Informationen über Bewerberinnen und Bewerber sind heute im Regelfall leicht zugänglich – damit stellt sich die Frage nach der Reichweite des Fragerechts des Arbeitgebers mit neuer Dringlichkeit. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 21. Februar 2019 (Az. 3 Sa 65/17) bietet einen instruktiven Einblick in die juristischen Grenzen und Voraussetzungen zulässiger Bewerberfragen, insbesondere in Bezug auf Internetrecherchen durch Arbeitgeber. Der Fall verknüpft dabei klassische arbeitsrechtliche Fragestellungen mit modernen Erscheinungen wie der Online-Selbstdarstellung und wirft zudem relevante prozessuale Fragen zum Verhältnis von Kündigung und Anfechtung auf.
Sachverhalt
Ein Bewerber hatte sich bei einem Unternehmen erfolgreich auf eine Führungsposition beworben und dabei umfangreiche internationale Berufserfahrung angegeben. Diese Erfahrung war für die endgültige Auswahl ausschlaggebend. Erst nach einiger Zeit wurde die Beklagte durch eine Internetrecherche auf gravierende Zweifel an der Richtigkeit der Angaben aufmerksam. Die daraufhin ausgesprochenen Kündigungen scheiterten zunächst, unter anderem wegen der Schutzwirkung des Kündigungsschutzgesetzes. Erst in einem weiteren Verfahren erklärte die Arbeitgeberin die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Der Kläger wehrte sich gegen die Anfechtung mit Verweis auf die Rechtskraft des früheren Urteils, das die Kündigung für unwirksam erklärt hatte. Die Beklagte hingegen machte geltend, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Täuschung von Anfang an nichtig gewesen sei.
Rechtliche Würdigung
Zulässigkeit der Bewerberfrage
Zentraler Aspekt des Urteils ist die rechtliche Bewertung der Wahrheitspflicht bei zulässigen Bewerberfragen. Das Gericht stellt klar: Wird ein Bewerber nach einer bestimmten Tatsache gefragt, ist er zur wahrheitsgemäßen Beantwortung verpflichtet – vorausgesetzt, die Frage ist rechtlich zulässig. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie dem Prinzip der Informationsasymmetrie im Bewerbungsverfahren.
Zulässig sind Fragen, an deren Beantwortung der Arbeitgeber ein „berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse“ hat. Dazu gehören typischerweise Fragen zur beruflichen Qualifikation, zur Ausbildung, zu bisherigen Tätigkeiten sowie zur Dauer früherer Beschäftigungsverhältnisse. Genau in diesem Kontext lag hier die maßgebliche Unwahrheit: Die international behauptete Berufserfahrung war zumindest in Teilen nicht belegbar und hätte bei korrekter Offenbarung mutmaßlich zur Ablehnung des Bewerbers geführt.
Demgegenüber sind Fragen nach getilgten oder tilgungsreifen Vorstrafen unzulässig; der Bewerber darf in solchen Fällen die Unwahrheit sagen, ohne arbeitsrechtliche Sanktionen befürchten zu müssen.
Zulässigkeit von Internetrecherchen
Besonders praxisrelevant ist die Aussage des Gerichts zur Internetrecherche: Allgemein zugängliche Informationen über einen Bewerber dürfen unter bestimmten Umständen durch Suchmaschinen eingeholt werden. Das bedeutet: Wenn sich ein Arbeitgeber in vertretbarem Umfang eines digitalen Hintergrundchecks bedient – etwa durch das Aufrufen öffentlich einsehbarer Profile oder Artikel – ist dies rechtlich zulässig, solange keine Persönlichkeitsrechte des Bewerbers verletzt werden. Der Einzelfall bleibt jedoch entscheidend, insbesondere in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit und Treffsicherheit der Recherche.
Verhältnis von Anfechtung und rechtskräftiger Kündigungsentscheidung
Ein weiterer bedeutsamer Aspekt betrifft die Wechselwirkung zwischen einem früheren arbeitsgerichtlichen Urteil zur Kündigung und einer später erklärten Anfechtung des Arbeitsverhältnisses. Das Gericht betont, dass die Rechtskraft eines Urteils über die Kündigung nicht notwendigerweise der Feststellung einer rückwirkenden Anfechtung entgegensteht. Zwar gilt im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich der sogenannte Präklusionsgrundsatz – alle relevanten Beendigungstatbestände sind bereits im Erstprozess vorzubringen. Doch für eine rückwirkende Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gilt dieser Grundsatz nur eingeschränkt. Denn die Anfechtung wirkt ex tunc, also rückwirkend auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses – und kann auch nachträglich geltend gemacht werden, wenn die Anfechtungsgründe erst später entdeckt werden.
Ergebnis
Die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg verdeutlicht die hohe arbeitsrechtliche Relevanz von Bewerberangaben sowie die juristische Brisanz von Internetrecherchen durch Arbeitgeber. Sie stellt zugleich klar, dass das Fragerecht des Arbeitgebers nicht schrankenlos ist – sondern sich stets an einem schutzwürdigen Interesse messen lassen muss. Arbeitnehmer sind bei zulässigen Fragen zur Wahrheit verpflichtet. Verstoßen sie gegen diese Pflicht arglistig, droht nicht nur eine Kündigung, sondern unter Umständen sogar die rückwirkende Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Anfechtung.
Quintessenz
Das Urteil liefert eine präzise und moderne Einordnung des Fragerechts im Arbeitsverhältnis. Es markiert die Grenzen zwischen zulässiger Informationsgewinnung und unzulässigem Eingriff in Persönlichkeitsrechte und gibt Arbeitgebern zugleich klare Hinweise zur rechtssicheren Gestaltung von Auswahlverfahren. Für Arbeitnehmer hingegen macht die Entscheidung unmissverständlich deutlich, dass die Wahrheitspflicht im Bewerbungsverfahren kein optionales Ethos ist – sondern eine juristische Verpflichtung mit weitreichenden Konsequenzen.
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