Verwertbarkeit spontaner Äußerungen

BGH zur Reichweite des § 136a bei Vernehmungsnähe: Nicht jede Äußerung eines Beschuldigten unterliegt einem – auch nicht, wenn sie unter medizinischer Betreuung und unter dem Eindruck schwerer Vorwürfe erfolgt.

Der (BGH) hat in seinem Urteil vom 24. April 2025 (Az. 5 StR 729/24) entschieden, dass Spontanäußerungen eines Beschuldigten im Krankenhaus nach ordnungsgemäßer Belehrung verwertbar sind – auch wenn sie in einer vermeintlich „vernehmungsähnlichen“ Situation fallen. Die Entscheidung gibt Anlass zur Klärung der dogmatischen Voraussetzungen eines Verwertungsverbots nach § 136a StPO und grenzt präzise zwischen Vernehmung, Spontanäußerung und psychischer Ausnahmelage ab.

Sachverhalt

Der 19-jährige Angeklagte war wegen eines eskalierenden Beziehungsstreits in eine tödliche Auseinandersetzung verwickelt. Nach einem Streit verletzte er seine Ex-Freundin L. K. mit einem Messerstich in den Brustkorb tödlich. Anschließend kam es zu einem Verkehrsunfall, bei dem er gegenüber einem Polizisten äußerte, er habe „seine Freundin abgestochen“. Im Krankenhaus informierte ein Polizeibeamter den Angeklagten über den Tatverdacht und belehrte ihn ordnungsgemäß. Obwohl eine formelle Vernehmung wegen des Gesundheitszustandes unterblieb, äußerte sich der Angeklagte spontan und relativierte sein Verhalten („Ich habe nicht gewollt, dass sie verletzt wird“).

Das Landgericht wertete diese Aussagen als unverwertbar, da sie in einer „vernehmungsähnlichen“ Situation gefallen seien. Der BGH hob das Urteil insoweit auf.

Rechtliche Würdigung

Keine Vernehmung im strafprozessualen Sinne

Der BGH stellt klar, dass § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO nur auf Äußerungen im Rahmen einer tatsächlichen Vernehmung anwendbar ist. Eine solche liegt nur dann vor, wenn ein staatlicher Amtsträger in seiner Funktion gezielt Auskünfte einfordert. Dies war im vorliegenden Fall gerade nicht der Fall: Der Polizeibeamte hatte explizit erklärt, von einer Vernehmung abzusehen. Die Äußerungen des Angeklagten erfolgten ungefragt während einer rechtsmedizinischen Untersuchung und im Rahmen der Spurensicherung – mithin außerhalb einer verfahrensrechtlich relevanten Befragung.

Kein Beweisverwertungsverbot aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen

Auch das Gebot der Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur) wurde laut BGH nicht verletzt. Vernehmungsähnliche Situationen im verfassungsrechtlichen Sinn setzen ein täuschendes oder ausnutzendes Verhalten seitens der Strafverfolgungsbehörden voraus. Hieran fehlte es vollständig: Die Polizeibeamten waren offen aufgetreten, hatten ordnungsgemäß belehrt und keine Befragung initiiert. Der Angeklagte wollte sich von sich aus äußern, ohne zuvor das Schweigerecht geltend gemacht zu haben. Die Einordnung als spontane und freiwillige Äußerung war somit geboten.

Revisionsrechtliche Konsequenzen

Die Unverwertbarkeit dieser Äußerungen hatte das Landgericht wesentlich zur Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes herangezogen. Der BGH erkannte hierin einen durchgreifenden Rechtsfehler und hob das Urteil insoweit auf. Zudem rügte er die lückenhafte und teilweise widersprüchliche Beweiswürdigung des Landgerichts, das dem objektiv tödlichen Ausgang des Messerangriffs zu wenig indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Vorsatzes beigemessen hatte.

Systematische Einordnung

Die Entscheidung konkretisiert die Grenzen des § 136a StPO und differenziert zwischen tatsächlicher Vernehmung, vernehmungsähnlicher Konstellation und verwertbarer Spontanäußerung. Sie stärkt damit die Rechtssicherheit bei der Bewertung von Aussagen in psychisch und situativ belastenden Umständen und betont zugleich die Eigenverantwortung des Beschuldigten bei freier Willensbetätigung.

Zudem schärft der BGH erneut die Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung im Bereich des bedingten Tötungsvorsatzes. Insbesondere bei objektiv hochgefährlichen Gewalthandlungen – wie einem Messerstich in den Oberkörper – besteht eine erhöhte Begründungslast, wenn ein Tötungsvorsatz verneint werden soll.

Quintessenz

Der BGH-Urteil verdeutlicht, dass eine sorgfältige Differenzierung zwischen Vernehmung, vernehmungsähnlicher Situation und Spontanäußerung entscheidend für die Beweisverwertung ist. Eine korrekt belehrte und freiwillig getätigte Aussage bleibt auch dann verwertbar, wenn sie unter medizinischer Betreuung erfolgt – solange keine staatliche Täuschung oder Drucksituation vorliegt. Gleichzeitig mahnt die Entscheidung zu einer konsequenten und nachvollziehbaren Beweiswürdigung bei der Abgrenzung zwischen mit Todesfolge und . Das Urteil ist damit sowohl für die Dogmatik des Verfahrensrechts als auch für die Strafzumessungspraxis von erheblicher Bedeutung.

Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht bei Anwaltskanzlei Ferner Alsdorf
Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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Rechtsanwalt Jens Ferner

Von Rechtsanwalt Jens Ferner

Rechtsanwalt Jens Ferner ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Fachanwalt für IT-Recht und widmet sich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht - mit Schwerpunkten in Cybercrime, Cybersecurity, Softwarerecht und Managerhaftung. Er ist zertifizierter Experte für Krisenkommunikation & Cybersecurity; zudem Autor sowohl in Fachzeitschriften als auch in einem renommierten StPO-Kommentar zum IT-Strafprozessrecht sowie zur EU-Staatsanwaltschaft. Als Softwareentwickler ist er in Python zertifiziert und hat IT-Handbücher geschrieben.

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