Mit seinem Beschluss vom 23. Januar 2025 (Az. I ZB 42/24) hat der Bundesgerichtshof eine besonders heikle Schnittstelle zwischen zivilprozessualer Streitbeilegung im Schiedsverfahren und den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Strafverfahrens vermessen. Der Fall wirft die Frage auf, ob die Vollstreckung eines Schiedsspruchs, der eine Mitwirkungspflicht zur Buchprüfung enthält, auch dann zulässig ist, wenn gegen den Verpflichteten ein Ermittlungsverfahren läuft – und sich dieser auf das Verbot der Selbstbelastung beruft. Der BGH bejaht dies und erteilt einer zu weiten Auslegung des nemo-tenetur-Grundsatzes im zivilrechtlichen Kontext eine deutliche Absage.
Sachverhalt und Verfahrensgang
Dem Verfahren lag ein Schiedsspruch zugrunde, mit dem der Antragsgegner – ein Lizenznehmer im Bereich des Saatgutvertriebs – nach Anerkenntnis verpflichtet worden war, der Antragstellerin Einsicht in seine Buchhaltung zu gewähren und eine geringfügige Zahlung zu leisten. Der Hintergrund: Seit Jahren war über die ordnungsgemäße Nutzung von Sortenschutzrechten gestritten worden, wobei der Lizenzgeber erfolglos wiederholt Auskunft gefordert hatte. Erst im Juli 2023 kam es – nach einem mündlichen Anerkenntnis – zu einem Schiedsspruch.
Wenige Monate später erklärte der Antragsgegner die Anfechtung des Anerkenntnisses. Als Begründung führte er an, dass die Antragstellerin bereits vor dem Vergleichsabschluss Strafanzeige gegen ihn gestellt und diese Tatsache nicht offengelegt habe. Die begehrte Buchprüfung könne nun als Grundlage für eine Strafverfolgung dienen, was eine unzulässige Selbstbezichtigung im Sinne des Grundsatzes „nemo tenetur se ipsum accusare“ darstellen würde. Das Oberlandesgericht Stuttgart erklärte den Schiedsspruch dennoch für vollstreckbar – der BGH bestätigt diese Entscheidung.
Argumentation des Bundesgerichtshofs
Zentral für die Entscheidung ist die Differenzierung zwischen vertraglich begründeten Mitwirkungspflichten und repressiven staatlichen Zwangsmaßnahmen. Der BGH stellt klar, dass sich der nemo-tenetur-Grundsatz in erster Linie gegen staatliche Eingriffe richtet. Die schiedsgerichtliche Entscheidung entfalte zwar durch ihre Vollstreckbarkeit faktisch Wirkung, sei aber aus einem freiwilligen Anerkenntnis hervorgegangen und daher nicht Ausdruck unzulässigen Zwangs.
Besonders hervorzuheben ist die verfassungsrechtliche Argumentation des Senats: Zwar berührt die Pflicht zur Mitwirkung an der Buchprüfung den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf ein faires Verfahren. Gleichwohl liegt nach Auffassung des Gerichts kein unzulässiger Eingriff vor, solange das Verwertungsverbot nach § 37b Abs. 8 SortSchG greift – wonach strafprozessuale Verwendung der so erlangten Informationen nur mit Zustimmung des Betroffenen zulässig ist. Die Strafverfolgungsbehörden sind damit faktisch gehindert, die Daten gegen den Auskunftspflichtigen zu verwerten, sofern dieser nicht zustimmt.
Auch der Versuch, das Anerkenntnis wegen arglistiger Täuschung anzufechten, scheiterte. Der BGH sah keine Aufklärungspflicht über die bereits gestellte Strafanzeige. In Vertragsverhandlungen – auch in schiedsgerichtlichem Kontext – müsse jede Partei für die Einschätzung ihrer Risiken selbst Sorge tragen, es sei denn, es bestehen konkrete Anhaltspunkte für eine treuwidrige Täuschung. Solche waren hier nicht erkennbar, da dem Antragsgegner das schwelende Ermittlungsverfahren bereits bekannt war. Auch ein etwaiger Befriedungszweck des Anerkenntnisses sei nicht ersichtlich gewesen, der durch die Anzeige vereitelt worden wäre.
Bedeutung und Bewertung
Die Entscheidung ist von großer Bedeutung für die Praxis der alternativen Streitbeilegung – insbesondere in komplexen zivilrechtlichen Streitigkeiten mit potentiell strafrechtlicher Flankierung. Der BGH bewahrt dabei die innere Systematik des deutschen Rechtsschutzes: Die Vollstreckbarkeit eines Schiedsspruchs kann nicht durch bloßen Verweis auf mögliche strafrechtliche Folgen unterlaufen werden. Gleichzeitig wird der verfassungsrechtliche Schutz nicht vernachlässigt – denn die Einbettung in das strafrechtliche Verwertungsverbot schützt Betroffene vor unverhältnismäßiger Belastung.
Deutlich wird auch der Respekt vor der Eigenständigkeit des Schiedsverfahrens. Der BGH hält konsequent daran fest, dass die in § 1059 Abs. 2 ZPO normierten Aufhebungsgründe eng auszulegen sind. Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB oder eine untragbare Gerechtigkeitsverletzung durch Vollstreckung liegt nur in extremen Ausnahmefällen vor. Die bloße Tatsache, dass ein Anerkenntnis auf ein möglicherweise unvollständiges Informationsbild zurückgeht, genügt nicht.
Fazit
Die Kernaussage dieses Beschlusses ist klar: Die Vollstreckbarkeit eines Schiedsspruchs kann nicht allein deshalb versagt werden, weil die aus ihm resultierende Verpflichtung theoretisch im Zusammenhang mit einem strafrechtlichen Risiko steht. Der BGH schützt damit sowohl die Verlässlichkeit schiedsgerichtlicher Verfahren als auch die Effektivität zivilrechtlicher Anspruchsdurchsetzung – ohne die grundrechtlichen Belange zu vernachlässigen. Ein Beschluss mit hoher Relevanz für die Vertrags- und Schiedspraxis in wirtschaftsrechtlich sensiblen Bereichen.
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