Mit Urteil vom 6. März 2025 (Az. 3 StR 249/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine rechtlich wie praktisch bedeutsame Entscheidung zur Mitwirkung von Dolmetschern im Strafverfahren getroffen. Gegenstand war die Revision eines Angeklagten, der unter anderem beanstandet hatte, dass an einem Verhandlungstag eine ursprünglich als Pflichtverteidigerin tätige Anwältin stattdessen als Dolmetscherin fungiert hatte. Der Angeklagte sah hierin einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren und gegen die Regelungen zur erforderlichen Dolmetscherbeteiligung. Der BGH erteilte dieser Argumentation eine klare Absage und stellte fest, dass die tatsächliche Teilnahme eines gerichtlich bestellten Dolmetschers nicht nachträglich fingiert ausgeschlossen werden kann, nur weil potenzielle Ablehnungsgründe bestanden hätten.
Der konkrete Hintergrund
Dem Urteil lag ein Verfahren wegen versuchten Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Sachbeschädigung zugrunde. Da der niederländische Angeklagte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig war, wurde für die Hauptverhandlung ein Dolmetscher beigeordnet. An einem der Verhandlungstage übernahm diese Aufgabe eine Rechtsanwältin, die zuvor – und anschließend wieder – als Pflichtverteidigerin eines Mitangeklagten tätig war. Für diesen einen Tag wurde sie offiziell als Dolmetscherin eingesetzt und auch entsprechend vereidigt. In der Revision argumentierte der Angeklagte, dass diese Personalunion unzulässig sei und die betreffende Verhandlung daher als ohne Dolmetscher geführt zu werten sei, was einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 5 StPO begründen sollte.
Die rechtliche Würdigung durch den BGH
Der Bundesgerichtshof stellt in seiner Entscheidung klar, dass für einen absoluten Revisionsgrund stets eine tatsächliche Abwesenheit der gesetzlich vorgeschriebenen Person vorliegen muss – nicht aber deren subjektive Ungeeignetheit oder ein potenzieller Interessenkonflikt. Es sei nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, im Nachhinein darüber zu befinden, ob eine konkret anwesende und tätige Dolmetscherin – insbesondere bei einmaliger Bestellung – möglicherweise besser nicht hätte eingesetzt werden sollen. Denn die Dolmetscherin war nicht nur physisch anwesend, sondern auch formell bestellt und in ihrer Funktion tätig.
Die Richter machen deutlich, dass das geltende Recht kein generelles Verbot vorsieht, wonach eine Person nicht zugleich Dolmetscher und in anderen Phasen Prozessbeteiligte gewesen sein darf – solange keine tatsächliche Interessenkollision vorliegt und das vorgeschriebene Ablehnungsverfahren nicht durchlaufen wurde. Ein etwaiger Ausschlussgrund muss förmlich geltend gemacht werden, da andernfalls die gesetzliche Verfahrensordnung umgangen würde. Ein Verstoß gegen das Fair-Trial-Prinzip sei nur dann anzunehmen, wenn objektive Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Verteidigung vorgelegen hätten – was hier nicht der Fall war.
Relevanz für die strafprozessuale Praxis
Die Entscheidung stärkt das Prinzip der prozessualen Realität gegenüber rein formalen Einwendungen. Für die tägliche Praxis in Strafsachen bedeutet das: Die Bestellung und Tätigkeit eines Dolmetschers ist dann rechtlich wirksam, wenn sie den formellen Anforderungen genügt und keine konkreten Unzulänglichkeiten oder Versäumnisse bei der Kommunikation zwischen Gericht und Angeklagtem feststellbar sind. Ein „Dolmetscher in falscher Funktion“ kann nicht rückwirkend inexistent gemacht werden, solange er seine Aufgabe effektiv wahrgenommen hat.
Zugleich erinnert der BGH daran, dass Verfahrensbeteiligte die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente, wie etwa den Ablehnungsantrag, aktiv und fristgerecht nutzen müssen, um Verfahrensverstöße erfolgreich geltend machen zu können. Die bloße Behauptung eines Interessenkonflikts ohne verfahrensrechtliche Reaktion genügt nicht, um ein Urteil anzugreifen – selbst wenn es sich um eine atypische Besetzung handelt.
Fazit
Die Schlussfolgerung dieser Entscheidung lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Effektive Anwesenheit schlägt theoretische Ungeeignetheit. Der Bundesgerichtshof betont die prozessuale Realität und macht deutlich, dass ein geregelter Ablauf mit ordnungsgemäßer Bestellung, Tätigkeit und Kommunikation Vorrang vor abstrakten Bedenken genießt. Für Strafgerichte und Verteidiger ergibt sich daraus eine klare Linie: Nur wer formelle Rechte aktiv wahrnimmt, kann sie auch prozessual wirksam durchsetzen. Die Entscheidung ist damit ein Beitrag zur Rechtssicherheit – und ein Plädoyer für Sorgfalt statt Symbolik im Strafprozess.
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