Der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen kommt im Steuerstrafverfahren regelmäßig besondere Bedeutung zu. Hierzu hat der Bundesgerichtshof (1 StR 207/23) ganz aktuell noch einmal die Grundlagen zusammengefasst. Insbesondere bei unvollständig verbuchten Eingangs- und Ausgangsumsätzen kann sich das Gericht seine Überzeugung von deren Umfang aufgrund eigener Schätzung bilden.
Es gilt: Für Gewinneinkünfte sieht § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG grundsätzlich die Ermittlung durch (bilanziellen) Bestandsvergleich vor. Es besteht jedoch – sofern der Steuerpflichtige nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet ist, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen – nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG die Möglichkeit, den Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung zu ermitteln. Trifft ein nicht buchführungs- und abschlusspflichtiger Steuerpflichtiger keine Wahl, verbleibt es bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich. Maßgeblich für die Ausübung des Wahlrechts ist die tatsächliche Handhabung der Gewinnermittlung.
Der Gewinnermittlungspflichtige hat sein Wahlrecht ausgeübt, indem er die Einnahmenüberschussrechnung oder den Betriebsvermögensvergleich abgeschlossen hat und diese Gewinnermittlung als endgültig ansieht. Allein durch die Einrichtung einer Buchführung wird das Wahlrecht zugunsten des Betriebsvermögensvergleichs noch nicht ausgeübt. Das Wahlrecht zugunsten dieser Gewinnermittlung kann nämlich nicht endgültig ausgeübt werden, bevor nach Ablauf des Wirtschaftsjahres ein Abschluss erstellt worden ist.
Hierüber hat ein Gericht zu entscheiden! Denn die Wahl der Gewinnermittlungsart kann steuerstrafrechtlich nicht dahinstehen, da sie wegen der Auswirkung der hinterzogenen Umsatzsteuer auf die Höhe des Gewinns und damit auf die Höhe der Hinterziehungsschuld bei der Einkommen- und Gewerbesteuer unmittelbar erfolgsrelevant ist:
- Wird der Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt, so ist für den Schluss des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EStG). Die beim Finanzamt angemeldete und abzuführende Umsatzsteuer stellt eine Verbindlichkeit dar, die in der Bilanz zu passivieren ist. Sie mindert daher unabhängig vom Zeitpunkt der Zahlung den Gewinn bereits bei ihrer Entstehung. Nichts anderes gilt für hinterzogene, d.h. nicht abgeführte und nachzuentrichtende Umsatzsteuer. Auch sie ist bereits im Jahr ihrer Entstehung abziehbar und wirkt sich damit unmittelbar im jeweiligen Jahr der Ertragsteuerminderung aus. Denn die verkürzte und nachzuentrichtende Umsatzsteuer resultiert unmittelbar aus den verschwiegenen Betriebseinnahmen und hätte bei steuerehrlichem Verhalten ohne weiteres von Rechts wegen den Gewinn bilanziell gemindert. Dieser Vorteil darf dem Beschuldigten nicht genommen werden; das Kompensationsverbot (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO) steht dem nicht entgegen.
- Demgegenüber mindert die (hinterzogene) Umsatzsteuer bei Wahl der Einnahmenüberschussrechnung den Gewinn erst mit ihrem Abfluss (§ 11 Abs. 2 EStG). Die Gewinnminderung folgt hier nicht „unmittelbar“ aus den verschwiegenen Betriebseinnahmen, maßgeblich ist vielmehr der (tatsächliche) Abfluss. Entgegen der Auffassung des Landgerichts führt die Hinterziehung der Umsatzsteuer aber nicht etwa spiegelbildlich zu einem Zufluss, der über die vereinnahmten Entgelte hinausgeht (§ 11 Abs. 1 EStG). Ein Zufluss kann grundsätzlich nicht fingiert werden, sondern richtet sich allein nach den tatsächlichen Verhältnissen. Ein Zufluss könnte nur dann angenommen werden, wenn der Beschuldigte die hinterzogene Umsatzsteuer (jedenfalls zunächst) „erspart“ hätte. Dies würde aber voraussetzen, dass der Fiskus auf die Umsatzsteuer endgültig verzichtet hätte; der Verzicht auf eine Forderung kann unter bestimmten Voraussetzungen einen Zufluss beim Schuldner begründen.
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