Landgericht Göttingen zur Reichweite des Verwendungsverbots nach § 97 Abs. 1 S. 3 InsO: Die Strafverfolgung in Insolvenzverfahren steht regelmäßig im Spannungsfeld zwischen dem verfassungsrechtlich verankerten nemo-tenetur-Grundsatz und den weitreichenden Offenbarungspflichten des Schuldners. Der Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 26. Februar 2025 (Az. 5 Qs 1/25) bietet einen instruktiven Einblick in die dogmatische Abgrenzung des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO und konkretisiert zugleich die strafprozessualen Anforderungen an eine Durchsuchung im Zusammenhang mit einem Bankrottdelikt.
Ausgangspunkt: Strafanzeige des Insolvenzverwalters und Durchsuchung
Dem Beschluss lag ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Bankrotts (§ 283 StGB) gegen einen Schuldner zugrunde, über dessen Vermögen auf Antrag des Finanzamts ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Bereits im Eröffnungsverfahren hatte der Schuldner auf Anforderung des Insolvenzgerichts und unter ausdrücklicher Androhung von Zwangsmaßnahmen dem gerichtlich bestellten Sachverständigen verschiedene Auskünfte erteilt – unter anderem über Bargeldbestände aus einem Immobilienverkauf, die sich im Bankschließfach seiner Lebensgefährtin befinden sollten.
Später, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, monierte der nunmehr bestellte Insolvenzverwalter, dass lediglich ein Teil der angegebenen Beträge beim Insolvenzverwalter eingezahlt worden sei. Zudem sei auch weiteres in der eidesstattlichen Versicherung angegebenes Vermögen – etwa aus einer Erbschaft sowie mehrere Fahrzeuge – nicht herausgegeben worden. Der Verdacht lag nahe, dass der Schuldner diese Vermögenswerte bewusst beiseitegeschafft hatte. Auf dieser Grundlage erwirkte die Staatsanwaltschaft Göttingen einen Durchsuchungsbeschluss, gegen den sich der Beschuldigte im Wege der Beschwerde zur Wehr setzte.
Zentrale Rechtsfrage: Verwertbarkeit der im Insolvenzverfahren erlangten Informationen
Im Mittelpunkt der Entscheidung stand die Frage, ob die zur Begründung des Anfangsverdachts herangezogenen Angaben des Schuldners einem strafprozessualen Verwendungsverbot unterliegen. Nach § 97 Abs. 1 S. 3 InsO dürfen Angaben, die der Schuldner im Rahmen seiner gesetzlichen Auskunftspflichten gemacht hat, nicht ohne seine Zustimmung in einem Strafverfahren gegen ihn verwendet werden.
Das Landgericht Göttingen betont in diesem Zusammenhang, dass das Verwendungsverbot nicht nur ein unmittelbares strafprozessuales Beweisverwertungsverbot normiert, sondern darüber hinaus eine sog. Fernwirkung entfaltet: Die gewonnenen Informationen dürfen weder direkt noch mittelbar – etwa als Ausgangspunkt für weitere Ermittlungen – genutzt werden. Dieses weit gefasste Schutzkonzept dient dem Schutz des Selbstbelastungsverbots und soll gewährleisten, dass der Schuldner seiner umfassenden Auskunftspflicht uneingeschränkt nachkommen kann, ohne sich selbst strafrechtlichen Risiken auszusetzen.
Keine Anwendung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO im konkreten Fall
Gleichwohl verneint das Landgericht im vorliegenden Fall die Anwendung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO – und zwar mit zwei differenzierten Argumentationssträngen: Zum einen, weil das Verwendungsverbot nur auf richtige und vollständige Angaben anzuwenden ist, nicht jedoch auf bewusst unzutreffende oder lückenhafte Informationen. Ein Schuldner, der sich der Wahrheitspflicht entzieht, soll sich nicht auf den Schutz dieser Norm berufen können.
Zum anderen betont das Gericht, dass das Verwendungsverbot nicht für solche Handlungen gelte, die der Schuldner nach ordnungsgemäßer Auskunftserteilung begeht. Der Schutzzweck der Norm liege nicht darin, dem Schuldner ein strafbefreites Zeitfenster für spätere Manipulationen zu eröffnen. Der hier in Rede stehende Bankrottverdacht knüpfe nicht an die erteilte Auskunft selbst an, sondern an nachfolgende, möglicherweise strafbare Verhaltensweisen, wie das Beiseiteschaffen von Vermögenswerten entgegen seiner eigenen früheren Erklärung.
Das Gericht stellte klar, dass der Schuldner aufgrund der ausdrücklichen behördlichen Anordnung – insbesondere durch das Schreiben des Insolvenzgerichts unter Zwangsandrohung – gegenüber dem Sachverständigen dieselbe Auskunftsverpflichtung wie gegenüber dem Gericht oder dem Insolvenzverwalter hatte. Dennoch greife das Verwendungsverbot nicht, weil sich die strafrechtliche Bewertung nicht auf den Akt der Offenbarung, sondern auf späteres widersprüchliches Verhalten beziehe.
Die Entscheidung des LG Göttingen verdeutlicht, dass § 97 Abs. 1 S. 3 InsO keine pauschale Immunisierung von Schuldnerangaben gegenüber strafrechtlicher Verwertung begründet. Vielmehr ist die Norm teleologisch einschränkend auszulegen: Nur wer seine Offenbarungspflichten vollständig und wahrheitsgemäß erfüllt, verdient den strafprozessualen Schutz. Das Gericht wahrt damit die Balance zwischen dem verfassungsrechtlichen Selbstbelastungsverbot und der effektiven Strafverfolgung insolvenzbezogener Vermögensdelikte. Für die Praxis markiert der Beschluss eine präzise justierte Klärung zur Reichweite des Insolvenzgeheimnisses – ohne dabei den Ermittlungsbehörden die Hände zu binden. Die dogmatische Differenzierung zwischen Auskunft und strafrechtlich relevantem Verhalten bleibt dabei zentraler Prüfungsmaßstab.
Rechtmäßigkeit der Durchsuchung
Gestützt auf die Informationen aus dem Insolvenzverfahren, insbesondere die eidesstattliche Versicherung sowie die Mitteilungen des Insolvenzverwalters, bejahte das Landgericht einen hinreichenden Anfangsverdacht i.S.d. § 102 StPO. Es sah keine Anhaltspunkte dafür, dass die Maßnahme unverhältnismäßig gewesen wäre, und bestätigte die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung. Die Beschwerde wurde folglich als unbegründet verworfen.
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