Verurteilung wegen Beleidigung in sozialen Netzen

Strafbarkeit wegen : Beleidigungen in sozialen Netzen sind keine Seltenheit, doch Urteile müssen in diesem Bereich besonderen Anforderungen genügen, wie etwa das BayObLG München (202 StRR 86/20) hervorgehoben hat. Insoweit reicht es auf gar keinen Fall, wenn nur unvollständige Wiedergaben erfolgen oder gar Zusammenfassungen mit „u.a.“, vielmehr gilt, dass

  • Entweder die genannten Textpassagen vollständig wörtlich zu zitieren sind, oder
  • ihren jeweiligen Kontext wenigstens in Form einer zusammenfassenden Darstellung der damit nicht ausschließbar jeweils aus einem größeren Zusammenhang herausgerissenen Zitate der Postings des Angeklagten wiedergeben müssen.

Der springende Punkt ist dabei – und hier greift die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – dass eben nicht die Äußerung für sich im Urteil genügt, sondern dass der Gesamtzusammenhang der Äußerungen sich aus den Feststellungen im Urteil ergeben muss.

Gericht muss den Gesamtkontext ermitteln und feststellen

Wie weit die Anforderungen gehen, macht das BayObLG deutlich, wenn es davon spricht, dass sich der Sinngehalt der genannten Postings regelmäßig erst durch die vollständige Kenntnis der Konversation erschliesst. Hierzu gehören mit dem Gericht ausdrücklich die Darstellung von:

  • (öffentlichen) Benutzerkommentare,
  • Rede und (reaktive) Gegenrede
  • gegebenenfalls alternativ eingeschlossene persönliche bzw. private Chats
  • eine durch Verschlagwortung in Form von ‚Hashtags‘ oder der Anzahl von Einladungen oder der Verwendung sog. ‚Emoticons‘ und ‚Likes‘ zu eigenen (früheren) Beiträgen personenverschiedener Gruppenmitglieder geprägte Diskussionsbeiträge innerhalb der Gruppe

Doch damit nicht genug, denn der Gesamtkontext muss noch weiter vertieft werden, insbesondere müssen nicht ausgesprochene aber bekannte Hintergründe ebenso berücksichtigt werden wie Aktionen des Administrators:

Dies alles kann obendrein u.a. von den vorgewählten Einstellungen bzw. Filtern, darunter im Einzelfall etwa auch der vorherigen Bestätigung oder Freischaltung neuer Beiträge durch den „Administrator“ abhängig sein. Hinzu kommt, dass nur so ein häufig thematisierter spezifisch lokaler, lokalpolitischer, kommunaler oder sonst aktueller oder tagespolitisch brisanter Hintergrund der zur beurteilenden, mitunter auf einen besonderen gruppendynamischen Diskurs hinweisenden Beiträge hinreichend transparent wird.

All dies muss ein Gericht in seinem Urteil also feststellen, um beurteilen zu können, ob tatsächliche eine Beleidigung oder vorliegt. Dass die wenigsten Urteile in diesem Bereich diesem Anspruch genügen, dürfte nicht überraschen.


Verkannte Meinungsfreiheit

Gerade Amtsgerichte verkennen immer wieder den erheblichen Schutzumfang der Meinungsäußerungsfreiheit, die hier zu führende, überrachend umfangreiche, Diskussion und Auseinandersetzung mit den betroffenen Grundrechten, überfordert die oft ausgelasteten Amtsgerichte in ihrem Alltag auch schlicht.

Hier ist nochmals daran zu erinnern, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG jedermann das Recht gibt, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen sind Meinungen durch die subjektive des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet (mehr zur Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Meinungen). Sie enthalten folglich sein Urteil über Sachverhalte, Ideen oder Personen. Auf diese persönliche Stellungnahme bezieht sich der Grundrechtsschutz, der deshalb unabhängig davon besteht, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird.

Wichtig ist, dass nicht nur die Meinung an sich, sondern gerade auch ihre Äußerung geschützt ist (darum „Meinungsäußerungsfreiheit“):

Der Schutz bezieht sich jedoch nicht nur auf den Inhalt der Äußerung, sondern auch auf ihre Form. Denn der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kundzutun. Er darf vielmehr dafür auch diejenigen Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkere Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht. Selbst eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht eine Äußerung deshalb nicht dem Schutzbereich der Grundrechtsnorm 

Das führt zu einzelnen wichtigen Aspekten im weiteren Fortgang, die nach meiner Erfahrung von Gerichten immer wieder falsch angesetzt werden:

  • Auch das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der ; ihr Gewicht ist mit dem gerade hier besonders hoch zu veranschlagen
  • Insbesondere ist es mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mit der Meinungsäußerungsfreiheit vereinbar, Kritik am Rechtsstaat auf das Erforderliche zu beschränken und damit etwa ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen.
  • Entsprechend der Bedeutung der Meinungsfreiheit wertet auch das Strafrecht deshalb tatbestandliche Ehrverletzungen dann nicht als rechtswidrig, wenn der Beschuldigte seine Meinungsäußerungen „zur Wahrnehmung berechtigter Interessen“ abgibt (§ 193 StGB).

Abschliessend hebt das Gericht hervor, wie man mit der Wertung der Aussagen seitens des Gerichts umgehen muss:

Die in Rede stehenden schriftlichen Äußerungen des Angeklagten im Rahmen seiner Postings sind vom Wortlaut ausgehend nach ihrem objektiven Sinngehalt (Erklärungsinhalt) unter Berücksichtigung der gesamten – teilweise bereits oben aufgezeigten (Ziffer II 3.) – Begleitumstände auszulegen, wobei für die Annahme einer Beleidigung weder die subjektive Sicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen maßgeblich ist. Entscheidend ist vielmehr, wie ein unbefangener verständiger Dritter diese verstehen musste (…)

Hieraus ergibt sich weiterhin, dass im Einzelfall eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nur dann zulässig ist, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies – wie häufig – nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung im engeren Sinne, nämlich als überwiegend durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägtes Werturteil (vgl. BVerfGE 61, 1/7 ff.; 90, 241/247 ff.) angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (BVerfG EuGRZ 2013, 637 m.w.N.).

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)

Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

Unsere Kanzlei ist spezialisiert auf Starke Strafverteidigung, seriöses Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und IT-Recht / Technologierecht.