Das Urteil des OLG Frankfurt vom 29. November 2024 (Az. 7 U 82/22) behandelt die Frage, in welchem Umfang Versicherungsschutz aus einer D&O-Versicherung (Directors and Officers Liability Insurance) besteht, insbesondere in Bezug auf PR-Kosten und die Erschöpfung der Versicherungssumme.
Streitgegenstand
Der Kläger, ein ehemaliger Geschäftsführer und leitender Angestellter der insolventen X AG, verlangte Deckung aus einer D&O-Versicherung für Kosten der presserechtlichen Vertretung. Diese Kosten entstanden im Zusammenhang mit Medienberichten, die den Kläger im Zuge des sogenannten „X-Skandals“ erwähnten. Der Kläger argumentierte, dass diese Berichterstattung seine Reputation und damit seine berufliche Zukunft gefährdet habe.
Die Beklagte, die Versicherung, hatte zunächst den Deckungsschutz verweigert und später nur teilweise Zahlungen geleistet. Im Laufe des Prozesses berief sich die Beklagte auf die Erschöpfung der Versicherungssumme in der relevanten Versicherungsperiode und argumentierte zudem, dass die Medienberichterstattung keine ausreichende Grundlage für den Ersatz von PR-Kosten biete.
Eine D&O-Versicherung (Directors and Officers Liability Insurance) ist eine Haftpflichtversicherung für Führungskräfte wie Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte. Sie schützt diese Personen vor finanziellen Risiken, die entstehen können, wenn sie wegen Fehlentscheidungen oder Pflichtverletzungen in ihrer beruflichen Tätigkeit in Anspruch genommen werden.
Beispiele für solche Fälle sind:
- Fehlende Kontrolle: Ein Vorstand überwacht ein Projekt nicht ausreichend, was zu finanziellen Verlusten führt.
- Falsche Entscheidungen: Ein Geschäftsführer trifft eine Investitionsentscheidung, die dem Unternehmen schadet.
- Verletzung gesetzlicher Pflichten: Ein Aufsichtsrat versäumt, Verstöße gegen Compliance-Richtlinien zu verhindern.
Die Versicherung übernimmt die Kosten für rechtliche Verteidigung und Schadensersatzansprüche, allerdings oft nur bis zu einer vereinbarten Versicherungssumme und unter bestimmten Bedingungen. Sie dient dazu, das persönliche Vermögen der Führungskräfte zu schützen.
Entscheidung des Gerichts
1. Versicherungsschutz für PR-Kosten
Das Gericht stellte fest, dass dem Kläger grundsätzlich ein Anspruch auf Versicherungsschutz für PR-Kosten nach den Bedingungen der D&O-Versicherung zusteht. Es folgte dabei der bisherigen Rechtsprechung, wonach PR-Kosten als Assistance-Leistungen durch die Versicherung gedeckt sind, wenn eine kritische Medienberichterstattung im Zusammenhang mit einem versicherten Haftpflicht-Versicherungsfall zu einem karrierebeeinträchtigenden Reputationsschaden führen kann.
2. Erschöpfung der Versicherungssumme
Das OLG Frankfurt entschied, dass der Anspruch des Klägers auf Versicherungsschutz mit der Erschöpfung der Gesamtversicherungssumme im Juni 2023 endete. Die Gesamtversicherungssumme für die relevante Versicherungsperiode 2020 betrug 15 Millionen Euro und war durch Leistungen an andere Versicherte vollständig aufgebraucht. Das Gericht hielt die Anrechnungsklausel, die sowohl PR-Kosten als auch Verteidigungskosten auf die Gesamtversicherungssumme anrechnet, für wirksam.
Hier liegt eine besondere Tücke: Die Versicherung konnte sich auf die Erschöpfung berufen, da sie die vereinbarte Gesamtversicherungssumme durch vertragsgemäße Leistungen an andere Versicherte aufgebraucht hatte. Dies schloss eine weitere Inanspruchnahme durch den Kläger aus. Das Gericht betonte, dass solche Vereinbarungen rechtlich zulässig und für alle Versicherten bindend sind – heisst, die Versicherten stehen im Wettstreit untereinander um den „Versicherungspott“.
Das Gericht argumentierte als letztlich, dass sich die Versicherung erfolgreich auf die Erschöpfung der Versicherungssumme berufen konnte, da sie durch ihre Zahlungen an andere Versicherte vertragsgemäß geleistet hatte:
1. Einhaltung der Vertragsbedingungen
Die Versicherung war gemäß den Bedingungen der D&O-Versicherung berechtigt, die Leistungen aus der Gesamtversicherungssumme (15 Millionen Euro für die relevante Versicherungsperiode) an verschiedene Versicherte zu erbringen. Es lag keine Verpflichtung vor, eine bestimmte Reihenfolge oder Priorisierung der Versicherten bei der Auszahlung einzuhalten, solange keine willkürliche oder rechtsmissbräuchliche Verteilung erfolgte.
2. Leistungsbegrenzung durch Anrechnungsklauseln
Die Anrechnungsklausel in den Versicherungsbedingungen sah vor, dass sowohl PR-Kosten als auch Verteidigungskosten auf die Gesamtversicherungssumme angerechnet werden. Diese Klausel wurde vom Gericht als wirksam angesehen, da sie den Versicherungsnehmer weder unangemessen benachteiligt noch intransparent ist.
3. Erfüllung gemäß § 362 BGB
Nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt eine Leistungspflicht durch Erfüllung. Indem die Versicherung die bedingungsgemäßen Leistungen an andere Versicherte erbrachte, war die Erfüllungswirkung eingetreten. Dass diese Leistungen die gesamte Versicherungssumme aufgebraucht hatten, schloss weitere Ansprüche aus.
4. Kein rechtsmissbräuchliches Verhalten
Das Gericht stellte klar, dass die Versicherung nicht rechtsmissbräuchlich handelte, da sie keine Pflicht verletzt hatte, die Versicherungsleistungen gleichmäßiger oder vorrangig an bestimmte Versicherte (wie den Kläger) zu verteilen. Die Verteilung war weder willkürlich noch ungeeignet.
5. Verantwortung der Versicherung
Die Versicherung hatte die Gesamtversicherungssumme für die Versicherungsperiode so verwaltet, dass sie für mehrere Ansprüche ausreichte, ohne dabei gegen die vertraglichen Verpflichtungen oder Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu verstoßen. Es gab keine Regelung, die die Versicherung verpflichtet hätte, den Kläger bevorzugt zu behandeln oder eine andere Verteilungslogik anzuwenden.
3. Zuordnung zur Versicherungsperiode
Der Kläger argumentierte, dass die Versicherungsperiode 2019 mit einer höheren Gesamtversicherungssumme von 25 Millionen Euro maßgeblich sei. Das Gericht wies dies zurück, da die Umstände des Versicherungsfalls klar in die Versicherungsperiode 2020 fielen. Insbesondere fehlte eine ausreichende Umstandsmeldung im Jahr 2019, die eine Zuordnung zu dieser Periode hätte rechtfertigen können.
Ausgewählte Details
- Auslegung der Versicherungsbedingungen:
- Das Gericht legte die Bedingungen so aus, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne Spezialkenntnisse verstehen würde.
- Die Deckung für PR-Kosten gemäß Ziffer 4.12 der Versicherungsbedingungen wurde weit ausgelegt und umfasste auch Medienberichterstattung im Kontext eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, nicht nur zivilrechtlicher Haftpflichtfälle.
- Wirksamkeit der Anrechnungsklauseln:
- Die Anrechnung der PR-Kosten auf die Gesamtversicherungssumme wurde als zulässig angesehen, da sie weder überraschend noch intransparent war.
- Erschöpfung der Versicherungssumme:
- Nach § 362 Abs. 1 BGB erlöschen Ansprüche durch Erfüllung. Die Versicherung hatte ihre Pflichten erfüllt, indem sie die vereinbarte Versicherungssumme vollständig aufgebraucht hatte.
- Keine Deckung aus der Versicherungsperiode 2019:
- Eine wirksame Umstandsmeldung gemäß den Versicherungsbedingungen erfordert hinreichend konkrete Angaben zu Pflichtverletzungen, möglichen Schäden und beteiligten Personen. Diese Voraussetzungen wurden im vorliegenden Fall für das Jahr 2019 nicht erfüllt.
Cyberrisiken als Herausforderung für D&O-Versicherungen
Neben den Herausforderungen im Wirtschaftsstrafrecht zeigen die zunehmenden Cyber- und Datenrisiken eine wachsende Bedeutung im Kontext von Haftungsansprüchen und dem Schutz durch D&O-Versicherungen auf. Diese Risiken sind eng mit modernen Geschäftsmodellen und der Digitalisierung verbunden und stellen erhebliche Herausforderungen sowohl für die Geschäftsleitung als auch für die Versicherer dar.
Cyberrisiken und Geschäftsleiterhaftung
Cyberangriffe, Datenverluste oder IT-Ausfälle führen oft zu erheblichen finanziellen Schäden, die Unternehmen in ihrer Existenz gefährden können. Geschäftsleiter können haftbar gemacht werden, wenn ihnen vorgeworfen wird, ihrer Sorgfaltspflicht im Umgang mit Datenrisiken nicht nachgekommen zu sein. Dies umfasst unter anderem:
Verstöße gegen gesetzliche Anforderungen: Insbesondere Regelungen der DSGVO und des IT-Sicherheitsgesetzes erhöhen die Anforderungen an Geschäftsleiter und bieten potenziellen Ansatz für Haftungsansprüche.
Fehler im Risikomanagement: Eine mangelhafte Analyse oder die Nichtimplementierung geeigneter Maßnahmen zur Minimierung von Datenrisiken.
Nichtabschluss einer Cyberversicherung: Geschäftsleiter können haftbar gemacht werden, wenn durch eine fehlende Cyberversicherung größere Schäden nicht abgedeckt werden.
Tücken des D&O-Schutzes bei Cyberrisiken
D&O-Versicherungen decken grundsätzlich Vermögensschäden ab, die durch Pflichtverletzungen von Geschäftsleitern entstehen. Allerdings zeigt sich bei Cyberrisiken eine Grauzone in der Deckung:
Regress durch den Versicherer: Wenn ein Unternehmen eine Cyberversicherung abschließt und diese leistet, kann der Versicherer Regressansprüche gegen die Geschäftsleitung geltend machen, was wiederum Deckungsfragen der D&O-Versicherung auslöst.
Sachschäden vs. Vermögensschäden: Schäden an physischen Datenträgern oder verkörperten Daten könnten als Sachschäden klassifiziert werden und somit nicht durch die D&O-Versicherung gedeckt sein.
Ausschlüsse und Bedingungen: Bestimmte Cyberrisiken, wie die vorsätzliche Nichtbeachtung von Sicherheitsvorschriften oder Compliance-Vorgaben, können vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sein.
Präventive Maßnahmen und strategische Absicherung
Um potenzielle Deckungslücken zu schließen und Haftungsrisiken zu minimieren, sollten Unternehmen und Geschäftsleiter:
Ein robustes Risikomanagement etablieren, das präventive Maßnahmen und die regelmäßige Überprüfung der IT-Infrastruktur einschließt.
Eine umfassende Cyberversicherung in Betracht ziehen, die speziell auf digitale Risiken ausgerichtet ist.
Klären, ob die D&O-Versicherung Ausschlüsse oder Einschränkungen für Schäden im Zusammenhang mit Datenrisiken enthält.
Ausblick
Das Urteil des OLG Frankfurt gibt eine klare Orientierung zur Reichweite des Versicherungsschutzes aus D&O-Versicherungen, insbesondere für PR-Kosten. Es zeigt die Bedeutung einer präzisen Sachverhaltsdarstellung auf und bestätigt die Zulässigkeit der Begrenzung des Versicherungsschutzes durch Anrechnungsklauseln. Zugleich wird deutlich, dass die Erschöpfung der Versicherungssumme auch die Ansprüche einzelner Versicherter begrenzt. Hierin liegt ein erhebliches Risiko, da auch scheinbar große Summen relativiert werden müssen: Wenn neben PR-Kosten und Schadenersatzansprüchen auch noch Wirtschaftsstrafverfahren gegen einen wesentlichen Teil des Vorstands anhängig gemacht werden, entstehen erhebliche Kosten. Sobald die Versicherten dann um den „Gesamttopf“ konkurrieren, schmilzt das Geld dahin.
Auch die Entwicklung der Cyber-Risiken erfordert ein Umdenken bei Managern und Versicherern. Eine stärkere Verzahnung von D&O- und Cyber-Versicherungen könnte helfen, die zunehmenden Haftungsrisiken in diesem Bereich adäquat abzudecken.
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