Super-Recognizer als Beweismittel: In der Strafverfolgung spielt die Identifizierung von Tätern eine entscheidende Rolle. Neben klassischen Methoden wie DNA-Analysen und Fingerabdrücken gewinnen sogenannte Super-Recognizer zunehmend an Bedeutung.
Diese Personen verfügen über eine außergewöhnliche Fähigkeit, Gesichter wiederzuerkennen. In diesem Beitrag wird die rechtliche Bewertung und der Beweiswert von Super-Recognizern in deutschen Gerichtsverfahren thematisiert, basierend auf einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (5 StR 21/24).
Sachverhalt
Im zugrunde liegenden Fall wurde der Angeklagte vom Landgericht Berlin unter anderem wegen besonders schweren Raubes verurteilt. Ein zentraler Aspekt des Verfahrens war die Wiedererkennung des Täters durch eine Polizeibeamtin, die als Super-Recognizerin identifiziert wurde.
Diese Zeugin erklärte, aufgrund ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit den Angeklagten als Täter wiedererkannt zu haben. Die Verteidigung des Angeklagten stellte die Zuverlässigkeit und den Beweiswert dieser Aussage infrage und legte Revision ein.
Ein Super-Recognizer ist eine Person mit einer außergewöhnlichen Fähigkeit, Gesichter wiederzuerkennen und sich an sie zu erinnern. Diese Personen können Gesichter selbst nach langer Zeit und unter veränderten Bedingungen korrekt identifizieren, auch wenn sie diese nur einmal gesehen haben. Diese Fähigkeit übertrifft die der durchschnittlichen Bevölkerung erheblich und kann in der Strafverfolgung und bei Sicherheitsbehörden von großem Nutzen sein, um Verdächtige oder vermisste Personen zu identifizieren. Wissenschaftlich erscheint dies aber noch als schwieriges Feld, zwar gibt es erste Untersuchungen, die aber nicht tiefgehend sind (Beispiel hier). Die Fähigkeit als solche scheint sich aber tatsächlich zu belegen, das Problem ist vielmehr, nachzuweisen, dass jemand auch wirklich ein Super-Recognizer ist, hier benötigt es entsprechender diagnostischer Verfahren die es bisher nicht gibt.
Rechtliche Analyse der BGH-Entscheidung zum Super-Recognizer
Der BGH nahm in seiner Entscheidung Stellung zur Einordnung und Bewertung von Aussagen eines Super-Recognizer. Der Senat betonte, dass die wissenschaftliche Basis für die Fähigkeiten von Super-Recognizern noch nicht abschließend geklärt sei. Daher müsse der Beweiswert ihrer Identifizierungen mit den gleichen Maßstäben wie bei anderen Zeugenaussagen bewertet werden .
Der BGH führte weiter aus, dass die Identifizierung durch einen Super-Recognizer alleine keinen ausreichenden Beweis darstellt. Vielmehr können solche Aussagen lediglich als Anhaltspunkt für weitere Ermittlungen dienen. Um den Beweiswert einer Super-Recognizer-Aussage zu erhöhen, bedarf es ergänzender objektiver Beweismittel und gegebenenfalls der Unterstützung durch Sachverständige, die die besonderen Fähigkeiten und deren Relevanz für den konkreten Fall bestätigen:
Angesichts der wissenschaftlich nicht abschließend geklärten Qualifikation von „Super Recognizern“ (vgl. etwa Vomland/Thielgen/Schade, Kriminalistik 2022, 165; Artkämper/Weise, StV 2023, 340, 347; kritisch Becker, StRR 2023, 6, Heft 12) dürfte hinsichtlich des Beweiswerts von Identifizierungen oder Wiederkennungsleistungen solcher Zeugen davon auszugehen sein, dass insoweit keine anderen Maßstäbe gelten, als bei anderen Zeugen (vgl. auch Sticher/Grasnick, Kriminalistik 2019, 369, 374: Die vom „Super Recognizer“ geleistete Identifizierung hat allein noch keinen Beweiswert, kann aber wichtige Hinweise für neue Ermittlungsansätze geben).
Das muss jedenfalls gelten, solange ein höherer Beweiswert wissenschaftlich nicht begründet ist; solches wäre gegebenenfalls vom Tatgericht – naheliegend mit sachverständiger Unterstützung – aufzuklären und im Urteil in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Art und Weise darzulegen. Der von der Zeugin für sich in Anspruch genommene Status einer „wissenschaftlich identifizierten Super Recognizerin“ genügt dafür erkennbar nicht.
Soweit die Strafkammer in der Ablehnung eines Beweisantrags ausgeführt hat, Nr. 18 RiStBV sei auf „Super Recognizer“ nicht anzuwenden, weil diese keine Tatzeugen seien, erscheint dies schon deshalb zweifelhaft, weil die Vorschrift nicht von „Tatzeugen“, sondern allgemein von „Zeugen“ spricht. Zudem
erschließt sich nicht ohne Weiteres, warum die Gefahr, der durch Nr. 18 RiStBV begegnet werden soll, dass der Zeuge sich fälschlicherweise auf einen Tatverdächtigen festlegt, wenn ihm nicht auch unverdächtige Personen präsentiert werden, bei „Super Recognizern“ nicht bestehen soll.
Fazit
Die Entscheidung des BGH unterstreicht die vorsichtige Handhabung von Aussagen von Super-Recognizern in der Strafverfolgung. Während ihre Fähigkeiten durchaus nützlich sein können, bedarf es immer einer kritischen Prüfung und der Ergänzung durch weitere Beweise, um eine belastbare Grundlage für eine Verurteilung zu schaffen. Für die Praxis bedeutet dies, dass Super-Recognizer zwar wertvolle Hinweise liefern können, ihre Aussagen jedoch nicht isoliert betrachtet werden dürfen.
Daraus ergibt sich dann die Notwendigkeit, bei der Nutzung von Super-Recognizern als Beweismittel stets eine sorgfältige und umfassende Beweiswürdigung vorzunehmen. So muss speziell Nr. 18 RISTBV mit den Vorgaben zur Gegenüberstellung und Wahllichtbildvorlage eingehalten werden. Gerichte müssen sicherstellen, dass die besonderen Fähigkeiten der Zeugen wissenschaftlich fundiert und in den spezifischen Kontext des Falls eingeordnet werden – was derzeit eher schwierig erscheint.
- Gesetzentwurf zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems: Überblick und Änderungen im Waffenrecht - 14. September 2024
- Gesetzentwurf zur Bedrohung von Zeugen und Gerichtspersonen - 14. September 2024
- Haftung des Geschäftsführers trotz erteilter Entlastung? - 14. September 2024