Mit seinem Beschluss vom 25. Februar 2025 (2 StR 21/25) hat der Bundesgerichtshof zentrale Maßstäbe zur Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) bei Heranwachsenden geschärft. Im Mittelpunkt steht die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Jugendstrafe bei einem zur Tatzeit 19-jährigen Täter zulässig ist – insbesondere, ob und wie schädliche Neigungen oder die Schwere der Schuld zu begründen sind. Die Entscheidung bietet nicht nur dogmatische Präzision, sondern demonstriert auch die notwendige Differenzierung zwischen pädagogischer Ausrichtung des Jugendstrafrechts und strafrechtlichem Sanktionsanspruch.
Hintergrund der Entscheidung
Der Angeklagte hatte gemeinsam mit mehreren Mittätern einen Drogenkurier überfallen, wobei Waffen eingesetzt und erhebliche Körperverletzungen zugefügt wurden. Die Beute – 300 Gramm Marihuana – diente unter anderem der Begleichung von Schulden. Obwohl der Angeklagte beim körperlichen Übergriff nicht selbst Hand anlegte, war er an der Tatplanung beteiligt und in deren Nähe präsent. Das Landgericht Rostock hatte ihn wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie dem bewaffneten Verschaffen von Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Unzulängliche Begründung für Jugendstrafe
Der BGH bestätigt in seiner Entscheidung die grundsätzliche Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht, da der Angeklagte zur Tatzeit Heranwachsender war. Die Annahme schädlicher Neigungen durch das Landgericht trägt jedoch nach Ansicht des Senats keine tragfähige Begründung. Es genüge nicht, strafzumessungsrelevante Gesichtspunkte wie bei einem Erwachsenen aneinanderzureihen, um sodann – gleichsam summarisch – schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG zu konstatieren. Erforderlich sei vielmehr, dass sich aus den Umständen eine bereits vor der Tat angelegte Persönlichkeitsstörung erkennen lasse, aus der eine kriminelle Neigung hervorgehe.
Insbesondere bei einem bislang nicht vorbestraften Täter, dessen frühere Verfahren nach § 45 Abs. 1 JGG eingestellt wurden, könne eine solche Diagnose nicht ohne weiteres angenommen werden. Die Jugendkammer sei hier in eine Begründungsfalle geraten: Sie habe zwar zugunsten des Angeklagten festgestellt, dieser sei kaum strafrechtlich in Erscheinung getreten – und doch genau daraus den Schluss auf seine Persönlichkeitsdefizite gezogen, ohne diesen Widerspruch aufzulösen.
Differenzierungsbedarf bei der Schuldschwere
Auch die Würdigung der „Schwere der Schuld“ hält der revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Der BGH mahnt eine differenzierte jugendspezifische Schuldanalyse an. Nicht der äußere Unrechtsgehalt allein – etwa der Einsatz von Waffen oder die Brutalität der Tat – ist ausschlaggebend, sondern vor allem die innere Haltung des Täters, seine Reife, Motivation und Entwicklungsperspektive. Die Jugendkammer hatte sich hingegen auf eine formelhafte Argumentation beschränkt: Der Angeklagte sei zur Gewaltanwendung bereit gewesen, um Schulden zu begleichen – eine Feststellung, die kaum über das bloße Tatmotiv hinausreicht. Die erforderliche psychologische Tiefenschärfe blieb aus.
Der Erziehungsgedanke als zentrales Leitmotiv im JGG
Schließlich rügt der Senat auch die Bemessung der Jugendstrafe. Nach § 18 Abs. 2 JGG ist der Erziehungsgedanke auch bei schweren Taten das überragende Prinzip. Strafhöhe und Sanktionszweck müssen pädagogisch begründet werden. In der angegriffenen Entscheidung blieb unklar, inwieweit das Gericht den individuellen Erziehungsbedarf tatsächlich gewürdigt hat. Zwar wurde die fortbestehende Berufsausbildung des Angeklagten erwähnt, deren Bedeutung für seine persönliche Entwicklung aber in der Bewertung verkannt – insbesondere angesichts der siebenmonatigen Fortsetzung nach der Tat. Eine bloße formelhafte Bezugnahme auf „Strafzumessungsgesichtspunkte“ genüge dem Gesetzesauftrag nicht.
In ihrer Kernaussage stärkt die Entscheidung die Schutzfunktion des Jugendgerichtsgesetzes: Strafe ist im Jugendstrafrecht kein Selbstzweck, sondern pädagogisches Mittel zur Integration und Entwicklung. Die Konklusion lautet: Auch wer schwer gesündigt hat, muss differenziert beurteilt werden – und zwar mit Blick auf seine Persönlichkeit, nicht allein auf die Tat. Nur dann kann das Jugendstrafrecht seinem Anspruch gerecht werden, Erziehung vor Vergeltung zu stellen.
Ausblick und Bedeutung
Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist ein Plädoyer für juristische Sorgfalt, wenn es um die Anwendung des schärfsten Mittels des Jugendstrafrechts – die Jugendstrafe – geht. Sie mahnt zu Zurückhaltung und verlangt präzise Feststellungen zur Persönlichkeit des Täters. Der Senat betont mit Nachdruck, dass weder Tatdramatik noch Täterrolle isoliert die Verhängung von Jugendstrafe rechtfertigen, wenn nicht die pädagogische Zielsetzung des Jugendstrafrechts fundiert berücksichtigt wird.
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