherchearbeit, ohne dabei die Rechte der Betroffenen zu vernachlässigen. Sie zeigt jedoch auch die Grenzen der Haftung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf und stellt sicher, dass die Zurechnung von Rechtsverletzungen nicht ins Uferlose ausgeweitet wird.
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