In einer bemerkenswerten Entscheidung vom 16. April 2025 (Az. StB 69/24) hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) einen Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden aufgehoben, mit dem dieses die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung teilweise abgelehnt hatte. Die Entscheidung stellt nicht nur die prozessualen Anforderungen an die Eröffnungsentscheidung nach § 203 StPO in den Fokus, sondern verdeutlicht auch die dogmatischen Anforderungen an das subjektive Tatbestandsmerkmal bei § 129a StGB im Kontext ideologisch motivierter Unterstützungsdelikte. Der Beschluss entfaltet Bedeutung über den Einzelfall hinaus – insbesondere für die Bewertung von Indizienlagen im Zwischenverfahren bei Staatsschutzdelikten.
Sachverhalt
Gegenstand des Verfahrens ist der Vorwurf, die Beschuldigte habe in den Jahren 2008 bis 2011 die terroristische Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) in drei Fällen unterstützt. Die Anklage wirft ihr konkret vor:
- Z. die Überlassung ihrer Krankenversicherungskarte zur Ermöglichung medizinischer Behandlungen für das untergetauchte NSU-Mitglied Z. unter falscher Identität,
- die Bereitstellung ihrer Personalien zur Beschaffung von Bahncards für NSU-Mitglieder, wodurch deren konspirative Mobilität erleichtert wurde,
- die aktive Mitwirkung bei der Bereitstellung eines Wohnmobils, das später für einen bewaffneten Banküberfall genutzt wurde, bei dem über 70.000 Euro erbeutet wurden.
Die Anklageschrift qualifiziert das Verhalten als dreifache Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB), wobei die Tat zu Ziffer III.3 zusätzlich als Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung (§§ 250, 253, 27 StGB) gewürdigt wird.
Das OLG Dresden hatte mit Beschluss vom 25. Oktober 2024 die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Tatvorwürfe III.1 und III.2 abgelehnt, da es den hinreichenden Tatverdacht in subjektiver Hinsicht verneinte. Die Tat zu Ziffer III.3 ließ es lediglich in der abgemilderten Form als Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung vor dem Landgericht Zwickau zu. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts.
Juristische Analyse
Maßstab der Eröffnungsentscheidung (§ 203 StPO)
Zentraler Ausgangspunkt der BGH-Entscheidung ist eine präzise dogmatische Klarstellung zum Begriff des „hinreichenden Tatverdachts“. Dieser sei bereits zu bejahen, wenn aufgrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung besteht. Es genüge eine gewisse Wahrscheinlichkeit – deutlich unterhalb der Schwelle zur vollen Überzeugung, wie sie für eine Verurteilung erforderlich ist. Auch bleibende Zweifel seien im Zwischenverfahren grundsätzlich durch die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung zu klären. Gerade bei komplexen Staatsschutzverfahren mit diffuser Indizienlage dürfe die Eröffnungsentscheidung nicht zur Vorverlagerung der Beweiswürdigung mutieren:
Gemäß § 203 StPO ist die Eröffnung des Hauptverfahrens zu beschließen, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeklagte einer Straftat hinreichend verdächtig ist. Ein hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist. Der hinreichende Tatverdacht setzt eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Verurteilung voraus; damit wird ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt, als dies beim dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 oder § 126a StPO der Fall ist. Erst recht ist zur Eröffnung des Hauptverfahrens nicht die für eine Verurteilung notwendige volle richterliche Überzeugung erforderlich (…)
Der BGH kritisiert das OLG scharf für dessen – im Ergebnis – überspannte Anforderungen. Dieses habe der subjektiven Tatseite letztlich den Boden entzogen, weil es den Angeklagten keine sichere Kenntnis von den terroristischen Aktivitäten des NSU zu unterstellen vermochte. Der Senat hingegen macht deutlich, dass bei derart gelagerten Sachverhalten gerade die Gesamtschau und gegenseitige Verstärkung von Indizien entscheidend sei.
Subjektiver Tatbestand bei § 129a StGB
Dogmatisch ist die Kenntnis des Angeklagten vom terroristischen Charakter der unterstützten Gruppierung notwendiges Tatbestandsmerkmal. Der Unterstützer muss wissen, dass er eine Organisation unterstützt, deren Zweck auf die in § 129a Abs. 1 StGB benannten Katalogtaten gerichtet ist. Der BGH betont, dass dies nicht zwingend durch direkte Aussagen nachgewiesen werden muss, sondern sich aus einer Gesamtschau objektiver Umstände erschließen kann.
Diese sieht der Senat vorliegend als gegeben an: das besonders enge Vertrauensverhältnis zwischen der Beschuldigten und Z., konspiratives Kommunikationsverhalten, die bewusste Verwendung der Personalien der Beschuldigten zur Identitätstäuschung, ihr aktives Mitwirken an logistischen Maßnahmen (Versichertenkarten, Bahncards, Wohnmobil) sowie die fluchthelferischen Kontakte nach Aufdeckung des NSU. Hinzu kommen ideologische Hinweise – etwa das Aufhängen eines Bildes mit dem Titel „Unvergessen“ der beiden verstorbenen NSU-Mitglieder – als Ausdruck potentieller Identifikation.
Entscheidend ist nach Auffassung des Senats, dass sich aus der Verdichtung dieser Indizien ein Verdachtsgrad ergibt, der im Sinne des § 203 StPO ausreicht. Der Hinweis des OLG, die Aussage von Z. und dem Ehemann der Beschuldigten sprächen gegen deren Kenntnis von den Taten, könne dem nicht entgegengehalten werden: Beide Auskunftspersonen hätten ein offenkundiges Motiv zu entlastenden Falschaussagen. Der BGH sieht darüber hinaus objektive Anhaltspunkte für die Unwahrheit dieser Einlassungen.
Verjährung und Zuständigkeit
Soweit das OLG Dresden von einer nur kriminellen, nicht terroristischen Vereinigung ausging und daher eine Verjährung annahm, weist der BGH auch dies zurück. Die Verjährung sei durch richterliche Maßnahmen (z. B. Durchsuchungsanordnung, Anklageerhebung) mehrfach unterbrochen worden. Auch liege keine absolute Verjährung vor (§ 78c Abs. 3 Satz 2 StGB), sodass die Tatvorwürfe uneingeschränkt verfolgt werden könnten.
Aufgrund der Zuständigkeit für terroristische Delikte (§ 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG) müsse das Verfahren vor dem Oberlandesgericht geführt werden, allerdings – aus Gründen der Unvoreingenommenheit – vor einem anderen Senat als dem entscheidenden.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs liefert ein prägnantes Lehrstück zur dogmatischen Konturierung des hinreichenden Tatverdachts im Zwischenverfahren. Sie unterstreicht die gebotene Zurückhaltung bei der Verweigerung der Verfahrenseröffnung und betont die Beweiskraft verdichteter Indizienlagen auch für die subjektive Tatseite. Eben deswegen erkennen Sie den strafprozessualen Profi auch an der gebotenen Zurückhaltung: Wer zu viel schreibt (weil Mandanten danach immer fragen) provoziert gerade die Hauptverhandlung und verhindert sie nicht. Im Strafrecht gilt halt: Schweigen ist im Zweifelsfall Gold.
Schlussfolgerung
Indem der BGH die Eröffnungsentscheidung des OLG Dresden aufhebt, korrigiert er zugleich eine Tendenz zur übermäßigen Vorverlagerung materiell-rechtlicher Beweiswertungen ins Zwischenverfahren. Für Verfahren wegen § 129a StGB setzt die Entscheidung einen bedeutsamen Akzent: Kenntnis und Billigung terroristischer Zwecke können sich auch bei Unterstützern aus komplexen, mittelbaren Umständen ergeben – und bedürfen keiner ausdrücklichen Geständnisse. Diese Klarstellung dürfte künftig bei der Bewertung vergleichbarer Unterstützungsdelikte maßgeblich sein – und verdeutlicht zugleich, dass das Zwischenverfahren keine Schatten-Hauptverhandlung ist, sondern vorrangig der Filterung aussichtsloser Anklagen dient, nicht ihrer vorweggenommenen Aburteilung.
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