Teilverzicht auf Verwertungsverbot des § 252 StPO

Ist ein Teilverzicht auf das Verwertungsverbot des § 252 StPO möglich? Der widmet sich in einer aktuellen Entscheidung dieser für die Strafverteidigung hochbrisanten Thematik.

Sachverhalt

Der Sachverhalt ist überschaubar: Der Nebenkläger hatte sich kurz nach der Tat gegenüber Polizei und Ermittlungsrichter als geäußert. Später heiratete er die Schwester einer der Angeklagten. In der erschien er dann nicht und ließ durch seinen anwaltlichen Vertreter erklären, dass er von seinem nach § 52 StPO Gebrauch mache; jedoch sei er mit der Verwertung seiner richterlichen Vernehmung, nicht aber mit der seiner polizeilichen Aussage einverstanden. Einer der Angeklagten beantragte die Vernehmung eines Polizeibeamten zu den Angaben des Nebenklägers im , was durch das Landgericht zurückgewiesen wurde. Zu Recht, wie der BGH feststellte.

Grundsätzliches zum §252 StPO

Zur Erinnerung: Wenn sich ein Zeuge wirksam auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO beruft, gilt, dass über den Wortlaut des § 252 StPO hinaus nicht nur die Verlesung des Protokolls der früheren Vernehmung, sondern auch die Vernehmung von Verhörspersonen nicht gestattet ist. Eine Ausnahme gilt nur für richterliche Vernehmungen, in denen der Zeuge nach Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht davon freiwillig keinen Gebrauch gemacht und ausgesagt hat.

In dem Zusammenhang ist an eine frühere Entscheidung des BGH (2 StR 445/02) zu erinnern: Wenn sich der zeugnis- verweigerungsberechtigte Zeuge in der Hauptverhandlung zunächst nicht zur Sache äußert, später aber gleichwohl zur Sache aussagt – um eine frühere richterliche Vernehmung zu entkräften – macht er damit selbst seine früheren Angaben indirekt zum Gegenstand der aktuellen Aussage. Hier kann der Zeuge seine Zustimmung zur Verwertung früherer Angaben nicht auf einzelne Vernehmungen beschränken!

Vielmehr kann der Zeuge in diesem Sonderfall nur entscheiden, ob er sich als Beweismittel zur Verfügung stellen möchte oder nicht, und hat darüber hinaus weder die Möglichkeit, den Umfang der Verwertbarkeit seiner Aussage, noch weitergehend den Umfang der Verwertbarkeit der von ihm bereits vorliegenden Angaben zu bestimmen. Diese Entscheidung des BGH gilt als Sonderfall, aus der sich auf keinen Fall verallgemeinernd schlussfolgern lässt, dass ein zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge seine Zustimmung zur Verwertung früherer Aussagen generell nicht auf einzelne Vernehmungen beschränken kann (so schon vorher die Literatur, nun auch ausdrücklich BGH in BGH, 3 StR 377/18).


Entscheidung des BGH zum Teilverzicht bei §252 StPO

Der BGH (3 StR 377/18) betont, dass es unzulässig wäre, in einem Fall wie dem Eingangsfall die polizeiliche Vernehmung zum Gegenstand der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung zu machen. Wobei er zugleich betont, dass es in der vorliegenden Konstellation offenbleiben kann, ob ein solcher Teilverzicht auf das Verwertungsverbot des § 252 StPO rechtlich zulässig ist. Dies versucht der BGH logisch zu lösen:

  • Wäre der Teilverzicht rechtlich möglich und zulässig, darf nur auf die richterliche Vernehmung zugegriffen werden.
  • Wenn man einen auf einzelne Vernehmungen bezogenen Teilverzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht für unzulässig erachten wollte, folgte daraus nicht die Möglichkeit der Verwertung aller früheren richterlichen und polizeilichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren sondern ein umfängliches Verwertungsverbot hinsichtlich sämtlicher früheren Angaben des Zeugen.

Letzteres aber ist in der weiteren Begründung durch den Senat durchaus näherer Betrachtung wert, so führt der BGH aus:

Denn der Zeuge hat sich nicht nach zutreffender Belehrung und in Kenntnis seiner Rechte und der Reichweite seiner Erklärung als Beweismittel zur Verfügung gestellt. Seine Verzichtserklärung hat er ersichtlich nicht in der Vorstellung abgegeben, dass damit auf all seine früheren Bekundungen zugegriffen werden könne, sondern in der fehlerhaften Annahme der Teilbarkeit des Verweigerungsrechts. Sollte eine Teilverzichtserklärung unzulässig sein, lag eine wirksame irrtumsfreie Disposition des Zeugen über sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht vor.

BGH, 3 StR 377/18

Das ist durchaus interessant – und dass der BGH hier keine Fundstellen angibt, dürfte seine Berechtigung haben: Während man bisher durchaus überlegen musste, welche Konsequenzen eine Fehlerhaftigkeit der insoweit notwendigen „qualifizierten Belehrung“ hat (siehe dazu KK, §252, Rn.2 – der freilich zu Fehlern schweigt), macht der 3. Senat hier deutlich: Bei einem irrenden Zeugen steht ein Verwertungsverbot in Betracht. Man kommt also nicht mit der Rechtskreistheorie dahin, dass nur der Zeuge belastet ist und die Angeklagten zum Zuschauer degradiert werden; vielmehr kann mit der hier vorliegenden Entscheidung ein des Zeugen genutzt werden, um der Verwertung erfolgreich entgegen zu treten.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für IT- & Strafrecht)
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Ich bin Fachanwalt für Strafrecht + Fachanwalt für IT-Recht und widme mich beruflich ganz der Tätigkeit als Strafverteidiger und dem IT-Recht. Vor meinem Leben als Anwalt war ich Softwareentwickler. Ich bin Autor sowohl in einem renommierten StPO-Kommentar als auch in Fachzeitschriften.

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